ÖGB Skandal: Das Geheimnis der drei B

Das Geheimnis der drei B

Beim Gewerkschaftsbund liegen die Nerven blank

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1,3 Millionen Mitglieder im Lande sind aufgerufen, drängende Fragen aus dem Gewerkschaftsalltag zu beantworten: „Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Gewerkschaft für Ihre Berufsgruppe?“ Oder: „Was liegt Ihnen im Zusammenhang mit der Gewerkschaftsreform besonders am Herzen?“ Vor allem aber: „Wie soll die Gewerkschaft die Interessen der ArbeitnehmerInnen gegenüber der Regierung und der Arbeitgeberseite in Zukunft vertreten?“

Zukunft. Regierung. Zwei Begriffe, die im Lichte der jüngsten Entwicklungen in und um den Gewerkschaftsbund eine schicksalhafte Deutung erfahren. Der ÖGB hat derzeit Außenstände von annähernd 2,5 Milliarden Euro. Vermögen? Relativ. Der einzig nennenswerte Aktivposten ist die zum Verkauf stehende Bawag. Oder, wie es Gewerkschaftspräsident Rudolf Hundstorfer erst Ende vorvergangener Woche formulierte: „Wir sind nicht im Stadium der Insolvenz, sondern bemühen uns, alle unsere wirtschaftlichen Probleme aufzuarbeiten. Selbstverständlich hängt vieles von einem optimalen Verkauf der Bawag ab.“

Und genau da beginnt es sich zu spießen. Bis 8. September haben potenzielle Interessenten noch Zeit, der mit dem Verkauf betrauten Investmentbank Morgan Stanley unverbindliche Angebote zu unterbreiten. Ab Oktober werden den Bietern dann jene vertraulichen Daten zugänglich gemacht, die letztlich über den tatsächlichen Verkaufspreis entscheiden werden.
Doch schon jetzt scheint klar: Die Bawag wird kaum jenen Preis erzielen, den der ÖGB braucht, um alle Schulden zu tilgen. Weshalb im ÖGB klammheimlich an einem Masterplan zur Rettung und Sanierung der Gewerkschaftsbewegung gefeilt wird. Ein Plan, der in erster Linie die Regierung in die Pflicht nehmen könnte. Demnach erwägt die Gewerkschaftsspitze ernsthaft, der Republik für den Fall der Fälle eine Finanzspritze abzupressen, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Intern ist von einem Kapitalbedarf von bis zu 500 Millionen Euro die Rede. Bestätigen will das so vorerst naturgemäß niemand. „Wir sind guter Hoffnung, dass die Erlöse aus dem Bawag-Verkauf unseren Erwartungen entsprechen“, sagt ÖGB-Finanzchef Clemens Schneider.
Und wenn nicht? „Dann hätten wir ein echtes Problem. Wir lassen uns deshalb vorsorglich von Insolvenzrechtsexperten beraten.“
Laut einem vertraulichen „Arbeitspapier“, welches Schneider Spitzengewerkschaftern in einer Sitzung der so genannten Projektgruppe 07 am 14. Juni erläuterte, sitzt die Gewerkschaft auf Außenständen von 2,66 Milliarden Euro. Der Finanzchef relativiert: „Die Zahlen stimmen so nicht mehr. Uns sind damals bei der Erstellung des Papiers Fehler unterlaufen.“ Die tatsächlichen Verbindlichkeiten belaufen sich demnach auf 2,13 Milliarden Euro, hinzu kommen fällige Rückstellungen in der Höhe von 315 Millionen Euro, insgesamt also fast 2,5 Milliarden Euro.

Völlig unklar ist vorerst, wie die Regierung allenfalls in die Pflicht genommen werden könnte. Ein direkter Kapitaleinschuss scheint eher ausgeschlossen. Realistischer wäre eine öffentliche Haftung für Verbindlichkeiten der Organisation. Eine derartige Bürgschaft gibt es zwar bereits – sie gilt allerdings nur für die Bawag und nicht für den ÖGB selbst. Schneider sagt dazu nichts. „Das ist zur Stunde reine Spekulation. Sollten wir am Ende des Tages wirklich auf Schulden sitzen bleiben, werden wir uns um eine machbare Lösung bemühen.“
Entscheidend ist, das leuchtet allen Beteiligten ein, der Bawag-Verkaufspreis.

Zur Disposition stehen 100 Prozent der Anteile an der – so der sperrige vollständige Firmenwortlaut – Bawag P. S. K. Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse Aktiengesellschaft: mit einer konsolidierten Bilanzsumme von zuletzt 57,9 Milliarden Euro Österreichs viertgrößte Bankengruppe; 7100 Mitarbeiter; 1,3 Millionen Privatkunden; 238 Filialen, dazu die Nutzung von 1330 Außenstellen der Österreichischen Post, über die ebenfalls Bankprodukte vertrieben werden.

Wenig Substanz. Neben dem soliden, aber nicht brüllend ertragreichen Bankgeschäft werden die Interessenten vor allem eine Kennzahl zu würdigen haben: das so genannte Kernkapital, also im Wesentlichen die Addition aus dem vom Eigentümer ÖGB gezeichneten Grundkapital und den bankeigenen Reserven. Das Kernkapital bildet die Substanzkraft eines Instituts ab und dient daher als Basis jeder Bewertung. Zum 31. Dezember 2005 wies die Bawag ein Kernkapital in der Höhe von 2,2 Milliarden Euro aus. Dies allerdings auch nur deshalb, weil die Republik Österreich zuvor eine zeitlich befristete Haftung in der Höhe von bis zu 900 Millionen Euro übernommen hatte – diese war erforderlich geworden, weil die Bawag im Gefolge massiver Wertberichtigungen aus dem Refco-Komplex aus eigener Kraft gar nicht hätte bilanzieren können.

Die Bürgschaft des Bundes erlischt mit dem Verkauf der Bank, spätestens aber mit 1. Juli 2007. Wer immer die Bawag erwirbt, muss zum Kaufpreis auch bis zu 900 Millionen Euro einkalkulieren, welche die Bank zur Bilanzierung benötigt. „Bei der Bewertung der Bawag wird man die Haftung des Bundes jedenfalls in Abzug bringen müssen“, sagt ein involvierter Investmentbanker, „das drückt naturgemäß den Preis.“
Soll heißen: Unter Abzug der Haftung blieben vom Bawag-Kernkapital rechnerisch nur mehr 1,3 Milliarden Euro übrig. Zufall oder nicht: Die Summe entspricht genau jenem Betrag, zu welchem der ÖGB die Bawag derzeit in den Büchern führt.

Bankhäuser werden international zwar immer mit einem bestimmten Aufschlag – im Fachjargon „Multiple“ – gehandelt. Dieser orientiert sich jedoch maßgeblich am Ertragspotenzial. Und das ist bei der Bawag, welche hauptsächlich im inländischen Privatkundengeschäft tätig ist, eher limitiert. Weshalb der ÖGB bei entsprechender kaufmännischer Vorsicht aus dem Verkauf eher weniger als zwei Milliarden Euro budgetieren wird können. Zu wenig, um allein schon die ausgewiesenen Verpflichtungen von 2,5 Milliarden Euro zu decken.
Eine Millionenspritze des Bundes würde den ÖGB möglicherweise vor dem finanziellen Schocktod bewahren. Damit allein, das dürfte Präsident Hundstorfer und Finanzchef Schneider mittlerweile klar sein, kann es aber nicht getan sein. Noch heuer soll die ÖGB-Zentrale in der Wiener Innenstadt verkauft werden. Daneben wird der Gewerkschaftsspitze wenig übrig bleiben, als die Funktionäre auf noch weitaus unpopulärere Maßnahmen einzuschwören. Ähnlich der Vorgangsweise des Klassenfeinds soll nun auch dort gespart werden, wo die größten laufenden Kosten anfallen: beim Personal.

Neben der Peinlichkeit, ausgerechnet als Gewerkschaft Einkommenskürzungen über den Kopf der Mitarbeiter hinweg beschließen zu müssen, werden Hundstorfer, Schneider und Kollegen damit zur leichten Beute der Volkspartei im anlaufenden Wahlkampf. Besonders Werner Amon, der Generalsekretär des ÖVP-Arbeitnehmerbundes ÖAAB, schießt sich auf die Gewerkschaft ein.

Harter Sparkurs. In den vergangenen Wochen kamen tröpfchenweise Details der Sparpläne des ÖGB an die Öffentlichkeit. Sie entstammen dem Arbeitspapier der Projektgruppe 07, datiert mit 14. Juni. Neben der Finanzmisere des ÖGB werden darin auch gebotene Reformen des Pensions- und Abfertigungssystems für ÖGB-Mitarbeiter skizziert. Diese stammen aus der Grundsatzabteilung der Gewerkschaft der Privatangestellten.
Im Mittelpunkt der Sparpläne stehen die betrieblichen Zusatzpensionen, die der ÖGB seinen Mitarbeitern zur gesetzlichen Rente gewährt. Laut dem vertraulichen ÖGB-Papier sind diese „Pensionsverpflichtungen die größte zukünftige Kostenbelastung und in Form der Pensionsrückstellung aktuell eine dramatische Belastung für das Budget bzw. die Bilanz“. Die „dramatischen Belastungen“ im Detail: Per 31. Dezember 2005 betrugen allein die ÖGB-Pensionsrückstellungen 233,6 Millionen Euro. Davon entfallen 125,4 Millionen Euro auf insgesamt 1255 ÖGB-Pensionisten, 108,2 Millionen betreffen 1397 aktive oder ausgeschiedene Gewerkschaftsmitarbeiter. Freilich sind diese Zahlen günstig angesetzt. Dem ÖGB-Dossier zufolge entsprechen die Rückstellungen zwar den gesetzlichen Bilanzerfordernissen, „wären aber nach internationalen Richtlinien um ca. 40 Prozent zu erhöhen“. Und zu allem Überdruss steigen die Kosten für die Pensionen „unabhängig von der Entwicklung der Anzahl der zukünftigen Mitarbeiter in den kommenden Jahren massiv weiter“.

Hohe Pensionen. Kein Wunder, dass im ÖGB drastische Sanierungsschritte bei den Betriebspensionen überlegt werden. Geltende Betriebsvereinbarungen sollen einseitig aufgekündigt und alle Mitarbeiter per neue Betriebsvereinbarung in ein Pensionskassenmodell übertragen werden. Die maximale Zusatzpension soll in Zukunft 20.000 Euro pro Jahr betragen. Heutige Anwartschaften könnten nach diesem Konzept bis zu 70 Prozent gekürzt werden. Und zum Drüberstreuen sollen auch die betrieblichen Abfertigungsansprüche, für die in der Bilanz derzeit 35,5 Millionen Euro rückgestellt sind, reduziert werden.
Das Einsparungsvolumen bei den aktiven Mitarbeitern wird mit 48 Prozent der bilanziellen Pensionsrückstellungen, also 52 Millionen Euro, angegeben. Neue Rückstellungen müssten nicht mehr gebildet werden.
Auch früheren Mitarbeitern soll ein Opfer abverlangt werden. Den ÖGB-Pensionisten wird die „Übertragung in ein beitragsorientiertes Pensionskassenmodell bei gleichzeitiger Reduktion der erwarteten Pensionshöhe angeboten“. Neue Witwen sollen nur noch 30 statt 60 Prozent der Zusatzpension des Verstorbenen erhalten.

Der Pensionsreformplan der ÖGB-Führung hat allerdings drei Schwachstellen: Mitarbeiter, Pensionisten und den Zentralbetriebsrat. Dessen Vorsitzender Gerhard Dobernig signalisierte bereits gedämpfte Zustimmungsbereitschaft: „Es gibt eine Schmerzgrenze beim Sparen.“
Doch die ÖGB-Führung will diese Schmerzgrenze ausloten: Laut internem Papier sei „arbeitsrechtlich ein Eingriff in diese Zusagen (betreffend die Zusatzpensionen, Anm.) für Aktive mittels Betriebsvereinbarung möglich“. Zur Sicherheit sollen dennoch alle ÖGB-Mitarbeiter mit rechtsverbindlichen Unterschriften den neuen Regelungen zustimmen.
Verweigern ÖGB-Pensionisten ihr Einverständnis, könnten ihre Pensionen zwangsweise gekürzt werden. Das damit verbundene „hohe Klags- und Prozessrisiko“ – so das interne Positionspapier – nimmt Hundstorfer bewusst in Kauf. Schließlich ist der Zeitdruck hoch: Bis Ende 2006 soll das Projekt Pensionsreform im ÖGB abgeschlosen werden.

Klagsreigen. Mittelfristig droht dem ÖGB allerdings eine Prozesslawine eigener Mitarbeiter, gegen die sich die Klage von Fritz Verzetnitsch – der Ex-Präsident fordert nach seinem Rausschmiss laut „Kurier“ vor dem Arbeitsgericht 800.000 Euro – wie ein Schneebällchen ausnimmt. Fazit des ÖGB-Papiers: „Arbeitsrechtliche Probleme (Klagen) mit Öffentlichkeitswirkung sind zu erwarten.“
Im ÖGB werden die drastischen Pensionsreformpläne, wie auch der Sanierungsbeitrag der Republik, als reines „Worst-Case-Szenario“ bezeichnet. Es würden in der Projektgruppe 07 eben alle theoretisch möglichen Fälle durchgespielt. Teilweise haben deren Zusammenkünfte allerdings auch Seminarcharakter – der dritte Punkt der Tagesordnung bei der Sitzung vom 14. Juni klang ziemlich nach einem Wifi-Kurs für angehende Gewerbetreibende: „Die drei B der erfolgreichen Rechnungslegung – Budgetieren, Bilanzieren, Berichtswesen.“