"Das Parfum" - Eine missratene Verfilmung

Das Parfum

Produzent Ernst Eichinger im Interview

Drucken

Schriftgröße

Immerhin 347 Geruchsrezeptoren stehen in der menschlichen Nase zur Verfügung, um allfällige olfaktorische An- oder Zumutungen zu verarbeiten. Das ist zwar nicht einmal ein Drittel dessen, worauf sich etwa ein gemeiner Haushund verlassen kann, andererseits aber doch genug, um Düfte höchst differenziert wahrzunehmen. Während an der chemischen Reproduktion von Gerüchen Wissenschafter weltweit seit Jahrzehnten scheitern, ist die Fiktion auch in dieser Hinsicht längst weiter: Mit seinem Historiendrama „Das Parfum“, der Fabel vom Geruchsgenie Grenouille, hat der deutsche Schriftsteller Patrick Süskind 1985 literarische Duftforschung betrieben – und ins Schwarze getroffen. Geschlagene neun Jahre lang hielt sich sein Buch in den Bestsellerlisten, 15 Millionen Mal verkauft und übersetzt in mehr als 40 Sprachen.
Der so überraschende wie durchschlagende Erfolg des Romans rief die Filmemacher bald auf den Plan: Die von Süskind in wohlfeilem Zynismus erzählte Geschichte des unansehnlichen Duftfetischisten Grenouille, der seine Vision vom perfekten Parfum, destilliert aus toten Mädchenkörpern, mit allen Mitteln zu realisieren sucht, fordert das Kino auf eine Weise heraus, die zunächst nur die Großen ihres Fachs an eine Verfilmung denken ließ: Stanley Kubrick bekundete bereits um 1987 dringendes Interesse an dem Stoff, später signalisierten auch Martin Scorsese, Tim Burton, Ridley Scott, Milos Forman und Steven Spielberg ihre Faszination. Aber 15 Jahre lang schmetterte der Autor alle Interessenten gnadenlos ab: Der Stoff sei unverkäuflich, ließ Süskind jedes Mal wieder über seinen Verlag ausrichten.

Millionen-Show. Schließlich gelang es aber doch einem Produzenten, sich die Verfilmungsrechte an dem Stoff zu sichern. Man weiß nicht, was Süskind, der grundsätzlich weder Interviews gibt noch öffentliche Auftritte absolviert, im Jahr 2000 dazu bewogen hat, seine Meinung zu ändern – es ist allerdings wahrscheinlich, dass dies weniger an seiner Freundschaft zu Starproduzent Bernd Eichinger lag als an der horrenden Summe, die Letzterer Gerüchten zufolge über den Tisch geschoben hatte: zehn Millionen Euro. Die Summe kommentiere er nicht, meint Eichinger lakonisch, ebenso wenig wie den Umstand, mit welchen Regisseuren er seit 2001 über eine Realisierung der Kinoversion des „Parfum“ verhandelt habe. Nur so viel: „Am Ende hab ich mich für Tom Tykwer entschieden, und ich halte die Entscheidung für richtig.“

Wenn man Tykwers Inszenierung – Kinostart: 15. September – nun sieht, kann man jedoch gerade in dieser Frage ein wenig ins Zweifeln geraten: „Das Parfum“ berauscht sich an seltsam aseptischen Historien-Kitschbildern, begnügt sich mit Starpräsenz, wo Schauspiel gefragt wäre: Birgit Minichmayr tritt 40 Sekunden lang ins Bild, und Kollegin Corinna Harfouch spaziert wie eine zufällig vor die Kamera geratene Statistin durch den Film; Alan Rickman muss sich als Papa eines bedrohten Mädchens mit einer Nullrolle begnügen, während Dustin Hoffman als ausgebrannter Parfumeur ein wenig über Gebühr den Clown in sich strapaziert.
Irgendwann muss Eichinger, berauscht von dem Kassenerfolg seiner Bunkerdepressionsstudie „Der Untergang“, beschlossen haben, mit „Das Parfum“ aufs Ganze zu gehen: Mit mehr als 50 Millionen Euro Produktionskosten darf die Arbeit nun für sich beanspruchen, der teuerste deutsche Film aller Zeiten zu sein. Der Preis dafür ist – in doppelter Hinsicht – hoch: Die ästhetische Leblosigkeit der „Parfum“-Adaption ist eine spürbare Folge des Drucks, unter dem ein Zwangs-Blockbuster wie dieser von Anfang an steht. Zwei Dutzend Drehbuchfassungen, an denen Eichinger maßgeblich mitgeschrieben hat, mussten verfasst und wieder verworfen werden, ehe die erste Klappe fallen konnte. Das verzweifelte Bemühen um internationale Kompatibilität ist dem Film nicht nur in seinen Dialogen anzusehen: Die unsichere Mischung aus Kostümfilmkonvention und Kino-Modernismus, aus Historienfilm, Horror und Heiterkeits-Intermezzi macht der Inszenierung schwer zu schaffen.

Tom Tykwer, der mit dem wendigen kleinen Thriller „Lola rennt“ Ende der neunziger Jahre die deutsche Filmszene umgekrempelt hat, scheint nach schwerer Schaffenskrise („Heaven“, 2002) nun endgültig in einem Kino der totalen Immobilität festzusitzen. Er selbst kann keinen der Kritikpunkte an seinem Film nachvollziehen. Den Vorwurf des Kunstgewerblichen weist er vehement zurück: „Was sollen wir denn noch machen?“ Die ganze erste halbe Stunde seines Films, im vorrevolutionären Paris angesiedelt, sei doch „ein einziger mörderischer Trip durch den Morast und durch die schmatzenden, schmutzigen, schmuddeligen Straßen dieser Stadt“.

Substanzverlust. Ein konzeptuelles „Problem“ gesteht indes sogar Eichinger ein: „Der Roman eignet sich nicht per se als Filmstoff“, so der Produzent trocken. Tatsächlich verliert die Erzählung, wenn man sie von Süskinds süffisanter Sprache entkoppelt, jäh an Substanz. Der Schriftsteller selbst, immerhin Drehbuchautor etlicher Fernsehserien und Kinofilme Helmut Dietls („Kir Royal“, „Monaco Franze“, „Rossini“), stand für die Filmversion seines Romans nicht zur Verfügung. Die massiven Änderungen gegenüber der Vorlage sind deutlicher Ausdruck des Problems, diese Geschichte rund um das leere Zentrum Grenouille zu verfilmen: Der Held, bei Süskind ein verwachsener, unangenehm anzusehender Zwerg, steigt im Kino – in der Interpretation des jungen britischen Theaterdarstellers Ben Whishaw – zum gut aussehenden Burschen auf. Einen Filmhelden, hält Eichinger nicht ganz schlüssig dagegen, müsse man „doch gerne anschauen, sonst sind Sie zweieinhalb Stunden mit etwas konfrontiert, das Sie abstößt“. Das heiße nun aber nicht, „dass man das nächste Unterhosenmodel engagieren“ müsse: „Ben ist ein sehr markanter Typ. Ob er aber einen Schönheitswettbewerb gewinnen könnte, weiß ich nicht.“
Ob Bernd Eichinger selbst der Operation „Parfum“ als Gewinner entsteigen können wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Das Wagnis ist alles andere als gering: Nie hat sich die Constantin Film auf eine höhere Investition eingelassen als in diesem Fall – und mehr als fünf Jahre Arbeit stecken in dem Projekt. Sollte der Film auf „nicht mehr als zwei bis drei Millionen Zuschauer kommen“, so wäre das, meint Medienfinanzexperte Michael Bahlmann mit kühlem Understatement, „sicherlich nicht lustig für die Constantin-Aktie“. Andererseits stehe der Firma im Falle eines massiven Kassenerfolgs „ziemlich sicher das erfolgreichste Jahr seit ihrer Gründung 1977“ ins Haus.

Einstweilen ist somit nur das künstlerische Scheitern des Kinounternehmens „Das Parfum“ zu diskutieren, das aber auch nicht ohne pädagogischen Wert ist. Tykwers Film ist ein Beleg für die schiere Manövrierunfähigkeit europäischer Prestige-Produktionen, vor allem aber: ein Modellfall der destruktiven Gewalt der Megalomanie und des Konsensdenkens in der Kunst.

Von Stefan Grissemann