Das große Knabbern am Wählerkuchen

Das große Knabbern

Vielzahl von Kleinparteien will ins Parlament

Drucken

Schriftgröße

Schauplatz Wien-Favoriten, Viktor-Adler-Markt. „You can’t have it all“ spielt die „Hausband“, und Walter von „Taxi Orange“ versucht mit den Orangen einen neuen Karrierestart. Er hat schon vor größerem Publikum gesungen als beim BZÖ-Auftritt am Montag vergangener Woche, aber das trifft auch auf Peter Westenthaler zu. Der orange Spitzenkandidat müht sich redlich, die überschaubare Zuschauerzahl vor der Bühne zu halten und gegen „Wo ist der Strache?“-Rufe anzuschreien. Mit mäßigem Erfolg. Nur seine Attacken gegen Ausländer und seine Parole „Wir wollen Rot-Grün verhindern“ stoßen auf Zustimmung.

Der Wiener Meiselmarkt im ausländerreichen Rudolfsheim-Fünfhaus, vergangenen Donnerstag: blaue Luftballons, Freibier und Schlager aus den sechziger Jahren. Der Beifall kommt aus der Konserve, während Heinz-Christian Strache sein Ziel ins Visier nimmt: Kanzler Wolfgang Schüssel, den „sozialen Eiskasten“, den „Mini-Diktator“, den „Rechtsbrecher“.

Medienwahlkampf. Um sich derlei zu ersparen und gleichzeitig Geld zu sparen, setzt Hans-Peter Martin mit seiner Liste „Martin“ auf die Parteifarbe Weiß und einen Medienwahlkampf. Vor allem der „Kronen Zeitung“ gefallen seine Ansagen: gegen einen EU-Beitritt der Türkei, für die Neutralität, gegen Parteienfilz.
Vier Kleinparteien – FPÖ, BZÖ, KPÖ und „Die Weißen“ – rittern diesmal um den Einzug in den Nationalrat. Für ÖVP und SPÖ sind das keine rosigen Aussichten: Je mehr Gruppierungen den Sprung ins Parlament schaffen, desto realistischer wird die Not-Ehe zwischen Schwarz und Rot. Denn viele Kleine machen andere Mehrheiten fast unmöglich.
„Seriöse Wahlchancen haben alle Parteien. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir ein 7-Parteien-Parlament haben werden“, dämpft der Politologe Peter Filzmaier übertriebene Tagträume der Kleinkandidaten. Denn klar ist, dass jene zwanzig Prozent, die nicht für ÖVP, SPÖ oder Grüne optieren, sich nicht gleichmäßig auf alle Kleinparteien aufteilen werden.

Laut jüngster OGM-Umfrage im Auftrag von profil schaffen gerade einmal FPÖ und Martin den Sprung ins Parlament. Acht beziehungsweise vier Prozent werden ihnen in der Wählergunst eingeräumt. Das BZÖ hingegen klebt bei drei Prozent und würde daher den Einzug ins Hohe Haus nicht schaffen.
Die KPÖ rangiert überhaupt unter der Wahrnehmungsgrenze. Durch den Verzicht auf ihr Aushängeschild Ernest Kaltenegger haben die Kommunisten jede theoretische Chance auf Nationalratsmandate verspielt. Dennoch kann die KPÖ im Match auf den hinteren Rängen und um Zehntelprozentpunkte ihren Mitbewerbern schaden.

Protestwähler. Denn die Kleinparteien fischen im selben Wählerteich – bei Arbeitern, Pflichtschulabsolventen und Protestwählern – und nehmen einander damit Stimmen weg. So macht das Antreten von Hans-Peter Martin vor allem dem BZÖ zu schaffen. „Martins Kandidatur könnte für das BZÖ eine existenzielle Bedrohung sein“, sieht Politologe Fritz Plasser einen Überlebenskampf zwischen Weiß und Orange. Gleichzeitig schmälert Martin das Ergebnis der FPÖ: „Die FPÖ war auf dem Weg zu mehr als zehn Prozent. Durch Martins Antreten hat sie einen Rückschlag erlitten“, sagt OGM-Forscher Peter Hajek.
Dieser Wähleraustausch kommt nicht von ungefähr. Die Kleinen kannibalisieren sich gegenseitig, weil sie auf dieselben Themen setzen und für den durchschnittlich politikinteressierten Bürger auch dieselben Rezepte parat haben. Nuancen hören nur politische Feinspitze heraus. So wetteifern etwa FPÖ und BZÖ darum, wer am schnellsten die meisten Migranten abschieben wird. Beim Gerangel um die EU-Skeptiker wird es überhaupt eng: In ihrer Kritik an Brüssel und der EU sind sich alle vier einig. „Der Grundton ist die Verdrossenheitsmelodie“, sagt Plasser.
Echte Brutalität birgt allerdings die Auseinandersetzung BZÖ gegen FPÖ. Der Kampf um den dritten Platz am Stimmzettel war mehr als reiner Bestemm der Beteiligten. Denn die Trennung in Blau und Orange ist noch lange nicht beim potenziellen Wähler angekommen. „Viele rechnen mich immer noch zur FP֓, klagt ein oranges Regierungsmitglied.
Was die Wählerverwirrung bewirken kann, hat das BZÖ bei den steirischen Landtagswahlen vergangenen Herbst schmerzlich erlebt. Damals bekam BZÖ-Kandidat Michael Schmid von blauen Wählern mehr Vorzugsstimmen als von orangen Fans.

Rosenkrieg. Zornig erklärt denn auch Westenthaler die Entscheidung, wonach die FPÖ Platz drei und das BZÖ Platz fünf auf den Stimmzetteln bekommt, als „rechtswidrig“ und sieht darin einen „Racheakt der ÖVP“. Viel Lärm um nichts, urteilt hingegen ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka: „Österreich ist ein Land von Alphabeten. Die Leute wissen, wo sie ihre Partei finden.“
Ganz so klar dürfte dies freilich nicht sein – sonst hätten FPÖ und BZÖ nicht um den Zusatz „Freiheitlich“ prozessiert. Auch in diesem Punkt konnte Strache einen Etappensieg verbuchen: Das Zivilgericht untersagt dem BZÖ in einer einstweiligen Verfügung die Verwendung des Namens „Die Freiheitlichen“ auf Wahlplakaten. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, denn das BZÖ hat Rekurs eingelegt. Die FPÖ ist seit den Entscheiden merklich entspannt: „Damit ist das Rennen gelaufen“, heißt es intern.

Unbestreitbar hat die FPÖ noch ein Atout im Ärmel. Im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern kann sie auf eine funktionierende Parteistruktur zurückgreifen. Das ist in ihrem Wahlkampf, der mit fünf Millionen Euro veranschlagt wurde, unbezahlbar. Alles – vom Bühnenaufbau über Verteilung der Gimmicks bis hin zum Plakatekleben – wird traditionell von ehrenamtlichen Helfern erledigt. Sind solche nicht greifbar, muss jeder Handgriff entlohnt werden. Außerdem kann der Wählerkontakt mangels Funktionären nur über Postwürfe oder Anzeigen hergestellt werden.
Und das ist sündteuer. Kostenaufstellungen von Grünen und SPÖ zufolge sind für eine Postwurfsendung an 250.000 Haushalte 30.000 Euro aufzubringen, für 2100 Plakate österreichweit rund 240.000 Euro. Ein Kinospot (zwei Wochen Laufzeit) inklusive Herstellung schlägt mit 110.00 Euro zu Buche, ein Radiospot (sechs Wochen Laufzeit) mit 58.000 Euro.

Not macht bekanntlich erfinderisch. Da das BZÖ mit 4,2 Millionen Euro Wahlkampfbudget das Auslangen finden muss, besucht es vor allem Fremdveranstaltungen wie Feuerwehrfeste und Kirtage, um direkte Wählerkontakte herzustellen. Martin, der nach eigenen Angaben nicht mehr als eine Million Euro ausgeben wird, wirbt via Internet um freiwillige Helfer.
Traditionell sind die Chancen für ein Viel-Parteien-Parlament in Österreich gering. Jahrzehntelang, von 1959 bis 1986, teilten sich SPÖ, ÖVP, FPÖ die Parlamentssitze untereinander auf. Vor 1959 stellte die KPÖ die vierte Partei, seit 1986 sind es die Grünen. Nur kurz, 1993 bis 1999, gab das Liberale Forum als fünfte Partei im Nationalrat ein Gastspiel.

Dominanz. Auf entsprechend satten Mehrheiten saßen die Großparteien. Bis 1986 kamen SPÖ und ÖVP gemeinsam auf 90 bis 95 Prozent der Wählerstimmen. 1999, am Höhepunkt von Jörg Haiders Höhenflug, konnten die Großen nur mehr 60 Prozent der Wähler hinter sich vereinen.
Grob geschätzt 70 Prozent werden es nach dieser Wahl sein. „Natürlich knabbern die Kleinparteien an uns, ebenso wie an der ÖVP“, gibt SPÖ-Sprecher Josef Kalina zu. Dass vor allem Martin mit der SPÖ konkurriert, bestreitet Kalina jedoch: „Die 70 Prozent EU-Skeptiker können ja nicht lauter SPÖ-Anhänger sein.“
Martin wird Einschätzungen des SORA-Forschers Christoph Hofinger zufolge beiden Großparteien schaden. Auch die KPÖ wird die SPÖ „ein paar Prozentpunkterl kosten“, kalkuliert der frühere SPÖ-Zentralsekretär und heutige Pensionistensprecher Karl Blecha.
FPÖ und BZÖ wiederum konkurrieren mit der SPÖ um die Arbeiter und mit der ÖVP um einen Teil jener Wähler, die 2002, nach Knittelfeld, von Blau zu Schwarz flüchteten.

Generell sind die letzten Wahlkampfwochen eine schwere Zeit für Kleinparteien: Wenn sich SPÖ und ÖVP um Platz eins duellieren, interessiert das Match auf den hinteren Rängen wenig. Bei den steirischen Landtagswahlen entschieden sich viele Schwankende im Finish doch für SPÖ oder ÖVP. KPÖ und Grüne sackten zum Schluss ab, die hoch gehandelte Liste Hirschmann verpasste gar den Einzug in den Landtag.
Diesmal droht Ähnliches: „Ein Drittel der Wahlberechtigten schwankt zwischen zwei oder drei Parteien“, liest Ifes-Meinungsforscherin Imma Palme aus ihren Daten.

Nervosität. In den Parteizentralen von ÖVP und SPÖ wird die Entwicklung mit nervöser Aufmerksamkeit verfolgt. Wenn etwa BZÖ und Martin neben der FPÖ den Einzug ins Parlament schaffen, ist die große Koalition so gut wie fix – weil sich keine andere Mehrheit ausgeht und jeder das Risiko einer Dreierkoalition scheut.
Denn gegen die Wahlarithmetik kommt keiner an. Werner Zögernitz, Klubdirektor der ÖVP, kennt sie genau, und sie lautet vereinfacht: Wenn vier Parteien im Nationalrat sind, liegt die absolute Mandatsmehrheit bei 45 Prozent. Bei fünf Parteien steigt die Grenze für die Mehrheit auf 48, bei sechs auf 50 Prozent.
Eine Neuauflage der großen Koalition ist bei den Strategen in der Lichtenfelsgasse und der Löwelstraße gleichermaßen unerwünscht. Die neunziger Jahre haben gezeigt: Eine Zusammenarbeit zwischen den Großen stärkt nur die Kleinen.

Die Grünen wiederum plagen demokratiepolitische Albträume. Eine große Koalition mit über 67 Prozent Wählerzuspruch kann automatisch alle strittigen Gesetzesvorhaben in den Verfassungsrang verabschieden – ohne Opposition und unter Umgehung des Höchstgerichts.
Die Traumkonstellation für die Grünen ist der dritte Platz in der Wählergunst und ein Vier-Parteien-Parlament. Dann wäre sowohl eine schwarz-grüne als auch eine rot-grüne Mehrheit möglich, unabhängig davon, ob ÖVP oder SPÖ Erste werden. „Ich bin mir sicher, dass beide Parteien dann sehr beweglich sein werden, was unsere Koalitionsbedingungen betrifft“, kann sich Grünen-Geschäftsführerin Michaela Sburny einen Seitenhieb nicht verkneifen.
Für manche Spitzenkandidaten ist der Einzug ins Parlament freilich eine Existenzfrage.

Der Kommunist Mirko Messner kann bei einem Scheitern bleiben, was er ist: Parteiangestellter und Schriftsteller.
Hans-Peter Martin hat zumindest einen Parlamentssitz sicher – jenen im Europaparlament. Auch Heinz-Christian Strache hat schon ein Mandat, das im Wiener Landtag.
Nur für Peter Westenthaler, der seinen Job bei Magna aufgegeben hat, wäre das Erreichen der Vier-Prozent-Hürde auch seine persönliche Arbeitsplatzgarantie.
Das zumindest unterscheidet das BZÖ von den anderen Kleinparteien.

Von Eva Linsinger und Ulla Schmid