Das erste Opfer Medwedews

Präsidenten-Gegner leben gefährlich

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Wenn Maxim Resnik über die Nacht vom 2. zum 3. März spricht, spannt sich sein rundlicher Körper. Der Chef der liberalen Kleinpartei Jabloko in Petersburg kneift die Augen hinter den Brillengläsern zusammen. Die Erinnerung schmerzt noch immer. Gegen 3.00 Uhr morgens trat der 33-jährige Berufspolitiker auf die Majakowskaja Straße im Zentrum von St. Petersburg. In Moskau hatte Russlands neuer Präsident Dmitri Medwedew zu dieser Zeit bereits seinen Wahlsieg ausgiebig gefeiert. Resnik dagegen hatte in einem Interview mit einem lokalen Fernsehsender über Betrug an den Wahlurnen gesprochen. „Freunde aus Murmansk waren am Wahltag hier“, erzählt Resnik. „Sie sind in sieben verschiedene Wahllokale gegangen und haben beteuert, sie würden so gerne für Medwedew stimmen, seien aber nicht in Petersburg gemeldet. Siebenmal hat man ihnen freundlicherweise Wahlzettel überreicht.“

Als Resnik nach Auswertung der Wahlergebnisse in den frühen Morgenstunden auf die Straße vor dem Jabloko-Büro trat, wurde sein ziemlich alkoholisierter Begleiter von zwei Männern in eine Rauferei verwickelt. „Die waren aus einem Auto ausgestiegen, das schon seit Stunden vor dem Büro geparkt hatte“, sagt Resnik resigniert. Sogleich erschien Miliz, die seinem Kollegen Handschellen anlegte. Resnik wollte dem Freund helfen: „Ich rief: Hört doch, der ist bloß betrunken, ich bringe ihn nach Hause.“ Dem Polizeireport zufolge schlug er dann einem Polizisten ins Gesicht – für Resnik eine absurde Lüge: „Ich bin Schachspieler, nicht Karatemeister.“ Die Polizisten fackelten nicht lange und führten auch ihn gleich in Handschellen ab. Resnik landete für zwei Tage in einem „Transitraum“, in dem sich 26 Gefangene ein Zimmer mit 20 Betten ohne Klo teilten. Einen Anwalt und seine Mutter durfte der unverheiratete Halbwaise nicht anrufen. Er trat in Hungerstreik. Die Kälte machte ihm in dieser Zeit am meisten zu schaffen. Das Fenster stand wegen des Gestanks immer offen. In St. Petersburg ist es auch Anfang März noch bitterkalt. Am 6. März wurde er in eine „normale Zelle“ überstellt. Daraufhin beendete er seinen viertägigen Hungerstreik auf Wunsch seiner Mutter. Er war mit drei ­anderen Häftlingen, die wegen Drogen, Diebstahls und der Misshandlung von Frauen einsaßen.

Gemeinsamer Feind. Parlamentarier aus Deutschland, der EU und russische Intellektuelle setzten sich für seine Freilassung ein. Erst ein Treffen von Jabloko-Chef Gregori Jawlinski mit Noch-Präsident Wladimir Putin aber bewirkte seine Freilassung am 20. März. St. Petersburg darf Resnik derzeit nicht verlassen, er wartet auf seinen Prozessbeginn. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft für Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Jawlinski hatte um seine Freilassung gebeten. Resnik ist dem Chef dafür „persönlich zu Dank verpflichtet“. Doch an den politischen Differenzen ändert dies nichts. Dem Langzeitchef von Jabloko fehlen die politischen Erfolge. Bei den Dumawahlen 2003 und 2007 schafften die Demokraten den Einzug ins Parlament nicht. Resnik, der Parteirebell, sitzt in schwarzem Hemd vor dem blauweißen Kachelofen in der ­Jabloko-Parteizentrale. Ein Bildnis des Sow­jetdissidenten Andrej Sacharow hängt an der Wand. Etwas höher als in Augenhöhe. Wie oft in Ländern, wo die Bilder ­säkularer Märtyrer religiöse Autoritäten ersetzen. Trotz der präsidentiellen Gnade will er den Kampf gegen das autoritäre Regime Putins und seines Nachfolgers nicht aufgeben. Denn er wurde nicht ohne Grund zum Justizfall: „Wir haben alle einen gemeinsamen Feind: das jetzige Regime. Jeder von uns kann anderen Parteien angehören und unterschiedliche Inhalte vertreten“, hofft Resnik. „Aber wir sollten endlich anfangen, statt uns gegenseitig zu bekriegen, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass in Russland die Demokratie wieder eingeführt wird.“

Die demokratische Opposition konnte sich in den vergangenen Jahren auf wenig einigen. Die „alte“ Generation von Liberalen aus den neunziger Jahren wirkt verbraucht und ist obendrein zerstritten. Ob SPS-Gründer Boris Nemtsow oder Jabloko-Chef Jawlinski – keiner wollte bisher für den anderen Platz machen. Der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow, Ini­tiator des „Anderen Russland“, ist den meisten zu radikal. Der allseits geschätzte Oppositionelle Wladimir Ryschkow ist vom Charakter her zu vorsichtig, um die Rolle des polarisierenden Volkstribuns zu übernehmen. Abgesehen von den Ego-Problemen der Oppositionsführer kommt aber auch das mangelnde Interesse der Russen an demokratischen Verhältnissen dem Kreml zugute. Sonst hätte Wladimir Putin nicht so einfach das Parlament, die Massenmedien und die Gerichtsbarkeit gleichschalten können.

Feindfigur. Resnik und die radikalere junge Generation von Jabloko wünschen sich ukrainische Verhältnisse. Dort sei zwar beileibe nicht alles einfach. „Doch in Kiew wird Demokratie gelernt. Die Ukrainer sitzen jetzt vielleicht in der dritte Klasse, und es wird noch lange dauern, bis sie maturieren“, meint Resnik. Das sei ein natürlicher Prozess. „In Russland dagegen waren wir gerade in die zweite Klasse aufgestiegen, da wurde die Schule einfach zugesperrt.“

Junge Russen können heute recht ungehindert Geschäfte machen, ungestört ihr Leben leben und zumindest im Internet ihre Meinung äußern. Reicht das nicht für den Anfang? „Bei uns gibt es keine Gewaltenteilung, da kann sich das Land auf Dauer nicht stabil entwickeln.“ Medwedew gefällt ihm im Prinzip „besser als Putin, ich empfinde ihn nicht als Feindfigur. Aber ich zweifle, dass er ein liberales Russland schaffen will.“ Er sei dazu schon zu lange unter dem Einfluss seines Förderers. In den neunziger Jahren arbeiteten beide in der Petersburger Stadtverwaltung, bevor sie nach Moskau zogen, um an die Macht zu gelangen.

Die „Nesawissimaja Gaseta“ schreibt, von den Oppositionellen werde Resnik nach Kommunistenchef Gennadi Sjuganow in den Medien bereits am öftesten zitiert. Das könnte ihm gefährlich werden. Resnik kneift wieder die Augen zusammen. „Ich kann doch jetzt nicht aufgeben“, sagt er trotzig. „Ich war siebzehn Jahre alt, als die Sowjetunion zusammenbrach. Meine Generation hat den Beginn der Demokratie erlebt und mitgetragen. Das ist meine Demokratie. Die kann ich nicht Putin oder Medwedew schenken. Das geht einfach nicht.“ Angst habe er keine. „Wenn ich Angst hätte, dann könnte ich nicht arbeiten.“ Das hat Journalistin Anna Politkows­kaja einst auch gesagt – ehe sie 2006 ermordet wurde.

Von Tessa Szyszkowitz/St. Petersburg