Das große Scheitern der großen Koalition

Das große Scheitern der großen Koalition: Woran die Regierung wirklich zerbrach

Woran die Regierung wirklich zerbrach

Drucken

Schriftgröße

Es war kein schönes Ende. Aber es war ein Ende, das sehr gut zu dieser Regierung passte. Der letzte Streit zwischen SPÖ und ÖVP drehte sich nicht etwa um Zukunftsvisionen für das Land oder um ideologische Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Bis in die Nachtstunden des 6. Juli wurde über die Frage gezankt, ob die Beamtenkrankenkasse ebenso streng kontrolliert werden soll wie die Gebietskrankenkassen. Nein, fand die ÖVP. Ja, sagte die SPÖ. Weil ein Jein in diesem Fall nicht möglich war, gab es leider keine Einigung. Am nächsten Morgen stellte sich ÖVP-Chef Wilhelm Molterer vor die Journalisten und sagte: „Es reicht.“ Man konnte ihm nur beipflichten.

18 Monate war diese Regierung im Amt, bevor sie am Mittwoch vergangener Woche ihre Selbstauflösung beschloss. Sonderlich viele gute Tage waren nicht dabei. Die meiste Zeit lieferte diese elfte Auflage einer großen Koalition Politik zum Abgewöhnen – kleinliche Machtspiele, eifersüchtiges Hickhack, gegenseitige Blo­ckade. Die stabile Regierung, die sich Bundespräsident Heinz Fischer gewünscht hatte, war Rot-Schwarz in keiner Phase; fast alle wichtigen Projekte blieben liegen. Das Kabinett Gusenbauer-Molterer hinterlässt einen Scherbenhaufen, dessen wahre Dimensionen erst in den nächsten Monaten erkennbar sein werden: Einige Krankenkassen stehen vor dem Bankrott, die Steuerreform ist bis auf Weiteres abgesagt, die Staats- und Verwaltungsreform wurde nicht einmal ernsthaft angegangen.
Dafür bewiesen Rot und Schwarz einen gewissen Sinn für Ironie: Während die Koalition alle paar Wochen auf der Kippe stand, beschloss sie ein Wahlrechtspaket, das künftige Legislaturperioden auf fünf Jahre verlängert. Wenn das Regieren schon keinen Spaß macht, soll es wenigs­tens möglichst lange dauern.

Rot-Schwarz ist kolossal gescheitert – und das auch noch unter Bedingungen, von denen frühere Regierungen nur träumen konnten. In Österreich herrscht Hochkonjunktur, die Steuereinnahmen liegen weit über Plan, auf dem Arbeitsmarkt gibt es nahezu Vollbeschäftigung, zuletzt fand sogar noch eine vergnügliche Fußball-Europameisterschaft statt. Die Regierung musste weder ein Sparpaket schnüren noch Sozialleistungen kürzen. Sie konnte, ganz im Gegenteil, sogar Geld verteilen. Trotzdem sind die Wähler hochgradig frustriert. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OGM im Auftrag von profil wollen derzeit nur 16 Prozent der Österreicher wieder eine große Koalition. Im September 2006 lag dieser Wert noch bei 43 Prozent. Auch der Vergleich zwischen den letzten beiden Legislaturperioden fällt eindeutig aus: 56 Prozent der Befragten finden, dass Schwarz-Blau besser gearbeitet habe als Rot-Schwarz. Erstaunlicherweise ist sogar jeder dritte SP-Sympathisant dieser Meinung.

Bleibt die Frage, wie es so weit kommen konnte. SPÖ und ÖVP haben ihren Teil beigetragen. Doch ein paar Tretminen lagen außerhalb der Reichweite von Parteisekretariaten und Parlamentsklubs. Sie werden auch die nächste Regierungsbildung erschweren und die politische Arbeit stören. Drei Gründe, warum die Koalition so spektakulär danebenging und auch künftige Regierungen kein leichtes Leben haben werden.

1. Die Interessen der Zwangspartner SPÖ und ÖVP waren unvereinbar.
„Es ist ganz einfach: Sagen Sie, Sie wollen nicht. Sie mögen uns nicht“, jammerte SP-Klubobmann Josef Cap im November 2006 in Richtung ÖVP. „Die wollen an den Futtertrog – und zwar ganz allein. Denen ist der Kamm geschwollen“, analysierte der steirische VP-Chef Hermann Schützenhöfer etwa zur gleichen Zeit. Wer den Schlagabtausch zwischen SPÖ und ÖVP nach der Wahl 2006 für inszeniert hielt, wurde bald eines Besseren belehrt: Es handelte sich nicht um Theaterdonner, das Gewitter war echt. Der Politologe Fritz Plasser sieht darin so etwas wie den Webfehler dieser Regierung. „Beide Parteien wollten lieber einen anderen Koalitionspartner. Letztlich gab es nur keine Alternative.“
Man raufte also, aber man raufte sich nicht zusammen. Manche Passagen aus Alfred Gusenbauers Regierungserklärung wirken heute wie eine böse Vorahnung. „Schließlich haben auch zwei Parteien miteinander verhandelt, die in vielen Punkten unterschiedliche Auffassungen und Programme vertreten“, formulierte er am 16. Jänner 2007. „Ich sage das hier und heute sehr offen, weil diese Unterschiede nun auch nicht plötzlich verschwunden sind.“ In Wahrheit habe schon das Regierungsprogramm das Schicksal dieser ­Koalition besiegelt, meint Josef Kalina, ­ehemaliger SP-Bundesgeschäftsführer. „Unsere Leute hatten das Gefühl, da wurde alles hergegeben, nur damit einer Kanzler wird. Die Moral der Truppe war in der Sekunde zerstört.“ VP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn sieht das ganz ähnlich. „Die SPÖ hat die Koalitionsvereinbarungen nie verwunden.“

Heute schimpft die SPÖ über die Blockadepolitik der Volkspartei und die ÖVP über die Bocksprünge der Sozialdemokraten. Beide haben recht. Die ÖVP hat in den neunziger Jahren erlebt, wie zerstörerisch die Rolle des Juniorpartners in einer Regierung sein kann, und war 1999 auf 26,9 Prozent geschrumpft. Sie mauerte nach Kräften, um dem Koalitionspartner nur ja keinen Erfolg zu ermöglichen. Die SPÖ wiederum kämpfte von Anfang an mit ihrer innerparteilichen Krise und bot tatsächlich kein stabiles Bild. Der Schwenk in der EU-Politik war nur die letzte einer ganzen Reihe von abrupten Kehrtwendungen.
Geschadet hat das großkoalitionäre Gezerre beiden Parteien, mehr beschädigt wurde die SPÖ. Eine interne Umfrage ergab vor Kurzem, dass nur die Hälfte der SP-Wähler von 2006 auch nächstes Mal für die Sozialdemokratie stimmen will. Wenigstens ganz am Ende waren sich Rot und Schwarz einig. Die Neuwahl wurde gemeinsam beschlossen.

2. Auch in der SPÖ grassiert der Föderalismus.
Früher hatte vorwiegend die ÖVP dieses Problem, seit ein paar Jahren haben es beide Großparteien: streitsüchtige Landespolitiker, die sich ungefragt in die Regierungsarbeit einmischen und vor allem im Wahlkampf zu einer echten Plage werden können. Ohne das „friendly fire“ aus den Ländern hätte die Koalition zweifellos besser funktioniert.
Der Langzeitkonflikt über eine neue Pflegelösung etwa war zwischen SPÖ und ÖVP längst ausverhandelt, als kurz vor Weihnachten 2007 plötzlich der nieder­österreichische Landeshauptmann Erwin Pröll dazwischenfunkte. Für ihn gelte dieses untaugliche Modell nicht, ließ er wissen. In Niederösterreich werde es mehr Förderung für die Angehörigen und keine Vermögensgrenzen geben. Die ÖVP stellte sich flugs hinter den wahlkämpfenden Kollegen, die SPÖ tobte.

Doch Alfred Gusenbauer weiß selbst recht gut, wie lästig die Zwischenrufe aus den Ländern sein können. Den steirischen Landeshauptmann Franz Voves, der ihn regelmäßig desavouierte, soll der Bundeskanzler intern als „Berggorilla“ bezeichnet haben. Vor allem die Frage nach dem Zeitpunkt für eine Steuerreform sorgte innerhalb der SPÖ permanent für Knatsch. Die Genossen in Salzburg, Kärnten und Oberösterreich konnten sich nie mit der Verschiebung auf 2010 anfreunden und sagten das gerne bei jeder Gelegenheit. Es war der Druck seiner eigenen Leute, der Gusenbauer im Februar dazu brachte, plötzlich doch eine Vorverlegung der Steuerreform zu verlangen – und damit wieder einmal einen heftigen Streit in der Koalition zu provozieren.

Anfang Juni kündigte die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller an, beim nächsten Parteitag nicht mehr als stellvertretende Parteiobfrau zu kandidieren. Diese Breitseite gegen Gusenbauer sollte sich als erster Schritt seiner Demontage herausstellen. Er wünsche sich in den Ländern „ein biss­chen mehr Solidarität“, sagt der neue SP-Spitzenkandidat Werner Faymann (siehe Interview Seite 20). Doch falls die SPÖ wieder in die Regierung kommt, sollte er darauf nicht hoffen. Nächstes Jahr finden in Kärnten, Salzburg und Oberösterreich Landtagswahlen statt; Attacken gegen die Bundespartei stehen vermutlich bereits in den Wahlkampfkonzepten. Rührend naiv wirkt im Rückblick das Argument, nur eine große Koalition könne endlich die überfällige Reform des Bundesstaats in Angriff nehmen und den aus­ufernden Föderalismus einbremsen. Gerade SPÖ und ÖVP können das nicht – die Parteifreunde in den Bundesländern würden es niemals zulassen.

3. Das Wahlrecht macht Österreich tendenziell unregierbar.
Ex-ORF-Generaldirektor Gerd Bacher ist ein Freund klarer Worte: „Diese jetzige große Koalition ist in der Geschichte der querschnittgelähmten großen Koalitionen die allerärgste“, sagte er schon im April. Damals wurde die „Initiative Mehrheitswahlrecht“ vorgestellt, die von prominenten Ex-Politikern, Managern und Journalis­ten getragen wird. Mit konkreten Ergebnissen ihrer Bemühungen rechnen aber nicht einmal die Proponenten. „Uns ist klar, wir werden keine Massenbewegung“, räumte Heinrich Neisser, Obmann der Ini­tiative und früherer VP-Politiker, ein. Die Debatte um eine Wahlrechtsänderung gibt es seit Jahren, bei den Entscheidungsträgern im Parlament kam sie bisher nicht an. Zu groß war stets die Angst vor einer so tief greifenden Veränderung der politischen Landschaft. Das derzeit geltende Verhältniswahlrecht macht zwar auch niemanden glücklich, aber für eine Revolution reicht der Leidensdruck offenbar nicht aus.

Mit der jetzt zu Ende gegangenen großen Koalition ist wahrscheinlich auch die letzte Möglichkeit dahin, eine Wahlrechtsreform im Parlament zu beschließen. SPÖ und ÖVP werden es in Zukunft wohl auf keine Zweidrittelmehrheit mehr bringen. Und die kleineren Parteien sind aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Änderung. Die Regierungsbildung wird damit immer schwieriger. Schon 2006 ging sich rechnerisch nur eine große Koalition aus. Sollten Fritz Dinkhauser und das Liberale Forum wirklich antreten und in den Nationalrat kommen, könnte es sogar mit der gemeinsamen Mehrheit von SPÖ und ÖVP knapp werden. Das Publikum darf sich schon jetzt auf monatelange Sondierungsgespräche, Krisengipfel in der Hofburg und ein ideologisch bis zur Unkenntlichkeit verwaschenes Regierungsprogramm freuen.
Wer immer die Wahl am 28. September gewinnt: Regieren in Österreich wird danach nicht lustiger sein.

Von Rosemarie Schwaiger