Das Ende des Schweigens

Das Ende des Schweigens

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Es gibt praktisch keinen höheren Kirchenmann mehr, der die Vorgänge im Priesterseminar von St. Pölten deckt und die schrulligen Erklärungsversuche des Bischofs („Weihnachtsfeier“) auch nur ansatzweise ernst nimmt. Die gesamte Kirchenspitze, die Laienorganisationen, alle ernst zu nehmenden katholischen Publizisten des Landes und zuletzt sogar Radio Vatikan haben auf die Ereignisse mit großer Sorge und in klarer Sprache reagiert.

Außerhalb von Kurt Krenns Diözese versucht niemand mehr, etwas zu verdecken, etwas zu verschweigen oder Schuldige schützen zu wollen. Die katholische Kirche in Österreich will diesmal schonungslose Aufklärung, und das ist beruhigend: Es zeigt, dass sie bereit ist, Meinungen zu revidieren, dass sie in der Lage ist, dazuzulernen.
Im April 1995 – profil hatte eben über die Vorwürfe eines ehemaligen Zöglings von Kardinal Hans Hermann Groer berichtet – hatten fast dieselben Akteure, die jetzt von Krenn klare Rechenschaft verlangen, noch ganz anders gehandelt. Kathpress-Chef Erich Leitenberger und Caritas-Direktor Helmut Schüller – heute entschlossene Aufklärer – saßen damals in einem Krisenstab, der seine Hauptaufgabe im Zudecken sah. Groers Ehre werde „geschändet“, hatte der Eisenstädter Bischof Paul Iby profil vorgeworfen. Der damalige Wiener Weihbischof Christoph Schönborn vermeinte gar „Verleumdungspraktiken im Stil der Nazizeit“ auszumachen.

„Noch ein paar Tage, und Österreichs Bischöfe schlagen Kardinal Groer als nächsten Papst vor und fordern Scheiterhaufen zur Verbrennung von profil“, schrieb Peter Michael Lingens damals im „Standard“.

Heute ist alles anders, und das macht Mut. Gewiss: Diesmal geht es um Studenten und Leitungspersonal eines Priesterseminars und nicht um einen Kardinal und Erzbischof – da ist der Verteidigungsreflex schon etwas leichter zu unterdrücken. Dennoch entstand in den vergangenen Tagen das Bild ernsthaften Bemühens.
Das ist nicht zuletzt auf die Leistung von Groers Nachfolger als Kardinal und Erzbischof, Christoph Schönborn, während der Trauer- und Begräbnisfeierlichkeiten für den verstorbenen Bundespräsidenten zurückzuführen. Schönborn hat im richtigen Ton den Umgang des „bürgerlichen Lagers“ mit Thomas Klestil gerügt. Und er hat während der Trauerfeier im Parlament und dann beim Requiem im Stephansdom ohne Umschweife die Witwe angesprochen, die für ihn – eine kirchliche Trauung gab es ja nicht – eigentlich gar nicht existieren dürfte.

Damit sind wir beim springenden Punkt. Denn so beeindruckend das Auftreten Schönborns auch war, so mutig er die Engherzigkeit seiner Kirche gegenüber geschiedenen Gläubigen kritisierte: Am Kirchenrecht kommt auch er nicht vorbei.
Nichtkatholiken, wie dem Autor, könnte dieses im Lauf der Jahrhunderte gewachsene Regelwerk in seiner himmelschreienden Rückständigkeit und Lebensfremde egal sein, würde ihnen nicht vor Augen geführt, wie es Menschen demütigt und kränkt. Thomas Klestil und seine Frau empfanden es tatsächlich als schwere Erniedrigung, während einer Messe nicht zur Kommunion gehen zu dürfen.

Noch schlimmer ist natürlich der Umgang der Kirche mit Fragen der Sexualität. Eine Institution, die sich nicht einmal durchringen kann, Kondome zu erlauben, wird zur Karikatur und agiert in Zeiten von Aids gemeingefährlich. Eine Kirche, die – wie der Salzburger Weihbischof Andreas Laun – Homosexualität als Krankheit ansieht, die man auszuheilen habe, begibt sich in die Welt mittelalterlicher Inquisitoren und Exorzisten. Eine Organisation, die von ihrem Personal absolute sexuelle Enthaltsamkeit erzwingt – und das ein Leben lang –, fördert Verlogenheit und Heuchelei.

Das ist der Boden, auf dem es dann immer wieder zu Übergriffen von Erziehern kommt, wie im Fall Groer, oder zu verschwitztem, wenn nicht gar strafrechtlich relevantem Umgang mit der Sexualität, wie im Sankt Pöltner Seminar.

Nach der Affäre Groer – und als Konsequenz daraus – formierte sich das Kirchenvolks-Begehren, in dem die Basis ihren Hirten die Meinung über deren Verhalten beim beschämenden Vertuschungsversuch sagte. Diese scheinen die Botschaft verstanden zu haben, wie die jüngsten Reaktionen zeigen.

Das freilich genügt nicht, den Grundwiderspruch einer Glaubensgemeinschaft aufzulösen, deren Regulativ in längst versunkenen Zeiten entstand. Den ganz großen Wurf, den Rückzug aus den Bereichen der höchstpersönlichen Lebensgestaltung, kann nur die gesamte Kirche vollbringen. Das mag heute utopisch klingen – ebenso utopisch wie in den dreißiger Jahren der Rückzug der Kirche aus der Politik.
Und doch hat es ihn schließlich gegeben. Es gilt das Prinzip Hoffnung.