good news: Helmut A. Gansterer

Darf ich was sagen?

Darf ich was sagen?

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An guten Tagen überwinden meine Kolumnistenkollegen die Schwerkraft der Bescheidenheit und fliegen auf in die erfrischenden Sphären der Rechthaberei. Ich will da nicht zurückstehen. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Recht haben ist klass, Recht bekommen ist klasser. Also: Hab ich’s nicht immer gesagt, dass jene, die den Markt in seiner freiesten, ungehemmten Form verherrlichen, um nichts besser sind als jene, die ihn einst ausschalten und durch Planung ersetzen wollten? Habe ich nicht gemahnt, die Aufsichtsorgane großer Konzerne und vieler Banken seien zwar nicht unterdotiert, aber unterqualifiziert und unterfleißig – ich nannte sie gern „Blondinen mit hohem arbeitslosem Einkommen“? Und habe ich nicht unablässig kritisiert, an den Wertpapierbörsen wedle längst der Schwanz mit dem Hund, die Papierln mit den Fabriken? Oder dass das einzig Gefährliche der Globalisierung die grenzüberschreitenden Geldströme seien?

Im Speziellen ächtete ich perverse Geldanlage-Derivate, die kranke Gehirne ersonnen hatten. Man musste kein Heiliger sein, um sie entsetzlich zu finden. Dafür genügte ein Rest von Zivilisation, Appetitlichkeit, Geistesgeschmack und Anständigkeit. Spekulationspakete, deren Rendite mit der Einbringlichkeit von Drittschulden schwankt (siehe ÖBB-Skandal in profil 40/08), sind beinahe so ungustiös wie die von kirren Investmentbankern und ihren Kunden begeistert genützten „Leerverkäufe“, mit denen auf Krankheit, Siechtum und Tod von Firmen spekuliert wurde. Das konnte nur Leuten gefallen, die hinter Aktienkursen keine Menschen oder gar Arbeitsplätze mehr sahen, sondern hinter oszillierenden Bildschirmkurven nur noch anonyme Sterbende, deren Tempo des Niedergangs interessierte.

Man fängt nun an, Obszönitäten zu begreifen. So wie man in all den genannten Punkten nun nachdenkt und reformieren möchte. Das ist im Geist des Mottos dieser Kolumne „Good News“. Es kommt auch nicht unerwartet. Mit meinem barbarischen Optimismus glaubte ich immer an den Lieblingsspruch meiner Großmutter: „Mit dem Leid kommt das Heilende.“ Ihren zweiten Lieblingssatz finde ich als persönliches Lebensmotto weiterhin gut, in politischen Angelegenheiten aber längst gefährlich: „Geschrien wird erst, wenn der Schmerz da ist.“ In der Wirtschaftspolitik ist das viel zu spät. Zumal wir Wohlstandssatten nicht mehr so schnell reagieren wie unsere ärmeren Vorfahren. Unser Reizleitungssystem gleicht dem der Saurier. Diese brauchten zuletzt vier Sekunden, um zu begreifen, dass ihnen das Weibchen den Schwanz abbiss – zu spät. Logische Folge: Untergang.

Wer träge wurde, muss lernen, besser vorauszuschauen. Und auf den täglichen Mini-GAU schneller reagieren, damit er nicht GAU und Super-GAU wird. Ich erneuere daher meine Forderung nach einer Wiederauflage der Sozialpartnerschaft, die Horst Knapp in den sechziger Jahren als „Big Deal“ und „außerparlamentarischen Konsens“ erfand. Einzig sie erlaubte kluge Reaktion auf Störfälle, ohne Zeitverlust. Sie sähe heute so aus: Die glänzenden Wirtschaftsfachleute der beiden großen Lager (Arbeiterkammer/Gewerkschaft hier, Wirtschaftskammer/Industriellenvereinigung da) finden im wichtigen Bereich der Wohlstands-Gestaltung (Copyright angemeldet) sachgerechte und mehrheitsfähige Lösungen. Zusatzaufgabe: Beschäftigung mit der „neuen Armut“. Nirgendwo ist ein Armer ärmer als in einem reichen Land. Österreich ist heute unter den Top Ten der Welt. Davon konnte man in den sechziger Jahren nur träumen. Der erste Erfolg der Sozialpartnerschaft dieser Jahre lag darin, dass wir als „Insel der Seligen“ galten, weil wir die wenigsten Streikstunden hatten. Man darf daraus schließen, dass Harmonie in der spröden Wirtschaftswelt die Grundlage einer großen Symphonie ist.

Konkreter, heutiger Vorteil einer Sozialpartnerschaft neuen Stils: Das ökonomische Fundament wäre den Besten ihres Faches anvertraut. Die Kanzler, Minister, Staatssekretäre, Nationalräte und die unterschätzten hohen Beamten (ausnahmslos besser informiert als die Minister, die im Gegensatz zu ihnen kommen und gehen) könnten sich erleichtert auf die wärmeren Aufgaben konzentrieren: auf Bildung, Medien, Tele-Com, Kultur, Kunst, die persönliche Motivation und Betreuung der Österreicher. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, heißt es im Osterspaziergang des Dr. Faust.

Ich empfehle das Buch „Politikerbeschimpfung“ (Verlag Ecowin, 171 Seiten, 22,70 Euro) meines Freundes und „Presse“-Chefredakteurs Michael Fleischhacker, teile aber nicht seine Abneigung gegen Befürworter einer weiteren großen Koalition, da ich einer davon bin. Ich bin sogar für unablässige Versuche in diese Richtung, sofern man die Weisheit der Sozialpartnerschaft implantiert. Das Glühbirnen-Potenzial von SPÖ und ÖVP ist in den zweiten Linien zirka tausendmal höher als in jeder konkurrierenden Partei. Mindestens einmal gebe ich mich noch der Hoffnung hin, dass man dieses nützt, geschockt durch die letzte Wahl. Es gibt noch einen zweiten, persönlichen Grund für meine Präferenz. Ich liebe Anfänger und helfe ihnen, wo ich kann, mag aber keine Amateure mehr in hohen Positionen sehen. Die kleinen Parteien haben keine Profis, am ehesten noch die Grünen. Schon seit Schwarz-Blau sah ich zu viele Amateure zu schnell kommen und gehen, um sie vermessen zu können. Geschweige denn „ein Fass Salz mit ihnen zu essen, um sie genau zu erkennen“, wie Margarethe Ottillinger, die erste Top-Managerin Österreichs (OMV), sagte, als sie mir ihr Geheimrezept in Personalfragen verriet. Es war der erste gute Satz, den ich einst als blutjunger Redakteur hörte. Ich hätte nie gedacht, dass er der beste bleiben würde.