„Das Ziel ist die Weltherrschaft“

Plattenfirmen erweitern die Geschäftsfelder

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Hannes Eder ist gut gelaunt. Schließlich brach­te er vergangene Woche unter dem fröhlichen Namen LALA den ersten Handy-Fernsehsender von Universal Music Austria auf Sendung, und auch sonst läuft für den Labelchef alles bestens: „Wir konnten im ersten Quartal unsere Umsätze nicht nur halten, sondern im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht verbessern“, erklärt der einstige Scharfrichter der RF-„Starmania“-Jury sichtlich zufrieden.

Diese Euphorie ist durchaus bemerkenswert in einer Branche, die seit Jahren auf Negativ­schlagzeilen abonniert zu sein scheint. Illegale Internetdownloads und Musikpiraterie lie­ßen die Umsätze der vormals so stolzen Plattenmultis gefährlich schrumpfen. Allein von 2006 auf 2007 brach der Musikmarkt international um weitere 8,3 Prozent auf zwölf Milliarden Euro Gesamtumsatz ein. Damit hat sich das Geschäft mit der Musik in den vergangenen fünf Jahren halbiert. 2003 betrug der Gesamt­umsatz laut der Branchenorganisation ifpi noch 26,7 Milliarden Euro.

Die Konsequenzen des Niedergangs sind dramatisch. Der US-Konzern Warner Music, das drittgrößte Musiklabel der Welt, rutscht sukzessive tiefer in die roten Zahlen. Die Zuwächse im Online-Handel konnten die Rückgänge im CD-Verkauf bislang nicht kompensieren. Als Anfang Mai die jüngsten Quartalsergebnisse publik wurden, stürzte die Aktie des Musikriesen dramatisch ab: Binnen Stunden verlor das Papier ein Viertel seines Werts. Von der Krise besonders arg betroffen ist auch die EMI. Das traditionsreiche britische Unternehmen gab im Frühjahr bekannt, noch heuer 2000 Mitarbeiter zu kündigen – ein Drittel der Belegschaft. „Wir geben zurzeit keinerlei Stel­lungnahmen ab“, heißt es aus der Chefetage des österreichischen EMI-Büros. Die Niederlassung ist laut Insidern von der Schließung bedroht, ebenso das CD-Geschäft des Plattenkonzerns auf der Wiener Kärntner Straße. „Entweder das Geschäft wird geschlossen, verkauft oder weitergeführt“, meint Geschäftsführerin Dagmar Rauscher. „Wir wissen es nicht. Eine entsprechende Entscheidung soll in den kommenden drei bis fünf Wochen fallen.“ Bereits vergangenes Jahr verkleinerte das CD-Geschäft die Mitarbeiterzahl von 14 auf sechs Köpfe. Doch selbst drastische Sparmaßnahmen reichen nicht aus, um die Zukunft der Branche zu sichern. „Im Jahr 2007 wurde klar, dass die Musikindustrie in heftigen Kontraktionen liegt“, sagt Mark Mulligan von der internationalen Unternehmensberatungsfirma Jupiter Re­search. Wolle die Musikindustrie überleben, müsse sie tief greifende Umstruk­turierungen vornehmen: „Aus den Plattenfirmen von einst müssen völlig andere Unternehmen werden, als sie es im 20. Jahrhundert waren.“ Thomas Rabe, Bertelsmann-Finanzvorstand, bestätigt: Es sei das erklärte Ziel von Sony BMG, eine breitere Erlösbasis zu suchen.

Ausweg. Während EMI und Warner ums schiere Überleben kämpfen, bauen die beiden Marktführer Sony BMG und Universal Music ihre Labels nun schrittweise von reinen Musik- zu breiter aufgestellten Unterhaltungskonzernen um. „Wir wollen die Wertschöpfungskette besser ausschöpfen und haben intensiv überlegt, welche Ergänzungen zum Kerngeschäft sinnvoll sind“, erklärt Stefan Klimek, seit Mai Geschäftsführer von Sony BMG Austria. Auch Hannes Eder von Universal Music Austria prophezeit der Branche einen nachhaltigen Strukturwandel: „Der Verkauf von CDs wird nur noch eines von mehreren Geschäftsfeldern sein.“ Weltweit hat Universal bereits große Verlagshäuser sowie Konzert- und Künstler­agenturen aufgekauft, selbst an Merchandising-Produkten will Universal künftig mitverdienen. „Das Ziel ist die Weltherrschaft“, fasst Eder die neue Firmenphilosophie scherzhaft zusammen.

Die Neuorientierung betrifft nicht nur den Popsektor: Vor zwei Monaten verließen die Opernstars Anna Netrebko und Elina Garanca ihre Agentur IMG Artists, um künftig vom Universal-Konzern direkt gemanagt zu werden. „Auftritte und Aufnahmen können so besser aufeinander abgestimmt werden“, erklärt Eder die Synergieeffekte. Selbst kommerzielles Merchandising scheint kein Tabu mehr zu sein: Die Deutsche Grammophon bietet auf ihrer Homepage neuerdings Villazón-T-Shirts und Lang-Lang-Kaffeetassen feil.

Hat die Musikindustrie somit einen Weg aus der Krise gefunden? „In drei Jahren wird das traditionelle Tonträgergeschäft nur noch die Hälfte des Umsatzes ausmachen“, meint Stefan Klimek von Sony BMG – und will dies durchaus positiv verstanden wissen. „Der Anteil legaler Internetdownloads am Gesamtumsatz wird 25 Prozent erreicht haben, der Rest wird in den neuen Geschäftsfeldern verdient werden.“ Mit Key-Network hat Sony BMG Austria soeben eine eigene Event-Agentur gegründet, kommenden Herbst veranstaltet die Firma erstmals ein Konzert von Alpenrocker Hubert von Goisern im Wiener Museumsquartier. Während Österreich erst am Beginn der radikalen Umwälzungen steht, erwirtschaftet Sony BMG Spanien bereits ein Drittel des Umsatzes anderweitig, in Lateinamerika werden von Sony BMG bis zu 120 Konzerte jährlich veranstaltet. „Es ist die logische Konsequenz aus dem Rückgang am Tonträgerverkauf, dass wir nun auch jene Produkte und Leis­tungen anbieten, die wir bisher nicht berücksichtigt haben“, urteilt Klimek selbstkritisch. „Bislang waren wir ganz einfach zu borniert dazu.“ Mit der Borniertheit dürfte es nun vorbei sein.

Von Peter Schneeberger