Interview: „Das ist keine Bagatelle“

„Das ist keine Bagatelle“

Albertina-Chef Klaus A. Schröder über die Affäre

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profil: Vor zwei Wochen wurden Dürer-Bilder ohne Ausfuhrgenehmigung nach Madrid gebracht. Halten Sie die Aufmerksamkeit, die der Causa seither zuteil wird, persönlich für übertrieben?
Schröder: Zweifelsohne ist das Interesse an dem Fall legitim. Man kann weder der Bevölkerung noch den Medien vorschreiben, was sie für eine Causa prima halten. Gleichzeitig wurde jedes Augenmaß verloren. Die Albertina ist unbezweifelt eines der kompetentesten Museen der Welt für Arbeiten auf Papier. Natürlich haben wir alles erdenklich Mögliche für die Sicherheit der Werke getan. Die Ausfuhrgenehmigung war jahrzehntelang Routineangelegenheit und wurde der Albertina in den vergangenen Jahren zehntausende Male ohne leiseste Nachforschungen gewährt. Bei mancher Berichterstattung gewinnt man den Eindruck, als hätte der Direktor der Albertina eine Zeichnung in ein Kuvert gesteckt und sie als Postwurfsendung nach Madrid geschickt, um sie dort am Schwarzmarkt anzubieten.
profil: Dass sie die Dürer-Werke ohne Ausfuhrgenehmigung reisen ließen, ist doch keine Bagatelle, oder?
Schröder: Das ist schon deshalb keine Bagatelle, weil die Situation so sehr eskaliert ist; weil daraus eine internationale Debatte geworden ist, deren Folgen für die internationale Beziehungen der österreichischen Museen nicht absehbar sind. Es kam völlig überraschend und ist neu, dass das Bundesdenkmalamt (BDA) eine in den letzten Jahrzehnten als Formsache behandelte Ausfuhrgenehmigung jetzt auf die konservatorische Sicherheit hin überprüft. Damit befindet sich das BDA in einer schwierigen Situation: Es hat derzeit weder die Infrastruktur noch die personellen Ressourcen, um die Arbeiten auf ihren konservatorischen Zustand zu überprüfen, wie das die Museen mit ihren Spezialeinrichtungen können. Das BDA bedient sicher Gutachter.
profil: Sie werfen dem BDA mangelnde Kompetenz vor?
Schröder: Auf keinen Fall. Dies ist keine Kritik am BDA, dessen Rechtsstatus als Behörde anzuerkennen ist. Wie lässt sich der konservatorische Zustand einer Zeichnung feststellen? Die Geräte, mit denen das in unseren Labors untersucht wird, sind von großer Komplexität. Eine unserer Zeit und den technologischen Anforderungen entsprechende Bestandsaufnahme kann naturgemäß nicht erreicht werden, wenn die Werke nur mit freiem Auge durch die Verglasung studiert werden können. Aber die Begutachtung durch das BDA in Madrid musste schnell und vor den verglasten Objekten stattfinden.
profil: Ihr Image hat starken Schaden genommen: Wie können Sie internationalen Museen in Hinkunft garantieren, dass Ihre Verleihzusagen auch halten?
Schröder: Im Augenblick kann ich das nicht. Was die Verleih- und Ausstellungsprojekte dieses Jahres betrifft, müssen wir für bereits getätigte Zusagen schon jetzt um die Ausfuhrbewilligung des BDA ansuchen. Da stehen wir unter großem Zeitdruck. Um diesen in Zukunft zu vermeiden, werden wir für Ausstellungen, die erst in drei bis fünf Jahren stattfinden, ebenfalls schon jetzt die Bescheide des BDA einholen.
profil: Das Ministerium urteilt, Sie hätten „offensichtlich einen Fehler“ gemacht. Direktor Wilfried Seipel vom Kunsthistorischen Museum meint, Sie hätten wissen müssen, dass bei einer so hohen Anzahl von Dürer-Werken das Standardprozedere nicht reicht.
Schröder: Das klingt plausibler, als es ist. Aber das Standardverfahren hat ja auch gereicht, als wir 30 Dürer-Werke nach Oslo geschickt haben oder in den vergangenen Monaten und Jahren unsere Michelangelos, Leonardos oder Rubens-Zeichnungen die Albertina verlassen haben. Im Unterschied zu Gemälden werden Grafiken sehr oft in größerer Anzahl verliehen.
profil: Sie übertrugen das Ansuchen um Ausfuhrgenehmigung einer Spedition, die nicht kontrolliert wurde.
Schröder: Ab sofort wird nicht mehr die Spedition, sondern die Albertina das Ansuchen an das BDA schicken. Zudem muss der zuständige Kurator sich vor Verlassen des Objekts durch Augenschein persönlich davon vergewissern, dass das richtige Objekt mit den notwendigen Genehmigungen auf Reisen geht.
profil: Warum haben Sie nicht Ihren Rücktritt angeboten?
Schröder: Hätte das geholfen? Wir haben in den letzten 14 Tagen täglich von halb acht Uhr früh bis Mitternacht gearbeitet, um die entsprechenden Stellungnahmen gegenüber dem Ministerium, dem BDA, mit Anwälten zusammen zu erarbeiten. Wir haben in Permanenz mit dem Prado getagt. Hätte man sofort eine Person, eine Instanz gefunden, die genau das koordiniert hätte? Und nur einen Rücktritt anzubieten und damit zu spekulieren, dass ihn die Ministerin nicht annimmt und ich mir stolz auf die Brust schlagen kann: Ich bin zwar verantwortlich, aber exkulpiert – das wäre das falsche Signal gewesen.
profil: Es ist etwas bizarr, dass Sie die Schuld an dem Vorfall der Spedition zuschieben.
Schröder: Selbstverständlich trage ich die Verantwortung. Die Frage der Schuld ist deshalb differenzierter zu sehen, weil sie strafrechtlich einen willentlichen und wissentlichen Tatbestand voraussetzt. Daher ist es keine Petitesse, zwischen Verantwortung und Schuld zu unterscheiden. Inzwischen ist die Ausfuhr ja auch genehmigt. Die Verzögerung kam zustande, weil das BDA sich völlig rechtmäßig dafür entschieden hat, die Ausfuhrgenehmigung nicht mehr als Formalfrage zu behandeln, sondern als eine Überprüfung unserer konservatorischen Maßnahmen sowie der Transport- und Sicherheitsstandards wahrnehmen wollte. Das war in der kurzen Zeit nicht möglich, weshalb vorerst ein negativer Bescheid erfolgte. Damit hat jener Prozess begonnen, der die Österreicher verunsichert hat und viele fragen lässt, ob die Albertina der Ort ist, an dem mit der größten Sorgfalt und Sicherheit mit uns anvertrautem Kulturgut umgegangen wird. An diesem Vertrauen in die Albertina darf es keinen Zweifel geben. Es war ein Formfehler. Den will ich nicht klein machen. Denn wir sprechen jetzt über die Lawine und nicht den Kieselstein, der sie losgetreten hat.
profil: Kunstwerke ohne Genehmigung auszuführen, das ist kein „Kieselstein“. Es geht um Ihre Hauptwerke.
Schröder: Die Albertina besitzt nicht nur den wichtigen Dürer-Bestand. Ich verstehe die Popularität des „Feldhasen“, aber die kunsthistorische Bedeutung, der Wert ist mit Michelangelo, Leonardo, Rubens, Raffael oder etwa Picasso bei sehr vielen Werken in unserer Sammlung gegeben. All diese Werke haben in den letzten Monaten ohne Probleme die Albertina verlassen.
profil: Wurde seitens des BDA an der Albertina ein Exempel statuiert?
Schröder: Das glaube ich nicht, denn wer sich entscheidet, den Prado zu überprüfen, der als eines der vorbildhaften Museen der Welt gilt, der entscheidet sich, alle Häuser bei entsprechenden Leihgaben zu überprüfen. Wer sich entscheidet, jene Dürer-Werke zu prüfen, an deren Untersuchungen und konservatorischen Stabilisierung wir in den letzten beiden Jahren intensiv gearbeitet haben, der entscheidet sich wohl damit auch, das in Hinkunft bei allen anderen Werken zu tun, die von österreichischen Museen verliehen werden.
profil: Hat das BDA die Kapazitäten, um die zigtausend Leihgaben, die Österreich jährlich verlassen, zu überprüfen?
Schröder: Das weiß ich nicht. Das BDA würde die Kompetenz ja nicht nur für Arbeiten auf Papier, sondern auch etwa für Bronzearbeiten, für ägyptische Mumien, für Gemälde der holländischen Kunst des 17. Jahrhunderts oder für italienische Gemälde des 15. Jahrhunderts, die völlig unterschiedlich zu beurteilen und zu behandeln sind, haben müssen. Dafür stehen zum Beispiel in Österreich dem KHM Labors und Werkstätten mit großen personellen und fachlichen Ressourcen mit hochentwickelter Technologie zur Verfügung. Aber das BDA kann sich erfahrener Gutachter bedienen.
profil: Sie geraten nicht zum ersten Mal mit rechtlichen Fragen in Konflikt: Schieles „Wally“ wurde in den USA beschlagnahmt, als Sie Geschäftsführer des Leopold Museums waren. Man machte Ihnen den Vorwurf, Sie hätten sich nicht um die nötige Immunität der Bilder gekümmert.
Schröder: Das Museum of Modern Art hatte bis dahin immer nur um die Indemnity im Staate New York angesucht. Seit dem Fall sucht es um die Bundesimmunität an, die das State Department gibt und die absolute Immunität gegenüber allen Behörden, auch den Zollbehörden, garantiert.
profil: Sie haben auch damals entscheidende Formalitäten nicht beachtet.
Schröder: Die beiden Fälle kann man nicht miteinander vergleichen. Die Verantwortung für die Einholung der Immunität lag beim MoMA.
profil: Welcher Schaden ist Österreich in der Kunstwelt durch einen Fehler entstanden, für den Sie die Verantwortung tragen?
Schröder: Wir können die Konsequenzen noch nicht absehen. Die auf Gegenseitigkeit basierende Kooperationsbereitschaft könnte sehr viel schwieriger werden. Die Frage ist, wie tragfähig die beiden großen Museen Wiens, das KHM und die Albertina, gegenüber ausländischen Partnern auftreten werden können.
profil: Wie wird dies Ihre Ausstellungstätigkeit beeinflussen, da ja auch Sie auf Leihgaben anderer Museen angewiesen sind?
Schröder: Es kann einschneidende Konsequenzen nicht nur auf den Ausstellungsbetrieb, sondern auch auf die Pflege und Sicherheit der Werke haben. Denn die teuren Klimavitrinen hat uns erst der Vertrag mit dem Prado ermöglicht. Ebenso wie andere konservatorische Arbeiten an den Dürer-Werken, die in den letzten beiden Jahren in unseren Werkstätten stattfanden.
profil: Kann die Ausstellung in Washington wie geplant stattfinden?
Schröder: Ich habe meinen Kollegen Earl Powell sofort über diese neue Situation informiert. Im Augenblick kann ich ihm nur den Rechtsstand und die fünfjährige Sperre sämtlicher Exponate der Prado-Ausstellung mitteilen. In fünf Jahren erholen sich die Werke ja nicht. Die altern auch in der Kassette. Von der Sperre ist auch eine wichtige Dürer-Leihgabe betroffen, die wir für 2006 dem Louvre zugesagt haben. Ich hoffe jedenfalls, dass bald eine Phase der Deeskalation eintritt. Wir müssen die Glaubwürdigkeit der Albertina wiederherstellen.