Interview: „Going with the Flow“

Csikszentmihalyi: „Going with the Flow“

Mihaly Csikszentmihalyi über den „Flow“

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profil: Sie beschäftigen sich mit dem Zustand von Menschen, die beim Essen, beim Sex oder beim Sport auf alles andere vergessen. Wann hatten Sie persönlich Ihr erstes „Flow“-Erlebnis?
Csikszentmihalyi: Das war 1969, ich hielt einen Psychologie-Kurs an der Universität, in dem ich die Erlebnisse spielender Kinder mit denen von Risikosportlern verglich. Die damalige Wissenschaft erklärte das Verhalten von Erwachsenen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um auf einen Felsen zu klettern, zur Neurose. Für mich war das nicht nachvollziehbar. Schließlich machten diese Menschen sehr vergnügliche Erfahrungen. Darüber wollte ich mehr wissen. Also habe ich angefangen, die Musiker, Extremsportler und Tänzer unter meinen Studenten zu interviewen.
profil: Eigene Erfahrungen konnten Sie nicht beisteuern?
Csikszentmihalyi: Doch, ich habe als zehnjähriges Kind im Zweiten Weltkrieg in Europa Menschen sterben und Häuser in die Luft fliegen sehen. Diese Bilder blieben mir in Erinnerung. Als junger Mann spielte ich Jazz. Dabei stellte ich fest, dass ich in eine andere Welt eintauchte und alles andere vergaß, zumindest für kurze Zeit. Das war eine machtvolle Erfahrung und der Anstoß für meine Forschungen.
profil: Den Begriff „Flow“ prägten Sie erst später. Was genau beschreibt er?
Csikszentmihalyi: 1975 kam die erste Sammlung von Interviews auf den Markt. Daraus hatte ich Ansätze zu meiner „Flow“-Theorie destilliert. Allerdings verwendete ich damals den Begriff „autotelic experience“. Das griechische Wort „Autotelos“ beschreibt einen Zweck, der in der Aktivität selbst liegt: Man macht Musik um des Spielens willen und nicht, damit man hinterher Musik gemacht haben wird.
profil: Das heißt, wir switchen erst dann in den Flow-Modus, wenn der Weg zum Ziel wird?
Csikszentmihalyi: So könnte man es ausdrücken. Das Problem war, dass die wenigsten sich unter „Autotelos“ etwas vorstellen konnten. Die Studenten, die ich befragt hatte, verwendeten oft das Bild eines Stromes, eines Flusses, um ihre Erlebnisse zu beschreiben. So kam ich auf den Begriff „Flow“.
profil: Ein glücklicher Einfall, der den Absatz Ihrer zahlreichen Bücher begünstigt haben dürfte.
Csikszentmihalyi: Ja, dabei war ich anfangs gar nicht glücklich damit. „Flow“ war ursprünglich ein Ausdruck der New-Age-Bewegung. „Going with the flow“ beschrieb das damalige kalifornische Lebensgefühl. Was ich meinte, war etwas anderes: nämlich den Zustand, in den etwa Musiker während des Spielens geraten, wenn sie – völlig beansprucht von ihrer Tätigkeit – das Gefühl haben, dass plötzlich alles mühelos geht und die Töne von selbst kommen.
profil: Sie haben einmal erklärt, Ihre Arbeit sei von dem Drang beseelt, herauszufinden, was Menschen „wirklich glücklich macht“. Was haben Flow und Glücklichsein miteinander zu tun?
Csikszentmihalyi: Das war die Formulierung eines Journalisten, nicht meine. Als ich meine Befragungen startete, stellte sich bald heraus, dass viele Menschen Flow-Momente als besonders angenehm in Erinnerung behalten. Tatsächlich sind wir jedoch nicht glücklich, während wir im Flow-Modus sind.
profil: Ist der Kletterer, der sich mit Seil und Haken den Felsen hinaufhantelt, nun glücklich – oder im Flow?
Csikszentmihalyi: Unser Gehirn verarbeitet etwa 120 Bit Information pro Sekunde. Unsere Aufnahmefähigkeit ist also begrenzt. Während einer Tätigkeit, die uns extrem beansprucht, können wir nicht darüber sinnieren, ob wir glücklich sind oder nicht. Während man klettert, ist man konzentriert und im Flow. Dann macht man eine Pause, in der man das Seil für den Partner sichert. In dieser Zeit hält man inne, sieht sich um und ist glücklich. Bis man wieder an der Reihe ist zu klettern und alle anderen Gedanken vergisst, auch jene über das Glücklichsein.
profil: Die meisten Menschen verbringen sehr viel mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als in den Bergen. Wie hoch ist ihre Chance auf Flow-Erlebnisse?
Csikszentmihalyi: Bekannt und wissenschaftlich bestätigt ist, dass viele Forscher in ihrer Tätigkeit aufgehen; Computerprogrammierer und Webdesigner, die wir interviewt haben, berichten von ähnlichen Erfahrungen. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch Fließbandarbeiter Flow-Gefühle haben. Man kann es mit dem Training für die olympischen Spiele vergleichen. Es ist langweilig, immer das Gleiche zu üben. Doch die Konzentration darauf, jedes Mal noch schneller und noch präziser zu werden, kann in einen Flow münden.
profil: Ihre Bücher wurden in vielen Ländern zu Bestsellern. Inzwischen gibt es auf dem Markt eine ganze Flut von Glücksratgebern. Sehen Sie sich in guter Gesellschaft?
Csikszentmihalyi: Ich denke nicht viel darüber nach. Ich bin nur etwas betrübt, wenn meine Bücher in denselben Regalen zu finden sind wie die „How to be happy“-Literatur. Mir wäre die Abteilung für seriöse psychologische Werke lieber. Doch darauf habe ich keinen Einfluss.