Das blaue Gemetzel genießen

Das blaue Gemetzel genießen

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Vor etwa zwanzig Jahren bin ich zu Ostern mit Simon Wiesenthal in einem Gasthausgarten in Altaussee gesessen – bei gebratenen Saiblingen und herrlicher Frühlingssonne –, und plötzlich hat der damals noch nahezu jugendliche „Eichmann-Jäger“ im Essen innegehalten, sich wohlig zurückgelehnt und lachend zu mir herübergesagt: „Ist das nicht herrlich. Dass wir beide hier sitzen, und die Naziverbrecher, die hier einmal gesessen sind, verschimmeln unter der Erde oder hocken zitternd vor Angst in Argentinien oder in Paraguay.“
„Ja“, habe ich gesagt, „das ist herrlich.“

Ich will nicht behaupten, dass mich angesichts des Zerfalls der FPÖ ähnlich intensive Freudengefühle überkommen – aber ein gewisser Genuss ist mir die blaue Selbstzerstörung schon: zu erleben, wie das blaue Wien längst Istanbul geworden ist – niemand kann sicher sein, morgens nicht mit einem Hackl im Kreuz zu erwachen; zuzusehen, wie die Herren mit Schmiss einander rücklings erdolchen; zuzuhören, wie die einen „Haider, komm, wir folgen dir“ rufen, während die anderen ihn aus der Partei ausschließen wollen.

Was für eine köstliche Mischung aus teutonischem Gemetzel und Kasperltheater: Es wimmelt nur so von Krokodilen, aber der Kasperl muss ihnen gar nicht auf den Kopf hauen, denn sie fressen sich gegenseitig auf.

Dabei hat schon die Serie der blauen Wahlniederlagen mir kaum zu überbietenden Genuss beschert: mir vorzustellen, wie die geschlagenen Steirer Blauen einander damit trösten, dass sie zwar nur mehr eine halbe Portion sind, doch immerhin „ein kräftiges Lebenszeichen“ von sich gegeben haben. Oder mir auszumalen, wie Horst Jakob Rosenkranz seiner Frau Barbara nach der Niederlage in Niederösterreich vor versammelten Kindern Hedda, Ute, Alwine, Sonnhild, Volker, Hildrun, Mechthild, Arne, Horst und Wolf die Leviten gelesen haben könnte. Oder wie Vater John Gudenus mit Sohn Johann Gudenus beisammengesessen und ihn getröstet haben könnte: „Den angeblichen Untergang der FPÖ betreffend halte ich mich genauso raus wie bezüglich der Existenz von Gaskammern. Ich glaube alles, was dogmatisch vorgeschrieben ist.“

Doch alles wird übertroffen vom Genuss des nun vor aller Wähler Augen ablaufenden Gemetzels: Da fordert die steirische Landesorganisation angeblich Haiders Rückkehr an die Parteispitze, tags darauf korrigiert der stellvertretende Bezirksobmann von Knittelfeld, Wolfgang Zanger, es handle sich bei dieser Forderung um „Einzelmeinungen“, und „eine große Anzahl der Anwesenden“ habe den Vorschlag, Heinz Christian Strache zum neuen Parteichef zu machen, „mit Begeisterung aufgenommen“. Ihm springt der Grazer FP-Chef und stellvertretende Landesparteiobmann Gerhard Kurzmann bei: „Haider zurück an die Parteispitze zu holen war die Meinung einiger Sitzungs-teilnehmer – die Basis hat es anders gesehen.“ Worauf der Fürstenfelder FP-Chef und Gründer des „Club Jörg“,
Harald Fischl, ihn korrigiert: „Die Meinung der Landesleitersitzung ist sehr wohl einhellig für die Rückkehr Jörg Haiders gewesen.“

Nicht einmal in Haiders Heimatgau Kärnten herrscht Geschlossenheit: Landes-FP-Chef Martin Strutz begründet den Ausschluss seines Parteiideologen Andreas Mölzer damit, dass es diesem „nur um die Zerstörung der schwarz-blauen Koalition und um die Rache an Jörg Haider“ gegangen sei, während blaue Regierungsmitglieder sich erinnern, wie Haider in den vergangenen Jahren inbrünstig an der Zerstörung der schwarz-blauen Koalition gearbeitet hat, um Rache an Wolfgang Schüssel zu nehmen. Und während Barbara Coudenhove-Kalergi sich im „Standard“ kränkt, dass Haider die blauen Rechtsintellektuellen wie Andreas Mölzer oder Ewald Stadler durch bunte Bubis ersetzen will, kann Kärntens Landesgeschäftsführer Manfred Stromberger nicht verstehen, „welche Leute plötzlich einem politischen Schmalspurideologen wie Mölzer auf den Leim gehen“. Nur dass er mit diesen „Leuten“ nicht Coudenhove-Kalergi meint (die mir in den Sinn käme), sondern den Obmann des Kärntner Heimatdienstes Josef Felderer, der eine Resolution gegen den Ausschluss Mölzers unterschrieben hat.

Wer die FPÖ dennoch im Innersten verstehen will, sollte sich die Aufgabe des FPÖ-Parteischiedsgerichtes in den kommenden Monaten vorstellen: wie es nacheinander Anträge auf den Ausschluss Mölzers, Stadlers und Haiders wegen parteischädigenden Verhaltens prüft und dabei klassische freiheitliche Grundsätze zu beachten hat: Partei-schädigend ist sicher nicht, dass Andreas Mölzer in einem seiner Zeitungskommentare keinen Unterschied zwischen den Bomben der Alliierten und den Bomben Hitler-Deutschlands sehen konnte – wohl aber könnte parteischädigend sein, dass er nicht mehr an den Endsieg Jörg Haiders glaubt. Parteischädigend ist sicher nicht, dass Ewald Stadler nicht sehen konnte, dass Österreich 1945 „befreit“ wurde – wohl aber könnte parteischädigend sein, dass er Mölzer nicht ausgeschlossen sehen will. Parteischädigend ist sicher nicht, dass Jörg Haider SS-Männer, die ihrer Gesinnung treu geblieben sind, für besonders charakterstark gehalten hat – wohl aber könnte parteischädigend sein, dass er die FPÖ neu gründen möchte.

Man erkennt auf den ersten Blick: Hier steckt eine klassische liberale Partei die Grenzen des ihr Zumutbaren ab.