„Das Geld als Zauberstab“

„Das Geld als Zauberstab“

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Vielleicht gehören Sie auch zu den Leuten, die das Platzen der New-Economy-Blase Geld gekostet hat. Ich hatte das meine damals in die „professionellen Hände“ einer „Vermögensverwaltung auf höchstem Niveau“ gegeben, um mir nach einem Herzinfarkt jede Aufregung zu ersparen, und innerhalb eines halben Jahres hatten die Soros-Epigonen rund die Hälfte dessen vernichtet, was ich im Laufe eines langen Arbeitslebens erspart hatte.

Hätte ich die üblichen Kreditschulden gehabt, ich hätte mich aufhängen können.
Der eine oder andere Amerikaner, der seine Wertpapiere auf Kredit gekauft hatte, hat sich aufgehängt.

Dabei, so ergibt sich rückschauend, ist das Schlimmste gerade noch an uns vorbeigegangen, denn es waren ja keineswegs nur die New-Economy-Papiere dramatisch überbewertet, sondern alle – vor allem US-Papiere – um etwa die Hälfte. Hätte FED-Chef Alan Greenspan die Zinsen nicht auf das niedrigste Niveau aller Zeiten abgesenkt, es wäre vermutlich zum größten Kursrutsch aller Zeiten gekommen. Und der stand bekanntlich am Beginn der Weltwirtschaftskrise.

Wem das noch keinen genügenden Schrecken einjagt, der sollte sich mit dem international hoch angesehenen Wiener Professor für Finanzwissenschaften, Erich Streissler, unterhalten. Nach Streisslers Argumentation hat Greenspan die Krise nur hinausgeschoben und verstärkt. Denn statt dass die hoch verschuldeten Amerikaner nun endlich sparten, verschulden sie sich angesichts des billigen Geldes noch massiver und halten damit eine Scheinkonjunktur aufrecht, die demnächst abstürzen könnte.

Ebenso absturzgefährdet ist der Dollar, denn angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen könnten vor allem Chinesen und Japaner ihre riesigen Dollar-Reserven abstoßen (ein wenig damit begonnen haben sie bereits) und solcherart eine Weltwährungskrise auslösen.

Das sei Angstmache, werden andere Professoren einwenden. Und tatsächlich werden weit mehr Kommentare publiziert, wonach nichts passieren werde. Erstens, weil schon so lange nichts passiert ist, zweitens, weil Märkte sich selbst am besten regeln, drittens, weil Männer wie Greenspan die Dinge schon im Griff haben.

Vielleicht stimmt das. Vielleicht aber entspricht es nur der Art, in der wir allen wirklich großen Risiken begegnen: Wir schließen, solange wir können, die Augen.

Zwei Autoren, die Augen öffnen wollen, sind der Honorarprofessor für Wirtschaftsphilosophie in Klagenfurt, Erich Kitzmüller, und der Wirtschaftswissenschafter Herwig Büchele von der Universität Innsbruck, deren Buch „Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte“*) kürzlich erschienen ist. Beide sind „Außenseiter“ – nur dass sie recht Ähnliches wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, wie Erich Streissler oder George Soros sagen, die doch eher Insider sind.

Bücheles theologischer Rang provoziert die Sorge, dass das Buch Jung- und Altlinke in ihrem Sturmlauf gegen „Globalisierung“, gegen multinationale Konzerne und den „Kapitalismus“ im Allgemeinen bestärken könnte. Stattdessen nimmt es ihre Bedenken nur ernst: Es argumentiert – auf der Basis immenser Recherchearbeit – ungemein sachlich, diskutiert jede eigene These von allen Seiten, verkündet keine „Wahrheit“, sondern sucht sie. Vor allem aber geht es davon aus, dass die modernen internationalen Finanzmärkte mit ihren immer fantasievolleren Produkten für die wirtschaftliche Entwicklung (auch der armen Länder) unverzichtbar sind. Nur dürfe das den Blick nicht gegenüber den Risiken verschließen, die sie nicht nur insgeheim bergen, sondern die schon mehrfach – etwa in der Asien- oder der Mexiko-Krise – sichtbar geworden sind.

Es sind nicht der Missbrauch durch „Spekulanten“, das Versagen der Analysten oder die Fälschung von Bilanzen, die Kitzmüller und Büchele vor allem anprangern – obwohl sie diese Punkte eindrucksvoll aufzeigen –, sondern es sind, was sie die „systemischen“ Probleme der Finanzmärkte nennen: dass in ihnen der Zusammenhang zwischen ziffernmäßiger Darstellung und wirtschaftlicher Wirklichkeit kaum mehr erkennbar ist; dass die Gewinne mit dem Ausmaß der Ungewissheit und Undurchschaubarkeit steigen und Gleichheit der Information in keinster Weise gegeben ist; dass niemand die „Hebel“ und damit die Risiken immer kühnerer Finanzinstrumente kennt; oder dass angesichts der gigantischen Zahl der Akteure die Psychologie – das Herdenverhalten – eine neue Dimension erhält.

Vor allem: dass jenes institutionelle Regelwerk, das das völlige Entgleiten der nationalen Finanzmärkte aus jedem gesellschaftlichen Kontext einigermaßen verhindert hat, für die internationalen Finanzmärkte fast völlig fehlt. Wobei die Autoren sogleich die Problematik jeder Regulierung ansprechen: dass zu viel davon die Finanzmärkte in ihrem wirtschaftsnotwendigen Funktionieren einschränken könnte.

Außergewöhnlich wie das ganze Buch ist auch der Lösungsansatz, den es präsentiert. Nicht die Staaten seien in erster Linie geeignet, ein solches Regelwerk zu entwickeln – schon weil Politiker in Wahlperioden denken –, sondern die transnationalen Akteure selbst: Von Banken über Fonds und Versicherungen bis zu den Soros und Buffetts sollten sie sich mit NGOs, die alle möglichen Gegenpositionen repräsentieren, zu einem „Weltsolidarrat“ zusammenfinden, der die offenen Probleme permanent diskutiert und dessen Stimme die Staatsmänner nicht negieren können. n

*) Erich Kitzmüller, Herwig Büchele: „Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte“.
LIT Verlag, EUR 23,60.