Das Dasein als Verlierer im Kino

Das Dasein als Verlierer im Kino: Filme- macher Doringer in "Mein halbes Leben"

Filmemacher Doringer in "Mein halbes Leben"

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An Österreichs Kinokassen zählt dieser Tage vor allem eines: effizientes Marketing. Der heimische Kino-Mainstream zielt mehr denn je auf schnelle Lesbarkeit, aufs nackte Logo. Jeder der großen Austro-Kino­erfolge der vergangenen Monate ist mit einem zugkräftigen Begriff umrissen: Oscar („Die Fälscher“), Finanzkrise („Let’s Make Money“), Falco („Verdammt, wir leben noch!“) und Mundl („Echte Wiener“). Schau auf die Marke. Dahinter ist nämlich oft nicht mehr viel auszumachen.

Glücklicherweise erschöpft sich das österreichische Kino darin noch nicht. Zwei neue Filme aus Österreich, Marko Doringers ironische Depressionsstudie „Mein halbes Leben“ und Arash T. Riahis Migrationspanorama „Ein Augenblick Freiheit“, demonstrieren immerhin Widerspruchsgeist – und neue Lust an inhaltlicher Vertiefung. Sie stellen – einmal privatistisch, einmal explizit politisch – die alte existenzielle Frage: Wie (über)leben?

Radikal intim. Die Zumutungen seines Daseins sucht Doringer mit radikaler Intimität zu kontern. In seinem Kinodebüt „Mein halbes Leben“, das dem hierzulande raren Genre des Dokumentarfilms als Ich-Erzählung zuzuschlagen ist, geht er hart mit sich selbst ins Gericht. Doringer nimmt seinen 30. Geburtstag zum Anlass einer vorläufigen Bilanz. Sie fällt vernichtend aus: Er hat keinen Job, keine Freundin, kein Kind, keine Lebensenergie. Seine Krankenversicherung zahlt der Papa. „Mein halbes Leben“ ist ein sarkastisches, zuweilen auch naives Selbstporträt des Filmemachers als Totalversager. Mut zur Ehrlichkeit mag sich Marko Doringer dennoch nicht unterstellen lassen. „In einer Welt, in der jeder nur ,Starmania‘ gewinnen will, ist es offenbar schon peinlich, von sich zu sagen, man sei ein Loser“, meint er im profil-Gespräch. „Aber warum soll es mutig sein, das zuzugeben? Die ganze Welt ist voller so genannter Verlierer, und ich bin einer von ihnen. Ich würde das nicht Mut zur Selbstentblößung nennen, sondern Mut zur Krise.“

Der in Berlin lebende, aus Salzburg stammende Filmemacher beschließt, seine Freunde (einen Sportjournalisten, eine Modedesignerin, einen Jungmanager), seine Familie und seine Ex-Freundinnen aufzusuchen – und nachzufragen: Er will Gründe für sein Scheitern finden und es mit den Lebensläufen und -zielen der anderen vergleichen. „Mein halbes Leben“ ist eine bewusst simple Inszenierung; Doringer spielt mit der Form des Amateurfilms, in dem sich aber ein durchaus komplexer Diskurs über Familie, Sicherheitsdenken und Kinderwunsch, über die Qual des Erwachsenwerdens verbirgt. Er habe eben „einen großen Film über mein kleines Leben“ zu drehen versucht. „Und ich will ja Filme machen, die ganz nah am Publikum sind. Man muss die intellektuelle Schraube nicht immer in die Himmelssphären drehen.“ Großen Begriffen wie „Wahrheit“ misstraut er: „Ich glaube nicht an Objektivität, in keinem Medium. Natürlich entsteht ein Film wie meiner erst im Schneideraum: Alle Figuren sind dramaturgisch gebaut. Aber es gibt keine einzige gestellte Sequenz, nur dokumentarisches Material.“

Über eineinhalb Jahre lang hat der inzwischen 34-Jährige am Dreh von „Mein halbes Leben“ gearbeitet und sich anschließend volle neun Monate Schnittzeit gegönnt. Filmische Vorbilder habe er kaum, nennt als Inspirationen dennoch den US-Selbstporträtisten Ross McElwee und den Berliner Andres Veiel („Die Überlebenden“), der ihm als Berater zur Seite stand. „Sähe ich mehr Filme, würde mir manches sicher leichter fallen“, hält Doringer selbstkritisch fest. Er müsse beim Drehen leider „das Rad oft neu erfinden“. Der Lebhaftigkeit seines Films kommt so viel Innovationszwang allerdings entgegen.

Von Stefan Grissemann