Das Wehrpflichtsystem kam teurer
Interview: Otmar Lahodynsky
profil:: Welche Erfahrungen hat die schwedische Armee mit der Umstellung von der Wehrpflicht auf eine Berufsarmee gemacht?
Tolgfors: Die ersten Ergebnisse sind positiv. Für den ersten Ausbildungstermin 2011 haben sich fast 6700 Personen für 800 Plätze zur Grundausbildung gemeldet. Daraus wurden 832 Bewerber, darunter hundert Frauen, ausgewählt. Für die zweite Aufnahmerunde haben sich über 3100 Personen gemeldet. Daraus werden 410 Rekruten ausgesucht werden. Für 60 Offiziersposten haben sich 400 Personen beworben.
profil:: Hohe schwedische Offiziere haben aber von Rekrutierungsproblemen für die Landarmee berichtet.
Tolgfors: Die Rekrutierung von Freiwilligen ist noch immer im Gang. Aber die Armeeführung rechnet damit, dass die meisten Einheiten in der ersten Rekrutierungswelle in diesem Jahr ausreichend Personal bekommen werden. Sobald diese Berufssoldaten aufgenommen worden sind, trennen wir uns von Wehrdienern in gleicher Anzahl.
profil:: Schweden galt militärisch bisher immer als Vorbild für Österreich. Sollte auch Österreich die Wehrpflicht abschaffen?
Tolgfors: Diese Entscheidung müssen schon die Österreicher selbst treffen.
profil:: Österreichs Verteidigungsminister Norbert Darabos hat seinen Generalstabschef abgesetzt, weil dieser die Wehrpflicht verteidigte. Hätten Sie das auch getan?
Tolgfors: Kein Kommentar.
profil:: In Österreich bereitet die Abschaffung der Wehrpflicht Probleme für den Zivildienst. Gibt es die auch in Schweden?
Tolgfors: In Schweden war der Zivildienst immer Bestandteil der gesamten Landesverteidigung. Nach schwedischem Gesetz zur umfassenden Verteidigung muss der verpflichtende Zivildienst dem Zweck der nationalen Verteidigung dienen. Daher kann er etwa in Friedenszeiten nicht für den Personalbedarf sozialer Dienste herangezogen werden. Nun wurde beschlossen, dass die Personalrekrutierung für die Streitkräfte wie auch für die zivile Verteidigung auf komplett freiwilliger Basis erfolgen kann. Da es genug Freiwillige gibt, wird derzeit auf einen verpflichtenden Zivildienst verzichtet.
profil:: Kommt der Umstieg auf eine Berufsarmee in Schweden teurer als das frühere System mit der Wehrpflicht?
Tolgfors: Die Untersuchung zum Militärdienst ergab, dass das Wehrpflichtsystem pro Jahr ungefähr zwei Milliarden Kronen (230 Millionen Euro) teurer kam als eine Rekrutierung von Freiwilligen, wenn man 3000 Soldaten einsatzbereit zur Verfügung haben will. Eine wichtige Erklärung dafür ist, dass etwa 70 Prozent der Soldaten nicht bereit waren, nach ihrer Ausbildung Teil der schwedischen Streitkräfte zu bleiben.
profil:: Die Bezahlung der Berufssoldaten belastet das Budget nicht?
Tolgfors: Höhere Lohnkosten für Berufssoldaten werden durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch die Abschaffung der Ausbildung für Wehrpflichtige sowie durch eine geringere Anzahl von zivilen Bediensteten kompensiert werden. Die Armeereform wird so umgesetzt, wie es die wirtschaftliche Lage zulässt.
profil:: Warum hat Schweden seine Neutralität aufgegeben und gegen Allianzfreiheit eingetauscht?
Tolgfors: Während des Kalten Kriegs hat Schweden eine strikte Neutralitätspolitik befolgt. Das bedeutete, dass Schweden militärischen Bündnissen fernblieb, um im Falle eines Kriegs neutral bleiben zu können. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Kriegs hat sich unsere Politik verändert. Seit Schweden Mitglied der Europäischen Union wurde, bezeichnen wir unsere Politik als bündnisfrei.
profil:: Worin liegt der Unterschied?
Tolgfors: Heute teilt Schweden die Werte und Interessen der EU-Länder sowie der nordischen Staaten. Wir glauben, dass zivile Krisen oder ein militärischer Konflikt in unserer Nachbarschaft nicht mehr bloß ein einziges Land erfassen werden. Daher müssen und wollen wir Sicherheit gemeinsam mit anderen Ländern schaffen. Als Folge hat unser Parlament eine Solidaritätserklärung beschlossen: Schweden wird nicht passiv bleiben, wenn ein anderes EU-Mitglied oder nordisches Land angegriffen werden sollte oder von einer Naturkatastrophe heimgesucht wird. Dasselbe erwarten wir natürlich auch für den Fall, dass Schweden betroffen ist. Schweden ist also fähig, militärische Hilfe zu leisten und zu empfangen.
profil:: Wie eng kooperieren Sie mit der NATO?
Tolgfors: Die NATO ist ein zentraler Akteur für europäische Sicherheit wie auch für internationales Krisenmanagement. Schweden kooperiert eng mit der Allianz im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden.
profil:: Schweden nimmt auch am Militäreinsatz in Afghanistan teil.
Tolgfors: Ja, Schweden beteiligt sich längerfristig am Einsatz in Afghanistan und nimmt mit rund 500 Soldaten an der unter UN-Mandat stehenden International Security Assistance Force (ISAF) teil. Wir haben die nationale Verantwortung für ein Wiederaufbauteam im Norden des Landes übernommen, wo es auch eine zivile Komponente gibt.
profil:: Wird Ihr Verteidigungsbudget wegen der neuen Sicherheitslage in Europa gekürzt?
Tolgfors: Schweden hat keine Pläne zur Senkung des Verteidigungsbudgets. Laut dem Strategiebeschluss zur Verteidigung 2009 schätzt die Regierung, dass die Ausgaben für Verteidigung von 2009 bis 2014 unverändert bleiben.
profil:: Sollte es in der EU mehr Kooperation in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik geben?
Tolgfors: Ja, ich glaube, dass die militärische Zusammenarbeit unter EU-Mitgliedern viel intensiver werden muss. Die EU ist ein globaler Akteur und sollte als solcher auch im militärischen Bereich aktiver und fähiger werden. Dazu gehört, dass wir kohärenter und effektiver kooperieren.
profil:: Manche Länder wollen wie Österreich von einer eigenständigen Militärpolitik aber nicht abgehen.
Tolgfors: Die Wirtschaftskrise hat viele europäische Länder dazu gezwungen, Kürzungen der Verteidigungsbudgets und signifikante Reformen der Armeen vorzunehmen. Das bietet eine Gelegenheit, die Verteidigungskooperation zu erneuern.
profil:: Wird Schweden bald der NATO beitreten?
Tolgfors: Während der laufenden Regierungsperiode wird eine Mitgliedschaft bei der NATO nicht in Betracht gezogen.
Sten Tolgfors, 44,
ist seit 2007 schwedischer Verteidigungsminister in der Mitte-rechts-Regierungskoalition unter Premier Frederik Reinfeldt. Der Politologe gehört der moderaten Sammlungspartei an.