Interview: Das Handwerk der Macht

„Das Handwerk der Macht“

Van der Bellen über den Zustand der Grünen

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profil: Beim Festakt „20 Jahre Hainburg“ haben die Grünen die ÖVP scharf kritisiert. Hat Schwarz-Grün an Charme verloren?
Van der Bellen: Es gab scharfe Töne gegen die ÖVP und die SPÖ.
profil: Die ÖVP ist mit Ihnen auch unzufrieden. Klubobmann Molterer bemängelt, die Grünen würden in ihrem Bemühen um Äquidistanz immer konturloser.
Van der Bellen: Der macht sich Sorgen! Wir legen Wert auf ein grünes Profil, und da ecken wir bei allen an.
profil: Auch grüne Galionsfiguren wie Andreas Wabl warnen vor Beliebigkeit.
Van der Bellen: So? Ich glaube nicht, dass uns die Wähler mit ÖVP und SPÖ verwechseln. Wir sind kein Debattierklub, sondern kämpfen um die politische Macht in diesem Land.
profil: Sind die Grünen reif für höchste Regierungsämter?
Van der Bellen: Ja, aber es war nicht einfach für eine Partei, die aus dem Widerstand entstanden ist und sich zu einer Gestaltungspartei gewandelt hat. Ich habe die Regierungsbeteiligung in Oberösterreich nicht zuletzt deshalb begrüßt, weil wir hier das Handwerk der Macht trainieren können.
profil: Lassen sich die Erfahrungen übertragen? Rudi Anschober, grüner Landesrat in Oberösterreich, kann sich Schwarz-Grün im Bund derzeit schwer vorstellen.
Van der Bellen: Ich teile seine Skepsis. Wir liegen mit einigen ÖVP-Ministern im Clinch: mit Gehrer in der Bildungspolitik, mit Strasser in der Asylpolitik, mit Grasser in der Budgetpolitik. Die Frage ist, ob Schwarz-Grün in Oberösterreich zustande gekommen wäre ohne die Verhandlungen mit der ÖVP auf Bundesebene. Landeshauptmann Pühringer hat offenbar verstanden, dass die Grünen Profil zeigen können müssen.
profil: Das ist umso einfacher, je erfolgreicher sie bei Wahlen abschneiden. Woher sollen neue Wähler kommen?
Van der Bellen: Wir liegen im urbanen Bereich besser als im ländlichen. Das heißt aber nicht, dass wir in den Städten nicht noch wachsen können. Gleichzeitig müssen wir die Abwehrhaltung am Land überwinden. Dort hat vor allem die ÖVP ihre Mannen gut positioniert – von der Feuerwehr bis zum Bauernbund.
profil: Der FPÖ hat der Wechsel in die Regierung nicht gut getan. Fürchten Sie nicht, als Juniorpartner an die Wand gedrückt zu werden?
Van der Bellen: Das Schicksal der FPÖ ist selbst verschuldet. Nehmen Sie die Grünen in Deutschland: Nach den Schwierigkeiten in der ersten Amtsperiode haben sie bei allen Wahlen zugelegt. Ein Naturgesetz, dass es der Kleinere immer schwerer hat, gibt es nicht.
profil: Sie reden gerne von einer „grünen Handschrift“. Was darf man sich darunter vorstellen?
Van der Bellen: Vielen Menschen geht das Verknöcherte der SPÖ und der Machtanspruch der ÖVP mit ihren erzkonservativen Vorstellungen, etwa bei der Gleichstellung von Lesben und Schwulen, auf die Nerven. Wir Grüne stehen für Innovation.
profil: In welchen Bereichen?
Van der Bellen: Im Bereich Umwelt haben wir nach wie vor die höchste Glaubwürdigkeit. Künftig werden wir uns noch verstärkt um Bildung kümmern. Frau Minister Gehrer fehlt es hier an Verständnis und Initiative. Natürlich sind wir weiterhin eine Bürgerrechtspartei. Außerdem werden wir die Regierung auf inkonsequente Prioritätensetzungen hinweisen, etwa in der Frauenpolitik.
profil: Wie gefällt Ihnen Ihr zweiter möglicher Partner, die SPÖ?
Van der Bellen: Um es spöttisch zu sagen: Ich weiß jetzt, was „Freundschaft“ und Solidarität bedeutet. Gusenbauer hat es sich nicht verdient, so behandelt zu werden. Das kommt mir vor, als haute man jemandem mit einem Scheit in die Kniekehle, bis er zusammensackt. Und dann sagt man: Jetzt steh auf und gewinn die nächsten Wahlen. Wenn Gusenbauer seinen Genossen nicht passt, hätten sie längst einen anderen Kandidaten installieren müssen. Ihn zu beschädigen, ohne Ersatz zu haben, ist ein starkes Stück. Haben sich im Jahr 2000 so viele um seinen Job gerissen? Die Partei war bankrott. Gusenbauer hat einen Klub übernommen, der unfähig zur Opposition war. Zählt das nichts?
profil: Warum regt Sie sein Schicksal so auf?
Van der Bellen: Ich finde es schäbig, wie man mit ihm umgeht. Da wird beim Parteitag ein Antrag, keine Koalition mit der FPÖ einzugehen, mit großer Mehrheit angenommen, und dann kriegt Peter Ambrozy, der genau das in Kärnten gemacht hat, mehr Stimmen als Gusenbauer. Bin ich froh, dass ich nicht derjenige bin, der das erklären muss.
profil: Die SPÖ war in jüngster Zeit nicht sehr freundlich zu den Grünen: SPÖ-Geschäftsführerin Doris Bures kritisierte Ihre Position zur Neutralität als Anbiederung an die ÖVP.
Van der Bellen: Das ist Vorwahlkampf. Die ÖVP wird bis zum Wahltag sagen, Rot-Grün ist ausgemacht. Und die SPÖ wird sagen: Diese Grünen sind so verbürgerlicht, sie gehen sicher mit der ÖVP zusammen.
profil: Vor der letzten Nationalratswahl attackierte die ÖVP überraschend hart: Die Grünen würden den Bauern Geld wegnehmen, die Jäger entwaffnen und Haschtrafiken eröffnen. Rechnen Sie mit einer Wiederholung?
Van der Bellen: Kein Wahlkampf findet nur in der obersten Schublade statt. Zumindest können wir nicht mehr überrascht werden. Außerdem: Wären wir Zwangsvegetarier, Jägervernichter und Haschtrafikanten, dann wäre schwer zu erklären, warum die ÖVP in Oberösterreich mit uns regiert.
profil: Apropos regieren: Würden Sie die Abschaffung der ÖH-Wahl bei Koalitionsverhandlungen schlucken?
Van der Bellen: Die Methode, Kritik nicht erst entstehen zu lassen, durch Änderung von Wahlregeln oder indem man Leute mit Existenzangst bedroht, wie es Innenminister Strasser im Fall der Anwälte Bürstmayer und Lorenz gemacht hat, funktioniert mit uns nicht.
profil: Nimmt die ÖVP Sie in dieser Hinsicht ernst?
Van der Bellen: 2003, bei den Verhandlungen, war es unterm Strich nicht so.
profil: Im Bereich der Zuwanderung und Asyl hatten Sie sich mit der ÖVP damals geeinigt. Seither hat der Innenminister die Asylpraxis verschärft.
Van der Bellen: Ich halte das für ein wahltaktisches Manöver: Zum Teufel mit den christlich-sozialen Grundsätzen, wenn es gilt, die früheren FPÖ-Wähler zu binden.
profil: Wie stellen Sie sich eine schwarz-grüne Asylpolitik vor?
Van der Bellen: Ich bin lange genug in der Politik, um zu wissen, dass vor den Wahlen nicht gleich nach den Wahlen ist. Ich hoffe natürlich, dass die ÖVP für ihre Politik büßt. Und dann schaut die Sache anders aus.
profil: Sie haben kürzlich gesagt, je älter Sie werden, umso ungeduldiger werden Sie. Halten Sie es gegebenenfalls noch eine Legislaturperiode in der Opposition aus?
Van der Bellen: Ich zitiere Vranitzky, der auf ähnliche Fragen gesagt hat: Wenn ich zu dieser Brücke komme, werde ich entscheiden, ob ich drübergehe oder nicht.