Das Netzwerk des Werner Faymann

Das Netzwerk des Werner Faymann: Wie Freunde ihn ins Kanzleramt bringen wollen

Netzwerk in Partei, Medien & Wirtschaft

Drucken

Schriftgröße

Seine Gegner sagen, er lächle auch noch, wenn er einen abserviert. Langjährige Mitarbeiter schwärmen hingegen von der „Warmherzigkeit und Sensibilität“ des Chefs. Kritiker meinen, Faymann könne schon deshalb keine sozialdemokratische Politik vorgeben, weil er keine Vorstellung davon habe. Hannes Androsch, der noch keinen SPÖ-Vorsitzenden vorbehaltlos hofierte, meint, Faymann „weiß, was er will und wie man es erreicht“.

Das Rätselraten darüber, wie der designierte, aber weithin unbekannte Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei jetzt wirklich politisch tickt, beschäftigt derzeit die politischen Salons Wiens. Wobei es durchaus Überraschungen gibt, etwa wenn politische Gegner dem neuen SPÖ-Vorsitzenden etwas abgewinnen können. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer, meint, Faymann könne „Dynamik erzeugen“, sei allerdings „mit allen Wassern gewaschen“. Ex-Billa-Chef Veit Schalle, derzeit BZÖ-Abgeordneter, spricht von „gegenseitigen Sympathien“. Der ehemalige Baumanager Horst Pöchhacker, den Faymann an die Spitze des ÖBB-Aufsichtsrats entsandte, hält den SPÖ-Kanzlerkandidaten gar für einen „Idealfall in der Politik“.

So geteilt die Meinungen über Fay­manns Charakter sind – dass er das Ruder noch herumreißen und am 28. September auf Platz eins landen könnte, trauen ihm viele zu. Sein ganzes Erwachsenenleben hat der heute 48-Jährige in der Partei verbracht, in ihrer Jugendorganisation, in ihrer Mietervereinigung, in der Kommunalpolitik als Wohnbaustadtrat und schließlich als Infrastrukturminister. Mit einem kleinen Trupp von Vertrauten, die einander bis heute in familienähnlichen Strukturen verbunden sind, hatte er den Marsch durch die Institutionen absolviert, hatte die Gunst einiger Wirtschaftstreibender errungen und den Herausgeber der auflagenstärksten Zeitung des Landes auf seine Seite gebracht. Jetzt trägt der lange Marsch Früchte. In den nächsten zehn Wochen des Wahlkampfs wird sich weisen, wie tragfähig das Netzwerk des Werner Faymann wirklich ist.

Liesinger „Mafia“. Anfang der achtziger Jahre war bei den Wiener Jungsozialisten ein Grüppchen von 18- bis 20-Jährigen in Erscheinung getreten, das bis heute von sich reden macht: Doris Bures, nach einem Intermezzo als Frauenministerin jetzt wieder Chefin in der SPÖ-Zentrale, Wolfgang Jansky, jahrelang Pressesprecher von Faymann, derzeit Geschäftsführer der Gratiszeitung „Heute“, und Christian Deutsch, der nach den Nationalratswahlen zum Wiener Landesparteisekretär bestellt werden soll. Und eben Faymann. Faymann und Jansky hatten zuvor schon eine Schülergruppe gegründet ­(„Latein – Nein danke“), waren gegen das AKW Zwentendorf marschiert und von ­älteren SPÖ-Funktionären ermahnt worden, nicht auf die Schule zu vergessen.

Es war eine politische Zeit. Jugendliche gingen für autonome Jugendzentren auf die Straße, für den Frieden, gegen die Nazis und gegen Hainburg. Doch für die Karriereplanung, das war klar, sollte man in der Partei verankert sein. Faymann und seine Freunde engagierten sich in der SPÖ-Bezirksorganisation Liesing im Süden Wiens, wo der designierte SPÖ-Vorsitzende noch heute mit Kind und Frau, der Wiener Gemeinderätin Martina Ludwig, lebt. Die Liesinger-„Mafia“ soll der damalige Bundesvorsitzende der SJ, Josef Cap, heute SPÖ-Klubobmann, die Fay­mann-Gruppe einmal genannt haben, die in der Wiener Landesorganisation der Jungsozialisten bald ein Faktor wurde. 1981 wurde Werner Faymann zum Vorsitzenden der Wiener Jusos gewählt. Im Streit zwischen Linken und Rechten war er der kleinste gemeinsame Nenner gewesen. Unter ihm ging es nun aufwärts, wenn auch etwas pragmatischer. Schulungszirkel zur Einführung in den Marxismus wurden zwar weiterhin abgehalten, Schulungspass und Kontrollstempel jedoch abgeschafft. „Unser Ziel ist ein Selbstverwaltungssozialismus, der gleichzeitig mit sozialistischer Planung demokratische Entscheidung auf Ebenen berücksichtigt“, heißt es in einem während der Ära Faymann von der Wiener SJ verabschiedeten Grundsatzpapier.

Es war die Zeit, als man gegen die „Draken“-Abfangjäger kämpfte. Alfred Gusenbauer, damals Sekretär der Bundes-SJ, kritisierte, die SPÖ habe in dieser Frage ihre „Grundwerte als Koalitionspfand beim Eingang des Bundeskanzleramts abgegeben“. Faymann wurde intern vorgeworfen, er verhalte sich in der Frage der Abfangjäger zögerlich, weil er es sich nicht mit der Mutterpartei verscherzen wolle.

Vasallendienste. Faymann ging tatsächlich lieber serviceorientiert ans Werk. Mithilfe der Partei gründete er ein Zentrum, in dem Kurse für arbeitslose Jugendliche angeboten wurden. Im neuen, von der Stadt geförderten Jugendklub „Commune“ verschaffte er auch einigen Anhängern einen Job, was seine Stellung festigte. Die Attacken auf die Altvorderen erledigten seine Gefolgsleute: Doris Bures etwa quälte den damaligen Staatssekretär, den Liesinger Franz Löschnak, mit Fragen, warum er einen Dienstwagen brauche. Faymann schritt, wenn nötig, vermittelnd ein. 1985 kam er mit 25 als jüngster Abgeordneter in den Wiener Landtag. Am Tag der Angelobung erschien Faymann mit Fotografen der „Kronen Zeitung“ beim Tor des Rathauses, an dem er ein Plakat mit Forderungen der Jugend befestigte. Es wurde sein erster Auftritt auf dem Titelblatt der „Krone“. Der damalige Wiener Bürgermeister Zilk erkannte in Faymann ein Talent nach seinem Geschmack und legte ihn seinem früheren Arbeitgeber und Freund, „Krone“-Herausgeber Hans Dichand, ans Herz. Zilks Schützling bestand den Test bravourös: Bei Dichand trat Faymann geschnäuzt und gekampelt sowie überaus respektvoll an. Es war der Beginn einer tiefen Freundschaft.

Dass die „Krone“ zur selben Zeit fast rituell wüste Tiraden gegen „Jusos“ und andere Linke in der SPÖ vom Stapel ließ, störte den ehrgeizigen jungen Mann aus Liesing nicht. Schließlich hatte er ja auch schon selbst Erfahrungen mit ­Medien. Für das Liesinger SPÖ-Lokalblatt „Dein Bezirk und Du“ hatte der Jungspund so energisch Inserate gekeilt, dass die Zeitung ihr Erscheinen von vierteljährlich auf monatlich umstellen konnte. „Er war ein Organisationsgenie“, schwärmt Reinhold Suttner, ehemaliger Bezirksvorsteher von Liesing, noch heute. Suttner, später Wiener Wohnbaustadtrat, hatte in Faymann das Interesse für das Thema Wohnen und den damit verbundenen Machtfaktor geweckt. Faymann ging in die SPÖ-nahe Mietervereinigung, Jansky und Deutsch gingen mit, Doris Bures kam nach.

Dort traf er auf Josef Ostermayer, einen Juristen aus einer sozialdemokratischen Familie im burgenländischen Schattendorf. Ein Großonkel Ostermayers war jenes Kind, das 1927 von rechtsradikalen Frontkämpfern erschossen worden war. Deren Freispruch hatte zu gewalttätigen Demonstrationen und zum Justizpalast-Brand geführt. Ostermayer folgte Faymann ins Rathaus und ins Ministerium und ist bis heute sein engster Vertrauter. Als Faymann wegen des „Krone“-Briefes von SPÖ-Mandataren öffentlich kritisiert wurde, griff Ostermayer zum Handy und stutzte die Abgeordneten zurecht. 1988 tauchten Mietervereinigungs-Unterlagen über angeblich nicht versteuerte Aufwandsentschädigungen in der „Kronen Zeitung“ auf, die neben anderen der damalige SPÖ-Zentralsekretär Heinrich Keller bezogen hatte. Bürgermeister Zilk forderte unter wildem Getöse der „Krone“ Konsequenzen. Keller trat als Präsident der Mietervereinigung und als Zentralsekretär zurück und verließ die Politik. Wie sich nachträglich herausstellte, hatte er keineswegs Steuern hinterzogen, sondern bekam sogar Geld vom Finanzamt zurück.

Josef Cap folgte Keller als SPÖ-Zentralsekretär, Faymann wurde Präsident der Mietervereinigung und hatte bald eine regelmäßige Kolumne in der „Krone“ mit Tipps zu Mietfragen. Duplizität der Geschichte: Im Juni dieses Jahres forderte Zilk abermals in der „Krone“ einen Rücktritt – den Alfred Gusenbauers – und ebnete damit neuerlich den Weg für Werner Faymann. Der Präsidentenposten in der Mietervereinigung war für den jungen Gemeinderat ein tolles Sprungbrett. Schon 1994 beerbte er den zum Finanzstadtrat beförderten Rudolf Edlinger und wurde Wohnbaustadtrat. Damit war Faymann Herr über 222.000 Gemeindebau- und 100.000 Genossenschaftswohnungen und der größte Auftraggeber im Wohnungsneubau. Und er war jetzt ein Politiker, bei dem Bauherren und Architekten gerne anti­chambrierten.

Nützliche Geschäfte. Eine Million Euro standen dem Stadtrat jährlich allein für die Bewerbung von Wohnprojekten der Gemeinde Wien in den Zeitungen zur Ver­fügung. „Kurier“ und „Kronen Zeitung“ ­hatten ab Mitte der neunziger Jahre regelmäßig Wohnbeilagen – später zogen „Presse“ und Standard“ nach –, die aus Fay­manns Budget üppig gesponsert wurden. Im redaktionellen Teil der „Krone“ hatte Faymann zusätzlich einmal pro Woche eine Doppelseite mit Werbefotos der geplanten Wohnhäuser und eine Kolumne zur Verfügung. Diese „Medienkooperation“ zu beiderseitigem Nutzen hat die Zeiten überdauert. Als Verkehrsminister plaudert Faymann in der „Krone“ jetzt unter dem Titel „Der Minister antwortet“ regelmäßig auf von den ÖBB bezahlten Seiten – zuletzt vergangenen Freitag auch über seine aktuellen Urlaubspläne mit der Tochter. Die Verbindungen sind dicht: Faymanns Pressesprecherin Angelika Feigl ist mit „Krone“-Ressortleiter Claus Pándi liiert, der auch schon einmal einen Prachtband über den Wiener Wohnbau von 1995 bis 2005 verfasst hat.

So viel Nähe führt bisweilen zu skurrilen Situationen. Der Wiener ÖVP-Nationalratsabgeordnete Ferry Maier, in der Partei zuständig für „Transdanubien“, erzählt von einer Gemeindebau-Eröffnung in Wien-Floridsdorf, zu der weder Publikum noch Gäste geladen waren: Faymann kam einfach in Gesellschaft eines „Krone“-Redakteurs, eines „Krone“-Fotografen und einer ORF-Kamera. Das genügte. Immer wieder gab es Berührungspunkte zwischen dem jungen Politiker, der „Kronen Zeitung“ und der Familie ­Dichand. So wurde das von Faymanns Wohnressort herausgegebene Blatt „Unsere Stadt“, eine Gratiszeitung für alle Mieter von Gemeindewohnungen, zuerst von seinem Pressesprecher Wolfgang Jansky geführt, bevor es 2005 von Verleger-Schwiegertochter Eva Dichand übernommen wurde. 2007 führte Frau Dichand die Gratispostille sanft in ihr U-Bahn-Zeitungsprojekt „Heute“ über und übernahm Jansky als Geschäftsführer.

Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung an die Grünen bewarb Faymann im vergangenen Jahr das Ende der Aktion „Licht am Tag“ mit rund 400.000 Euro. Der Löwenanteil davon soll – erraten! – an „Krone“, „Österreich“ und Eva Dichands „Heute“ gegangen sein. Inserate der ausgegliederten Straßenbaugesellschaft Asfinag wurden auf höchstpersönlichen Wunsch des Ministers in bestimmten Medien geschaltet. Die „Oberösterreichischen Nachrichten“ veröffentlichten entsprechende Auftragsbestätigungen, die den Vermerk „lt. Hr. Faymann“ trugen.

Der Menschenfischer. Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung „Österreich“, ist Faymann seit Jugendtagen freundschaftlich verbunden. Auch geschäftlich hatte man immer wieder miteinander zu tun. Der Rechnungshof beanstandete vor einigen Jahren, der Wohnfonds des Stadtrats Faymann habe sich in Fellners damals neues „News“-Verlagsgebäude zu einem überteuerten Preis eingemietet. Mindestens ebenso wichtig wie Medienkontakte sind Faymann Beziehungen zu Wirtschaftstreibenden. Hannes An­drosch war überrascht, als ihn der damalige Stadtrat im Juli 2006, mitten im Wahlkampf, anrief und zum Mittagessen bat. Man hatte sich vorher kaum gekannt, doch nun entwickelte sich intensiver Kontakt. „Er besitzt die Fähigkeit zu fragen und weiß nicht von vornherein alles besser“, lobt Androsch.

Die wichtigsten Teile seines Wirtschaftsnetzwerks hatte Faymann jedoch schon früher geknüpft: Veit Schalle, ehemaliger Billa-Chef, gehört ebenso dazu wie Günther Geyer, Generaldirektor der Wiener Städtischen, und Horst Pöchhacker, damals Porr-Chef. Auch Dieter Hoscher von den Casinos Austria konsultiert Faymann oft. „Faymann hat seinen Aufstieg genau vorbereitet und sich deshalb gezielt mit Leuten aus der Wirtschaft getroffen“, meint Walter Nettig, Ex-Präsident der Wiener Wirtschaftskammer. Horst Pöchhacker, mit dem Faymann als Wohnbaustadtrat etliche Großprojekte abgewickelt hatte, wurde vergangenes Jahr vom nunmehrigen Infrastrukturminister Faymann zum Vorsitzenden des ÖBB-Aufsichtsrats bestellt, Androsch zum Aufsichtsratschef der Forschungsgesellschaft Seibersdorf. Als der Wirbel um den „Krone“-Brief losbrach, bat ihn Faymann um Flankenschutz. Androsch tat, was er tun konnte, ohne das Gesicht zu verlieren, und plädierte in einem Gastkommentar in der „Krone“ für EU-weite Volksabstimmungen. Schwächen, die nicht mit Geld oder Anrufen zu beheben sind, versucht Fay­mann durch perfekte Vorbereitung aus­zumerzen: Seit sechs Jahren nimmt er Englisch-Privatstunden und hat sich nach Einschätzung von Reinhard Rack, dem Verkehrsexperten der ÖVP im Europa­parlament, auf EU-Ebene bisher keine Blößen gegeben.

Charmeoffensive. SPÖ-intern ist derzeit sein größtes Atout, den ungeliebten Alfred Gusenbauer ersetzt zu haben. Als Kontrapunkt zur Funktionärsabkanzelung bastelt Faymann an Charmeoffensiven. Einer seiner ersten Besuche galt dabei der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter. Im Parlamentsklub stellte er sich geduldig den Fragen. Demnächst bricht er zu einer Österreich-Tournee auf. So viel demons­trative Wertschätzung haben die Genossen lange nicht mehr erfahren. In der Außendarstellung soll der ehemalige Vranitzky-Sprecher und jetzige ORF-Stiftungsrat Karl Krammer aushelfen.

Unangenehm wird es, wenn das so lange und so sorgfältig gewebte Netz dann doch einmal reißt, wenn in der „Familie“ einmal etwas schiefgeht. So hatte Faymann noch als Stadtrat Herbert Jansky, den Bruder seines langjährigen Pressesprechers, zum Chef einer Subfirma der Gemeindebauverwaltung Wiener Wohnen gemacht. Der schaffte sich als Dienstwagen einen preislich stark überdimensionierten Audi Q7 TDI an. Kostenpunkt: fast 70.000 Euro. Nach herber Kritik des Kontrollamts wird der ­Luxus-Geländewagen jetzt im Dorotheum versteigert.

Von Eva Linsinger und Christa Zöchling