Leitartikel: Herbert Lackner

Das Geheimnis der Teflon-Männer

Das Geheimnis der Teflon-Männer

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In einer österreichischen Landeshauptstadt gab es in den siebziger Jahren einen roten Bürgermeister, der sich hoher Beliebtheit erfreute. Man mochte diesen leutseligen Stadtvater, und wenn er wieder einmal, wie so oft, schwer betrunken auftrat, sagten alle: „Jaja, unser Franz“, und mochten ihn noch mehr. Und sie mochten ihn auch, wenn er sich manchmal bei Zeltfesten gleich unter den Tisch erleichterte – zu gut aufgelegt, um den Weg zur Toilette zu suchen.
Ortswechsel. Als nach dem Platzen der „Oral Office“-Affäre bekannt wurde, dass sich US-Präsident Bill Clinton unter Zuhilfenahme von Zigarren mit einer Ferialpraktikantin vergnügt hatte, waren die Amerikaner kurz irritiert, standen ihrem gestrauchelten Anführer aber bald wieder mehrheitlich mir großer Sympathie gegenüber. Heute genießt Clinton als wohltätiger Elder Statesman höchstes Ansehen.
Manche Politiker können sich also Dinge erlauben, für die man jeden anderen sofort mit Schimpf und Schande verjagen würde. Oder kann man ernsthaft annehmen, dass etwa ein Minister dieser Bundesregierung im Amt bleiben könnte, würde er ständig sternhagelvoll durch die Landschaft wanken? Und selbstredend würden sowohl der österreichische Bundeskanzler als auch der Bundespräsident bei einer vergleichbaren Affäre mit einer Ferialpraktikantin sofort zum Rücktritt gezwungen (wobei den beiden Herren natürlich nicht unterstellt werden soll, sie würden zu solchem Verhalten neigen).
Aber so ist es eben: An manchen Politikern scheint sich eine Teflon-Schicht anzulagern, an der alles abperlt. Ihr Erfolgsrezept basiert vor allem darauf, authentisch zu sein: Vom leutseligen Bürgermeister erwartete man fast, dass er auch einmal einen über den Durst trank. Und dass der fesche Kampl Bill ein großer Womanizer vor dem Herrn ist, konnte man sich ebenfalls leicht vorstellen.

Womit wir beim aktuellen Teflon-Fall angelangt wären, jenem von Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Klarerweise ist sein Casus nicht mit den oben zitierten Beispielen vergleichbar, der Effekt ist es sehr wohl. Geheime Spenden von Interessengruppen, nicht versteuerte Vortragshonorare, überteure Dienstautos, geschenkte Designeranzüge, Jachtausflüge auf Kosten eines Bankiers, sanfter Druck beim Häuslkauf – bei fast jedem anderen Politiker hätte bereits einer dieser, sagen wir, „Vorfälle“ genügt, um ihn im Orkus der allgemeinen Verdammnis verschwinden zu lassen. In anderen Ländern sind Würdenträger schon wegen harmloserer Ausrutscher zurückgetreten.
Auch Karl-Heinz Grassers Beliebtheitswerte sind nicht mehr in den lichten Höhen von einst. Dennoch zählt der Finanzminister noch immer zu den geschätztesten Politikern des Landes. Laut APA-Vertrauensindex war Grasser Ende Juni hinter Heinz Fischer, Alexander Van der Bellen, Ursula Plassnik und Josef Pröll Österreichs fünftbeliebtester Politiker. Daran wird sich auch nach dem Auffliegen der Adria-Kreuzfahrt am Meinl-Boot kaum etwas ändern.
Laut einer in der Vorwoche im Auftrag von profil durchgeführten Umfrage hält es eine klare Mehrheit der Österreicher für durchaus in Ordnung, dass sich der Minister von einem Banker einladen ließ.
Der Grund für diese Großherzigkeit des Publikums gegenüber dem so stark auf seinen persönlichen Vorteil bedachten jungen Herrn liegt wohl ebenfalls in dessen Authentizität: Grasser hat schließlich nie vorgegeben, asketisches Mitglied eines Wohltätigkeitsvereins zu sein, er war stets ein ehrlicher Repräsentant der Ich-zuerst-Gesellschaft, der nichts peinlich ist. Folgerichtig steckte er sich eine Zeit lang eine Nadel mit seinen eigenen Initialen ans Revers: KHG. Andere umschmeicheln ihr Publikum mit Urlaubsreisen an den Klopeinersee und Bergwanderungen im Steirischen. Grasser spannt stolz auf den Malediven oder auf Capri aus. Zum Shoppen geht es nach New York.
Darum beneiden ihn viele – vor allem viele Männer: um seine schöne und noch dazu reiche Frau, um die Weltläufigkeit, den Waschbrettbauch und das Anwesen in Kitzbühel. Wer braucht da noch Anstand?

Ist es daher so, dass SPÖ und Grüne mit ihrer Kritik an Grasser diesem tollpatschigerweise zu noch mehr Popularität verhelfen, wie mein Kollege Peter Michael Lingens im vorwöchigen profil schrieb? Soll man Leute wie Grasser gewähren lassen, weil man gegen sie ohnehin nicht ankommt?
Wer so argumentiert, nimmt widerstandslos hin, dass ein Land moralisch versumpft, dass die Sitten verwildern und jene mühsam erkämpften Regulative, die zivilisierte Staaten von Bananenrepubliken unterscheiden, ausgehöhlt werden.
Es ist egal, ob Grasser die Kritik schadet oder nützt – sein Verhalten muss schon aus Gründen der politischen Hygiene kritisiert werden, auch wenn dies wie im konkreten Fall womöglich eine Mehrheit des Publikums anders sieht.
Hier geht es um viel mehr als um Parteipolitik. Schade nur, dass Grasser selbst das nie verstehen wird.