Zielobjekt „Cale“

Zeitgeschichte. Der CSSR-Geheimdienst und Österreich

Drucken

Schriftgröße

Genosse Šindelar trug braunen Anorak, blaue Hose und braune Schuhe. Genossin Janšova hatte einen blauen Mantel an, darunter eine schwarze Hose, dazu trug sie eine farblich passende schwarze Handtasche. Genosse Mišek wiederum war im schwarzen Sakko mit grauer Hose und braunen Schuhen zum Dienst gekommen.

Haarklein vermerkten die besessenen Bürokraten des tschechoslowakischen Inlandsgeheimdiensts StB auf dem Observationsakt sogar die Kleidung der eingesetzten Agenten. Im konkreten Fall jagten sieben StB-Leute, verteilt auf drei Autos, einem Gast aus dem Ausland nach. Es handelte sich freilich nicht um einen Spitzenspion des CIA oder den Staragenten aus der Londoner Bond-Partie. Die Genossen Šindelar, Janšova, Mišek und ihre vier Kollegen beschatteten die österreichische Radio-Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi, die in jenem April 1980 nach Prag gekommen war, um über den Parteitag der tschechoslowakischen KP zu berichten.

Die Observationsprotokolle der übereifrigen Geheimdienstler sind – bei aller unfreiwilligen Komik – typisch für die Aktivitäten der Ostagenten im In- wie im Ausland: Sie gingen offenbar der eigenen Propaganda auf den Leim, wonach der kapitalistische Westen nichts anderes im Sinn hatte, als das realsozialistische Paradies mit allen Mitteln zu destabilisieren. Dass da nur Journalisten ins Land kamen, um ihren Job zu machen, war im von Verfolgungswahn geprägten Denken der kommunistischen Staatsorgane nicht vorgesehen.

Die „Akte Coudenhove“ und viele andere Dokumente werden am Donnerstag und Freitag dieser Woche zur Sprache kommen, wenn im grenznahen Raabs/Thaya im nördlichen Waldviertel österreichische und tschechische Historiker die Ergebnisse ihrer eineinhalbjährigen Recherchen über die Tätigkeit der tschechoslowakischen Geheimdienste in Österreich präsentieren.

Am Beginn der heiklen Aufklärungsarbeit war der „Fall Zilk“ gestanden: Wie profil im März 2009 anhand umfangreicher Geheimdienstakten berichtete, hatte der spätere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk zwischen 1965 und 1968 dem tschechoslowakischen Geheimdienst StB alle zwei Wochen Informationen geliefert, die dieser jeweils vorher bestellt hatte: über die Ostpolitik der damaligen ÖVP-Alleinregierung, die ideologische Ausrichtung des neuen SPÖ-Vorsitzenden Bruno Kreisky oder die Verhandlungsposition Österreichs in der Frage der Restitution für die Sudetendeutschen. Man traf sich in Zilks Wohnung am Wiener Matzleinsdorfer Platz oder in Hotels in Prag und Brünn. Zilk, Starjournalist im österreichischen Fernsehen, bekam dafür im Monat rund 5000 Schilling (damals etwa das Gehalt eines Lehrers) und Sachgeschenke, wie Pelzmäntel oder Kristalllüster. Auch nach 1967, Zilk war inzwischen ORF-Fernsehdirektor, berichtete er noch nach Prag. Als 1968 die Reformer um Alexander Dubcek an die Macht kamen, stellte Zilk seine Tätigkeit ein.

Nachdem der Prager Frühling im August 1968 von den Panzern des Warschauer Pakts niedergewalzt worden war und sich auch viele Geheimdienstler in den Westen abgesetzt hatten, wunderte man sich in der Prager StB-Zentrale, warum nicht auch der Promi-Spitzel aus Wien aufgeflogen war. „Warum gibt es in Österreich keine Maßnahmen gegen Zilk? Arbeitet er auch für feindliche Dienste?“, heißt es in einem profil vorliegenden StB-Akt aus dem Jänner 1969. Tatsächlich hatte die österreichische Staatspolizei durch Überläufer vom Doppel­leben des prominenten Journalisten erfahren und einen Akt angelegt. Von diesem fand sich nach den profil-Enthüllungen nur noch der Umschlag – der Inhalt war offenbar schon zu Beginn der 1970er-Jahre diskret entsorgt worden.

Unprominente, die gegen Geld für den Prager KP-Geheimdienst gearbeitet hatten, waren weniger glimpflich davongekommen. Vor allem der über Deutschland in die USA geflohene Geheimdienstmajor Ladislav Bittmann, Zilks letzter Führungsoffizier, lieferte dem deutschen Bundesnachrichtendienst neben anderen Informationen auch listenweise die Namen von Österreichern, die für die CSSR gespitzelt hatten. Schon im Oktober 1968, zwei Monate nach der Invasion der „Bruderstaaten“ in der Tschechoslowakei, wurde ein Redakteur des Bundespressediensts verhaftet und später zu zehn Monaten Kerker verurteilt. Der tschechische Geheimdienst hatte ihn wegen einer Liebesaffäre unter Druck gesetzt. Der ehemalige Staatspolizist Johann A. hatte mithilfe eines Rayonsinspektors Vernehmungsprotokolle von Flüchtlingen an den Prager Geheimdienst geliefert. Er fasste dafür zweieinhalb Jahre Haft aus. Ein Big Shot unter den Spitzeln war der Pressesprecher des damaligen Innenministers Franz Soronic, Alois Euler, ein Mitarbeiter der ÖVP-Bundeszentrale. Er hatte sensible Verschlussakte, unter anderem Einsatzpläne des österreichischen Bundesheers während der CSSR-Krise ’68, nach drüben geliefert, wofür er drei Jahre Gefängnis ausfasste. Sogar ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befasste sich mit seinem Fall.

1971 fiel ein junger Mitarbeiter des Bundespressediensts durch seinen großzügigen Lebenswandel auf. Das Geld dafür hatte er von seinem tschechoslowakischen Führungsoffizier, den er über die Aktivitäten Bruno Kreiskys, seines neuen Chefs im Kanzleramt, auf dem Laufenden hielt. Immer wieder versuchte Prag, Agenten in Österreich zu platzieren. Das gelang Ende der siebziger Jahre vorzüglich. Damals waren viele Unterzeichner der von Vaclav Havel initiierten Charta 77 nach Österreich emigriert, nachdem Bundeskanzler Kreisky angeboten hatte, alle von Gefängnis bedrohten und ausreisewilligen Dissidenten aufzunehmen. Einer, der gleich zu Beginn kam, war der Militärhistoriker Josef Hodic. Hodic hatte als einer der Ersten die Charta unterschrieben. Er lebte sich in Wien gut ein, war äußerst aktiv in Emigrantenkreisen und allenthalben beliebt. Für das von der CIA finanzierte Radioprogramm „Svobodna Evropa“ gestaltete er Beiträge.

1981 war Hodic plötzlich verschwunden. Ein paar Wochen später tauchte er in Prag auf. Die Staatspolizei hatte bereits vermutet, dass er ein Agent war, weil er alle seine Konten in Wien aufgelöst hatte. Hodic trug einige Dokumente mit sich im Gepäck, die in der Tschechoslowakei verbliebene Dissidenten für Jahre hinter Gitter brachten.

Barbara Coudenhove-Kalergi war in jenen Tagen des Jahres 1981, in denen Hodic wieder in Prag auftauchte, ebenfalls in der Hauptstadt und war dem ihr gut bekannten „Regimegegner“ auf der Straße begegnet. Hodic sei sehr kurz angebunden gewesen, erinnert sie sich.

Höchstwahrscheinlich wurde sie auch damals von einer halben Kompanie Agenten beobachtet. Denn die Journalistin stellte für die CSSR-Behörden ein hochsensibles Zielobjekt dar.

Frau Coudenhove-Kalergi, aus deutschsprachigem Adel Böhmens stammend, wurde 1932 in Prag geboren, beherrschte perfekt die Landessprache und war mit ihrer Familie, wie fast alle Deutschen, nach 1945 vertrieben worden. Als würde diese „Verdachtslage“ noch nicht genügen, war sie auch noch mit Franz Marek verheiratet – einer Hassfigur für die tschechischen Kommunisten. Marek war selbst ein hochrangiger KPÖ-Funktionär gewesen, Mitglied des Politbüros und Chefredakteur des Ideologieorgans „Weg und Ziel“. Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag im August 1968 hatten Parteiintellektuelle um Ernst Fischer und Franz Marek scharf gegen die Invasion protestiert und waren mitsamt mehreren Jugend- und Gewerkschaftsfunktionären aus der KPÖ ausgeschlossen worden.

Seit dieser Parteispaltung waren die österreichischen Kommunisten politisch praktisch inexistent. Als die Geheimdienstler Frau Coudenhove-Kalergi 1976 in Prag gemeinsam mit ihrer Journalisten-Kollegin Eli­zabeth „Toni“ Spira sahen, war alles klar: Auch Spiras Vater Leopold war einer der KPÖ-Intellektuellen gewesen, die gegen den Einmarsch protestiert und die Partei verlassen hatten.

In der Folge wich man Coudenhove nicht mehr von den Fersen. Noch im selben Jahr 1976 wurde die damals für die Wiener „Arbeiter-Zeitung“ schreibende Journalistin in einem Restaurant am Wenzelsplatz observiert, in dem sie den prominenten Journalisten und Dubcek-Unterstützer Stanislav Budin traf. Die StB-Leute wollten natürlich das Gespräch belauschen – doch leider: „Es war unmöglich, es war alles besetzt“, heißt es entschuldigend im Observationsbericht.

Beim selben Aufenthalt traf Coudenhove den prominenten Dissidenten Frantisek Kriegel zu einem Interview in dessen Wohnung. Kriegel war der Einzige aus der reformkommunistischen Führung des Prager Frühlings gewesen, der sich nach der Invasion geweigert hatte, das demütigende „Moskauer Protokoll“ zu unterschreiben. Seine Wohnung war verwanzt, das Interview wurde vom StB aufgezeichnet. Beim folgenden Verhör sei Kriegel „depressiv“ geworden, als er mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass das Interview mitgehört worden war, heißt es im Akt.

Als Barbara Coudenhove-Kalergi im April 1980 für das ORF-Radio nach Prag kam, um über die Breschnew-Rede am Parteitag der KPTsch zu berichten, setzte man sogleich sieben Agenten auf sie an, die sich ab sieben Uhr Früh vor ihrem Hotel postierten. Das Überwachungsprotokoll dieses Tages dokumentiert die Sinnlosigkeit eines kommunistischen Agentenlebens trefflich. Um 9.20 Uhr zeigte sich die Zielperson „Cale“ (so nannte man Coudenhove-Kalergi) laut Protokoll im Frühstücksraum des Hotel Flora und trank dort mit dem norwegischen Kollegen Dag Halvorsen Kaffee.

Halvorsen sei offenbar verkatert, rapportierten die Geheimdienstler aufgeregt. 9.40 Uhr: Sie versucht, nach Wien zu telefonieren, bekommt aber keine Verbindung. 10.30 Uhr: Fahrt ins Pressezentrum, wo sie Breschnews Referat vor dem Parteitag verfolgt. Am frühen Nachmittag fotografiert man sie mit einer Geheimkamera mit dem österreichischen Kulturattaché auf der Straße und mit einem Journalisten in einem Kaffeehaus.

Als Coudenhove-Kalergi um 16.40 Uhr das Hotel verlässt und in ein Taxi steigt, folgen diesem drei Autos mit sieben Agenten. Das Taxi fährt durch die Straßen Orlická, Velehradská und Premyslová – und ist plötzlich weg. Verzweifelt geben einander die Agenten die Schuld an diesem Versagen (später werden die Insassen der Fahrzeuge Nummer zwei und drei als Schuldige verwarnt werden).

Barbara Coudenhove-Kalergi erinnert sich dunkel an diesen Tag vor mehr als 30 Jahren: „Ich bin damals auf die Prager Kleinseite gefahren und spazieren gegangen. Dort haben wir früher gewohnt.“ Wusste sie, dass sie ständig überwacht wurde? „Ich bin schon davon ausgegangen, hab mich aber nicht darum gekümmert. Es war mir einfach zu deppert.“