Musikindustrie:

Das Lied vom Tod

Das Lied vom Tod

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Wir schreiben das Jahr 2003, und Laien wie Experten beschwören unisono das "Ende der Musikindustrie". Ein wenig vorschnell vielleicht. Immerhin lockt eine Veranstaltung wie die dieswöchige Popkomm., vormals die größte Musikmesse der Welt, nach wie vor ein paar tausend Manager, Händler, Künstler und Fans an. Doch allein der Umstand, dass die Popkomm. nach 14 Jahren heuer zum letzten Mal in Köln stattfindet, weist auf einen Umbruch hin. 2004 wird nach Berlin übersiedelt - eine Destination, die sogar dort ansässige Kommentatoren höhnische Begleitschreiben abfassen ließ. Die Hauptstadt mit der höchsten Arbeitslosenrate Deutschlands, hieß es etwa in der "Berliner Zeitung", empfange die Branche mit der trübsten Krisenbilanz. Die Kölner planen derweil schon den feuchtfröhlichen Abschied von der Schimäre, der Nabel der globalen Musikwelt zu sein. Für kommenden Sonntag ist ein Popkomm.-Kehraus unter dem bezeichnenden Titel "PopGone" angekündigt.

Schluss mit lustig? Zumindest handelt es sich um den Anfang vom Ende der traditionellen Tonträger, um die nachhaltigste Revolution seit der Erfindung des Fonografen. "Die Branche muss sich bald komplett neu erfinden", weiß Sony-Music-Chef Balthasar Schramm. Digitalisierung, Internet, CD-Brenner und Download-Formate wie MP3, die längst zum Alltagsinventar der Zielgruppe gehören, haben die Spielregeln, Strukturen und Vertriebskanäle der Unterhaltungsbranche auf den Kopf gestellt.

Um 11,3 Prozent ging der Umsatz der deutschen Tonträgerindustrie im Vorjahr zurück, Österreich kam im Vergleich dazu noch mit einem blauen Auge davon (minus 7,9 Prozent). 260 Millionen Euro wurden 2002 hierzulande für Tonträger ausgegeben, und erstmals übertraf die Zahl der verkauften CD-Rohlinge (24 Millionen) jene der vorbespielten Musik-Disks (19 Millionen). Die Industrie nimmt an, dass der größte Teil davon für die Herstellung privater CD-Kopien verwendet wird.

Nun sind verschärfte Gesetzesregelungen in Kraft getreten, das Umgehen des Kopierschutzes oder der Verkauf so genannter "Crack-Software" werden mit Strafe bedroht. Die Musikindustrie geht parallel dazu zunehmend aggressiv gegen Nutzer von Internet-Tauschbörsen vor. In den USA wurden vor kurzem dutzende Studenten verklagt, teilweise auf absurde Millionenbeträge, tausenden flatterten Abmahnungen und Warnbriefe des Industrieverbands RIAA ins Haus. In Deutschland und Österreich begnügt man sich - noch - mit Abschreckungsrhetorik. Experten meinen immerhin einen ersten leichten Rückgang des Gratis-Musikkonsums prognostizieren zu können. Trotzdem rüsten sich die Plattenbosse für eine Fortsetzung der Talfahrt, die zudem immer rasanter wird: Für 2003 weisen die bisherigen Umsatzzahlen bereits ein zweistelliges Minus aus.

Auch Hype-Spektakel wie "Starmania", "Deutschland sucht den Superstar" und eine mittlerweile kaum überschaubare Anzahl von Fortsetzungen und Ablegern der zeitgeistigen TV-Talenteschuppen bringen nur begrenzte Entlastung. Zu unabwendbar erscheint das Verglühen der Sternschnuppen im Medienorbit, zu scheinheilig das Bekenntnis zum langfristigen Aufbau neuer Stars. Auch wenn Sony-Mann Schramm in "Spiegel Online" bedauert, dass "Musik immer weniger aufregend und emotional ist und immer mehr zum Hintergrundrauschen verkommt", wurde Sonys Österreich-Filiale angewiesen, sich gefälligst um eine "Starmania"-Kooperation mit dem ORF zu bemühen. Vergeblich: Den Jackpot holte sich wieder der Branchengigant Universal.

Ungeniert. Deutschland dagegen ist, bis auf das Sat.1-Format "Starsearch", fest in Bertelsmann-Hand. Dass man am Küniglberg das international erfolgreiche Konzept des "Pop Idol"-Erfinders Simon Fuller ebenso selbstbewusst wie ungeniert adaptierte, ohne allerdings Lizenzgebühren zu zahlen, mussten BMG-Zampano Thomas Stein und RTL-Chef Gerhard Zeiler widerwillig zur Kenntnis nehmen. Man sitzt irgendwie ja doch im selben Boot.

Für das Fernsehgeschäft kann und will Janko Röttgers, ein in Los Angeles lebender deutscher Medienjournalist, keine Prognosen abgeben. Für die Musikbranche sieht er allerdings schon mittelfristig schwarz. "Mix, Burn, R.I.P." (dpunkt Verlag) heißt ein druckfrisches Buch von Röttgers, das auf der Popkomm. jede Menge Leser finden dürfte. Denn der Autor prophezeit nicht weniger als den totalen Untergang der Tonträgerindustrie.

"MP3s, Tauschbörsen und die jetzt einsetzenden Verkaufseinbrüche", so Röttgers, "sind nur Vorboten einer sehr viel umfassenderen Krise, an deren Ende der Zusammenbruch einer gesamten Branche stehen wird. Parallel dazu entwickelt sich seit Napster eine neue Form der Musikwirtschaft, die anstelle von Tonträgern und Charterfolgen auf das Internet und Filesharing setzt." Die traditionelle Wertschöpfungskette habe sich überlebt, resümiert Röttgers.

Die Botschaft des engagierten Netz-Beobachters wird in Köln auf wenig Freude stoßen. "Dank [Tauschbörsen wie] Kazaa & Co konsumieren heute Millionen von Menschen viel mehr und viel spontaner Musik als je zuvor. 1-Euro-Downloads [wie etwa im Apple iTunes MusicStore, siehe Kasten] können damit nicht konkurrieren." All-youcan- eat-Angebote, sprich: Abonnements, wie sie die Konkurrenz noch recht zögerlich anbietet, würden für die Konsumenten zwar Sinn machen, erweisen sich jedoch für die Anbieter in der Praxis als ruinöse Investitionen. Ein für die Industrie, so Röttgers, unlösbares Dilemma.

Spiel mir das Lied vom Tod? "Es ist der Kampf der Kathedrale gegen den Basar", formuliert es der "Free Music"-Ideologe Ram Samudrala pathetisch. Kampflärm ertönt mittlerweile auch auf Nebenkriegsschauplätzen. So wird hierzulande von der Politik, namentlich von Kulturstaatssekretär Morak, unter dem Schlagwort "Stärkung des geistigen Eigentums" eine rasche Nivellierung des österreichischen Urheberrechts gefordert. Ebenso macht sich die Musikwirtschaft für eine Senkung des "wettbewerbsverzerrenden" hohen CDMehrwertsteuersatzes von 20 Prozent stark. Kulturgüter wie Bücher, Zeitungen, Kino, Theater, Konzerte seien schließlich auch nur mit zehn Prozent belastet.

Radio mit Format? Trockene Materie im Vergleich zum hochbrisanten Thema "Radioquote ". Die Entwicklung der Debatte in Deutschland - hier hatten sich zuletzt, ganz im Einklang mit den Spitzen der Industrie, Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, bayrische CSU-Lokalpolitiker für mehr deutschsprachige Heimatklänge in den Radioprogrammen ausgesprochen - wird mit Verzögerung auch in Österreich ihren Niederschlag finden.

Tatsächlich ist das Mainstream-Formatradio das erklärte Feindbild von Plattenbossen ebenso wie von Nachwuchsmusikern, die weit und breit keine Präsentationsplattformen für neue Klänge ausmachen. "Das Radio war einst Fenster zurWelt", klagt etwa der "Musikergilde"-Initiator und Ex-Falco-Gitarrist Peter Paul Skrepek. "Es ist zu einer Provinzbühne für Waschmittelpropaganda verkommen." Pikanterweise ist Skrepek auch ORF-Publikumsrat. Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Fonoverbände, schlägt vor, mit einer 50:50-Quote gegenzusteuern: 50 Prozent neue Songs, die etwa den ewig schmachtenden Phil Collins ablösen könnten, die Hälfte davon wiederum deutschsprachig. "Wir brauchen ein Radio mit Format und kein Formatradio" (Gebhardt). Vor allem Privatfunker haben umgehend zur Abwehrschlacht gegen die musikalische Zwangsbeglückung gerüstet. Die Einsicht, dass solch sensible Materie vor allem Goodwill auf allen Seiten benötigt, führt mittlerweile zu Skurrilitäten wie der in einem Branchenmagazin erhobenen Forderung nach einer "freiwilligen Zwangsquote".

Sentimental Journey. Letztlich dürfen all diese Initiativen unter dem Übertitel verzweifelter Geschäftsankurbelung verbucht werden. Doch der Trend degradiert den physischen Tonträger, an den sich die Gralshüter des tradierten Geschäftsmodells klammern, mehr und mehr zum nostalgischen Relikt, den Gang ins Plattengeschäft oder zum CD-Händler zur "sentimental journey". Hi-Fi-Magazine, die Zentralorgane engagierten Musikgenusses, sind mittlerweile voll mit Anpreisungen putziger Festplatten mit Kopfhöreranschlüssen (à la iPod, den Apple-MP3-Player, der laut "Stuff" dasselbe Kultpotenzial besitzt wie seinerzeit der Sony-Walkman), futuristischen File-Wurlitzern und Radios, die sich ihr Programm drahtlos aus dem Internet holen. High Fidelity wird zu "new-fi", zur New Fidelity, einem technikverliebten, optimistischen Vorwärtsdrall.

Als letzte Hoffnung für die gesamte Branche könnte sich eine simple Schlussfolgerung erweisen: Wenn die CD aus der Mode kommt, kommt auch die raubkopierte CD aus der Mode. Neue Geschäftsmodelle sind auch für die vormaligen "Plattenfirmen" der Silberstreif am Horizont. Legale Download-Tankstellen kommen allmählich in Schwung. Die Software- Firma Roxio kündigte etwa für Winter die - allerdings ihrer Piratenromantik beraubte - Wiedergeburt von Napster an.

Auch die deutsche Musikindustrie scheint sich, nach langem Hadern, untereinander und mit der Telekom geeinigt zu haben: Ein Nachfolgeprojekt zum Download- Portal popfile soll eine probate Alternative zu Apples iTunes Music Store bieten. Für betuchte Traditionalisten werden Mehrkanal-Surround-Tonträger wie die SACD oder die DVD-Audio forciert. UMTS- und Wireless-Broadband-Dienste will man mit Add-on-Services aufpeppen. Das Fachchinesisch steht für eine Palette an Dienstleistungen, die Töne aller Art zukünftig jederzeit und überall verfügbar machen werden - etwa via Handy oder Pocket-PC - und die man nach Lust und Laune um Bilder, Texte, Interviews, also Geschmacksverstärker aller Art, ergänzen können wird. Bezahlt wird pauschal oder auf Abruf, mit Minimalbeträgen, die sich allerdings schnell - siehe SMS und Klingeltöne - zu beträchtlichen Summen addieren.

Egal, ob die Zukunftsmusik via Handy, Funknetz oder Download erklingt: Die Taschengeld-Raubritter sterben nicht aus, unter Garantie.