Danke, Peter Pilz!

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Nostalgisch könnte man werden. Waren das doch noch Zeiten, als Wolfgang Schüssel die Neutralität gemeinsam mit anderen „alten Schablonen“ wie Lipizzanern und Mozartkugeln verächtlich machte. So kritisch man auch der schwarz-blauen Regierung gegenüberstehen mochte, da konnte man dem Kanzler nur ein Bravo zurufen. Er hatte mutig – ohne Not und gegen die Meinung im Volke – der Vernunft eine Bresche geschlagen. Schüssel konnte man damals, vor drei Jahren, höchstens vorwerfen, dass der Vergleich ein wenig schief geraten war: Die weißen Pferde und ihre Levaden sind immerhin Kulturgut, an denen sich der Betrachter ergötzen kann, und das Komponisten-Konfekt schmeckt bekanntlich köstlich. An der Neutralität – und das wurde schon hunderte Male trefflich argumentiert – ist heute kaum etwas Positives zu entdecken.

Die Ablehnung der österreichischen Neutralität sei „Schnee von gestern“ verkündete nun Ende Oktober Nationalratspräsident Andreas Khol. Der VP-Denker will sie gar in der neuen Verfassung verankert wissen. Der schwarze Schwenk in dieser Frage ließ plötzlich ganz Österreich gleichgeschaltet erscheinen. Nun waren sich alle einig – auch ausnahmslos alle Parteien –, dass die Neutralität, dieser anachronistische Unsinn, erhalten bleiben müsse. Es war zum Verzweifeln.

Bis Peter Pilz vergangene Woche auf den Plan trat – und zum Helden wurde. Er verkündete für seine Partei, die sich bisher geradezu als Hohepriesterin der Neutralität geriert hatte, ebenfalls einen großen Schwenk – in die andere Richtung. Innerhalb eines Jahrzehnts könne er sich ihre Abschaffung via Volksabstimmung vorstellen. Und der Vorstoß war nicht die Laune eines bekannt launenhaften Politikers, sondern Ergebnis intensiver Beratungen der Grünen.

Pilz und Co geht es um Europa. Soll die EU als Friedensmacht – auch global – wirken und die dafür nötige militärische Einsatzfähigkeit erlangen, muss sie eine „vergemeinschaftete“ Sicherheitspolitik entwickeln: „25 Armeen und ebenso viele Verteidigungsminister – das soll Vergangenheit sein“, meint Pilz. Er propagiert das Ende der nationalen Heere und eine europäisch integrierte und demokratisch kontrollierte EU-Armee. In dieser Perspektive macht natürlich ein neutrales Österreich absolut keinen Sinn.

Nun versuchen Pilz’ Parteikollegen seinen Abschied von der Neutralität aus Angst vor grüner Basiswut herunterzuspielen. Der ÖVP ist das Ganze nach ihrem populistischen Neutralitätsschwenk peinlich. Die SPÖ ätzt, dass sich die Grünen mit ihrem Politikwechsel an die Schwarzen „anbiedern“. Und Kommentatoren machen sich über den „Utopismus“ des grünen Politikers lustig. Tatsache ist aber, dass die Grünen damit die einzige politische Gruppierung in Österreich sind, die eine halbwegs realistische und zugleich visionäre sicherheitspolitische Position entwickelt haben. Gerade die Grünen!

Da kann man nur dem österreichischen Diplomaten Albert Rohan zustimmen, wenn er Pilz (im „Standard“) dazu gratuliert, dass die Grünen „unabhängig von der Opportunität einer Neutralitätsdebatte zukunftsorientierte Überlegungen jenseits taktischer Erfordernisse“ anstellen. Man kann aber Rohan auch folgen, wenn er trotzdem kritisiert, dass die Öko-Partei ihre „europäische Friedensordnung“ als Gegenentwurf zur NATO sieht, gegenüber der sie offenbar eine „pathologisch wirkende Abneigung“ empfindet.

Die ist aber keine grüne Spezialität. Bei seiner kürzlichen Ansprache zum Nationalfeiertag hat der von mir sonst so verehrte Bundespräsident Heinz Fischer eine Frohbotschaft verkündet, die mich traurig gemacht hat: Er habe den Eindruck, freute sich das Staatsoberhaupt unverhohlen, „dass die Zahl derer, die einen Beitritt zur NATO befürworten, geringer geworden ist“. Als ob die Ablehnung der NATO als selbstverständlich vorausgesetzt werden könne. Ich fühle mich immer einsamer.

Hier ein paar Bemerkungen wider den österreichischen Zeitgeist:
E Die überwältigende Mehrheit der EU-Staaten sind Mitglied in der Atlantischen Allianz. „NATO oder Europa“ – diese Wahl stellt sich für die meisten nicht und kann nur als Skurrilität empfunden werden.

E Als Mitglied der NATO würden wir von den Amerikanern in üble Kriege hineingezogen werden, lautet eine verbreitete Meinung im Land. Das jüngste Beispiel des Irak-Kriegs demonstriert das Gegenteil: Die wichtigen europäischen NATO-Länder Deutschland und Frankreich, aber auch die meisten anderen haben laut Nein zum Golf-Abenteuer gesagt und sich verweigert. Die sicherlich in der Organisation dominanten USA können kein Land zu irgendetwas zwingen. In der NATO herrscht das Einstimmigkeitsprinzip.

E Da, wie gesagt, die meisten EU-Länder auch NATO-Mitglieder sind, läuft die historisch notwendige Emanzipation von den Amerikanern und bildet sich eine eigenständige europäische Verteidigung nicht primär gegen die NATO, sondern vielmehr in ihr und durch sie hindurch. Wer nicht dabei ist, kann nicht viel mitreden.
E Die NATO erfüllt jetzt schon (auf dem Balkan, in Afghanistan) wichtige friedenserhaltende und -schaffende Aufgaben. In der so turbulenten Zukunft werden NATO-Einsätze – gerade auch, wenn es um Menschenrechte und die Verhinderung von Genoziden geht – immer öfter gefragt sein.

E Schließlich ist die NATO heute, wo die US-Führung unter George W. Bush eine Politik der militärischen Alleingänge forciert, nicht ein Instrument dieser Strategie. Sie stellt, im Gegenteil, als Organ kollektiver Sicherheit geradezu ein weltpolitisches Korrektiv dar.

Die NATO ist Schnee von morgen.