Peter Michael Lingens

Das schwarze Dilemma

Das schwarze Dilemma

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Im Stillen hoffe ich, dass dieser Kommentar, wenn er erscheint, schon restlos überholt ist: weil Werner Faymann und Josef Pröll sich endgültig geeinigt haben und bereits ­dabei sind, das Regierungsteam zusammenzustellen. Bis heute, da ich diesen Text schreibe, wirkt die Regierungsbildung aus der Ferne (ich habe meinen Wohnsitz für ein paar Monate wieder nach Spanien verlagert) allerdings wie eine jener Filmszenen, in denen ein eigentlich dramatisches Ereignis in Zeitlupe und ohne Ton abläuft, sodass es ebenso grotesk wie unwirklich wirkt: Da steht dem Land die schwierigste wirtschaftliche Periode seiner jüngeren ­Geschichte bevor; die tiefe Rezession in den USA, die der Finanzkrise unweigerlich folgen muss, hat eben erst eingesetzt und sich dennoch bereits auf Österreichs größten Handelspartner, Deutschland, übertragen; bereits in wenigen Monaten ist mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und mit zwingend daraus folgenden Finanzierungsproblemen der Sozialversicherung zu rechnen. Aber Werner Faymann setzt seinen Ehrgeiz darein, die notwendige Schließung unren­tabler Postämter zu behindern, und Josef Pröll vergeudet die Zeit, indem er der SPÖ Fragen stellt, deren Beantwortung er sich an seinen zehn Fingern ausrechnen kann.

Dabei sollte nicht nur die Sorge um das Wohl des Landes SPÖ wie ÖVP zu maximaler Effizienz bewegen, sondern es sollte beiden die durchaus egoistische Sorge ums eigene Fortkommen im Genick sitzen: Wenn diese rot-schwarze Koalition nicht endlich erfolgreich funktioniert, ist die FPBZÖ in fünf Jahren die mit Abstand stärkste Partei im Land und wird sich einen roten oder schwarzen Juniorpartner suchen.

Natürlich macht Faymann es Pröll nicht leicht: Da hat er eben erst miterlebt, wie das Hinauszögern einer ­vollen Privatisierung der AUA Milliarden gekostet hat – und prompt greift er in die Privatisierung der Post in genau dem Geist ein, in dem er am AUA-Debakel mitgewirkt hat, als er unter dem Applaus von „Krone“ und „Österreich“ auf 25 Prozent Staatsanteil bestand. Und sonnt sich wieder im Applaus der Volksverdummer. Die SPÖ als Wirtschaftspartei ist seit dem Abgang des Hannes Androsch zugegebenermaßen eine Zumutung: von der Abschaffung sinnvoller Studiengebühren bis zur Schnapsidee einer Mehrwertsteuerhalbierung für Lebensmittel.

Dabei sollte man meinen, dass die Entwicklung in den USA doch eindringlich vorgeführt hat, wohin eine Wirtschaftspolitik führt, bei der der Staat mit vollen Händen Geld unters Volk streut, das er nicht einnimmt: Natürlich war es ungemein populär, dass Ronald Reagan, Bill Clinton und George Bush jedem Amerikaner zu einem eigenen Haus verhelfen wollten – aber das Ergebnis war jene Subprime-Krise, die derzeit unser aller Problem ist. Es geht da nicht um „neoliberal“ oder „sozial“, sondern um etwas ganz Simples: Man kann nicht leichtfertig mehr ausgeben, als man hat. (Auch Keynes hat das keineswegs vorgeschlagen, sondern wollte, dass der Staat in Phasen ­einer schweren Rezession Investitionen in die Infrastruktur vornimmt, die die Wirtschaft ankurbeln und diese Ausgaben letztlich wieder einspielen – das ist etwas anderes als das Verteilen von Geschenken.) Christian Ortner zieht in der „Presse“ aus der wirtschaftlichen Unbelehrbarkeit der SPÖ den Schluss, dass die ÖVP sich ihr als Koalitionspartner verweigern sollte: „System­erhalter im System Faymann“ zu sein führe sie zwingend in die nächste schwere Wahlniederlage, „umso mehr, als die Sozialdemokraten ihrem Juniorpartner eine Rolle zuweisen werden, die das masochistische Bedürfnis der ÖVP lustvoll bedienen wird: die Rolle dessen, der die notorische ­Neigung der Sozialdemokratie zum Ausgeben von nicht vorhandenem Geld domestizieren muss.“ Am meisten verliert die Volkspartei dann, wenn Faymann seine Sache relativ gut macht, denn dann wird der Erfolg der Kanzlerpartei zugeschrieben.

In jedem Fall wird die kommende Legislaturperiode eine für die Bevölkerung vergleichsweise schmerzhafte sein, und in der Opposition kann die ÖVP das zweifellos besser ­ausnutzen, als wenn sie mitregiert. Es wäre nur, fürchte ich, ein Desaster für Österreich. Faymann müsste, um regieren zu können, auf jene ­berühmten „wechselnden Mehrheiten“ setzen, die er bei seinem „Fünf-Punkte-Programm“ genutzt hat. Und das kann nur zu einer Flut unbedachter Ausgaben führen, denn jeder seiner wechselnden Partner wird für seine Zustimmung ein „Zuckerl“ für die eigene Klientel fordern. Das ist der sicherste Weg in eine österreichische „Schuldenkrise“.

Der ÖVP eröffnete sich freilich die Chance, vielleicht schon in der Mitte der Legislaturperiode eine Koalition mit FPÖ und BZÖ zu bilden, die SP-Minderheitsregierung zu stürzen und wieder selbst zu führen. Aber glaubt sie wirklich, dass man schwierige Probleme mit Ministern vom Format Peter Westenthalers oder Heinz-Christian Straches und gegen die Gewerkschaften lösen kann? Ganz abgesehen davon, dass Strache sich ihr verweigern wird, denn er hat begriffen, dass er als rechter Juniorpartner der ÖVP nur verlieren kann. Es ist für ihn ungleich sinnvoller, in fünf Jahren mit einer geschwächten SPÖ zu koalieren. Es ist leider so: Die ÖVP muss wieder einmal „staats­tragend“ in eine nicht mehr wirklich „große“ Koalition ­einsteigen und versuchen, unter Hintanstellung des eigenen politischen Vorteils das relativ Beste daraus zu machen.