Georg Hoffmann-Ostenhof

Das Jahr der Ratte

Das Jahr der Ratte

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2008 wird das große Wahljahr. In beiden sich einst im Kalten Krieg frontal gegenüberstehenden Supermächten, den USA und Russland, wird das höchste Amt, die Präsidentschaft, neu besetzt. Aber werden diese Urnengänge die internationale Politik beherrschen? Werden diese beiden Ereignisse, die wesentlich den Lauf der Welt bestimmen werden, tatsächlich das Jahr prägen?

Mediale Aufmerksamkeit ist dem jetzt bereits voll entbrannten amerikanischen Wahlkampf gewiss. Die handelnden Personen sind auch zu interessant: Wer wird ins Weiße Haus einziehen? Das erste Mal eine Frau, eine ehemalige First Lady, oder – was auch eine Premiere wäre – ein Schwarzer? Ein Mormone oder ein protestantischer Fundi? Aufregend. Und dass die Amerikaner Politik brillant inszenieren, wissen wir.

Der letzte Thrill freilich wird ausbleiben: Zwar weiß man nicht, welcher der Thronprätendenten schließlich das Rennen machen wird. Aber klar ist heute schon, dass eine fundamentale politische Wende bevorsteht. Das Ende der Bush-Ära hat faktisch schon vergangenes Jahr begonnen. Und wenn nicht noch Al Kaida sechs Jahre nach dem 11. September 2001 in den USA groß zuschlägt, ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dass der 42. Präsident der Vereinigten Staaten ein Demokrat sein wird. Politisch ist also keine große Überraschung zu erwarten.

Noch weniger in Russland. Es besteht kaum ein Zweifel daran, wer Nachfolger von Wladimir Putin wird: Sein Protegé Dmitri Medwedew wird ab März im Kreml residieren. Und Putin bleibt als zukünftiger Premier weiter an der Macht. Große Veränderungen gegenüber dem bisherigen Kurs sind nicht angesagt. Dafür, dass sich Putins politischer Ziehsohn gegen seinen Mentor emanzipieren wollte, ist es 2008 noch zu früh. Und auch sonst scheint Kontinuität und Stabilität garantiert. Es sei denn, ein drastischer Ölpreisverfall lässt das autokratische „System Putin“ wanken. Der ist aber höchst unwahrscheinlich.

Die Wahlen in den beiden Großmächten sind also nicht dazu angetan, echte Passionen zu erwecken.

Ein anderes Ereignis wird wahrscheinlich alles überstrahlen: Acht Minuten nach acht Uhr am 8. August 2008 beginnt in Peking die von Steven Spielberg mitchoreografierte Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele. 31.000 Journalisten aus der ganzen Welt werden anreisen, um über ein Ereignis zu berichten, für das die chinesische Regierung an die 40 Milliarden Dollar ausgeben wird. Wochenlang werden Milliarden Menschen ins Reich der Mitte blicken. Es wird, wie es die angelsächsischen Medien nennen, die lang erwartete „coming out party“ der neuen Supermacht.

Sportlich sind die Chinesen ohnehin auf der Überholspur. Höchstwahrscheinlich wird es ihnen in diesem Sommer gelingen, die USA, wenn es um die Anzahl der Goldmedaillen geht, zu überholen. Noch in den neunziger Jahren agierte China als olympischer Zwerg, Amerika als unschlagbarer Superchampion. Vor vier Jahren war es bereits sehr knapp. Heuer dürfte das Politbüro in Peking mit stolzgeblähter Brust verkünden können: Wir haben mehr olympisches Gold eingeheimst als das US-Imperium. Und das wird mehr als nur Sport bedeuten. Davon wird starke Symbolkraft ausgehen.

Die Olympischen Spiele werden das, was die internationalen Eliten schon wussten, der breiten Weltöffentlichkeit begreifbar machen: China ist ein neuer, mächtiger Global Player: Das Gerede von Amerika, der einzigen Supermacht, ist endgültig vorbei.

Dabei war 2007 bereits ein Wendepunkt: In diesem Jahr trug China mehr zum Wachstum der Weltwirtschaft bei als die Vereinigten Staaten. Die Chinesen konsumierten in absoluten Zahlen mehr Güter als die US-Bürger. Aber sie haben die USA auch beim Ausstoß von CO2 überholt.

Und die Führer dieses seltsamen Turbokapitalismus mit kommunistischem Antlitz werden, wenn alle Aufmerksamkeit auf ihr Land gerichtet ist, den Milliarden von Olympia-Zusehern sinnfällig vor Augen führen, welche schwindelerregende Entwicklung China gemacht hat: Die Menschen erlebten in zwei Jahrzehnten einen Prozess der Industrialisierung und Urbanisierung, für den Europa zwei Jahrhunderte brauchte. In diesen zwanzig Jahren sind dort nicht weniger als 400 Millionen Menschen aus dem Zustand der Armut herausgeholt worden.

Mit Angst wird man im Westen beobachten, wie die Manager chinesischer Staatsfirmen angereist kommen und ausschwärmen, um sich in Banken, Hedgefonds und auch strategischen Industrieunternehmen einzukaufen.
Ein anschwellendes China-Bashing ist zu erwarten. Protektionistische Tendenzen werden sich verstärken. Gleichzeitig aber wird man erstaunt registrieren, dass just China die Weltwirtschaft vor einer globalen Krise rettet. Der milliardenfache Hunger der Chinesen nach Konsum- und Investitionsgütern dürfte die vorausgesagte amerikanische Rezession international abfedern: Die ökonomische Verkühlung (oder Grippe?) jenseits des Atlantiks dürfte diesmal in den anderen Kontinenten keine Lungenentzündung auslösen. Dank Chinas.

Katastrophale Menschenrechtssituation, soziale Verwerfungen und ökologisches Elend: Die dunklen Seiten dieses so glänzend aufsteigenden Riesenreichs werden gleichfalls ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten.
2008 wird jedenfalls ein chinesisches Jahr. Ein Jahr der Ratte. Das beginnt dort in Ostasien Anfang Februar. Die Ratte steht in China für Reichtum und Fleiß. Bei uns im Westen hält sich freilich die Sympathie für dieses kluge Nagetier in engen Grenzen.