Karl-Heinz Grasser: Das Zweidefizit

Das Zweidefizit

Neuverschuldung unter zwei Prozent - Mit Mühe

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Es hat ihn ein Wochenende gekostet. Den Samstag, an dem „nichts weitergegangen ist“, und den Sonntag. Da sei ihm das Schreiben dann flugs von der Hand gegangen, erzählt Karl-Heinz Grasser. Und er fügt hinzu, er sei jemand, „der nicht gerne Reden vorbereitet. Ich referiere lieber frei.“ Bei der Budgetrede macht er jedes Jahr eine Ausnahme.

Der Vortrag des Finanzministers, der den Abgeordneten vergangenen Mittwoch zum sechsten Mal ein Budget präsentierte, ließ freilich Wünsche offen. Hastig, leidenschaftslos, ja fast lieblos referierte er im hohen Haus die Eckdaten des Staatshaushaltes für 2005. Aber selbst die beste Rhetorik könnte die Gesetze der Mathematik nicht außer Kraft setzen.

Nächstes Jahr wird der Finanzminister weitaus weniger einnehmen als ausgeben, und zwar um 5,5 Milliarden Euro. Das wird sich mit einer Neuverschuldung des Bundes von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu Buche schlagen. Rechnet man den Abgang der Sozialversicherungen mit ein, erhöht sich das Defizit sogar auf 2,4 Prozent, also auf fast sechs Milliarden Euro.
Und das ist die relevante Zahl.

Selbst unter der Annahme, dass von den Ländern großzügig Überschüsse in den Bundeshaushalt sprudeln, wird sich das gesamtstaatliche Defizit – also jenes von Bund und Ländern unter Einrechnung der Sozialversicherungen – nur knapp auf 1,9 Prozent des BIP drücken lassen.
Dieses Ergebnis kann sogar einem flotten Selbstdarsteller wie Grasser die Sicherheit beim Auftritt rauben.
Da half es wenig, dass die Regierungsfraktionen jedes Mal jubelten, wenn Grasser detailverliebt aus den internationalen Statistiken herauslas, wonach Österreich im internationalen Vergleich ohnehin super dastehe.

Die Opposition höhnte. „Schulden-Karli“ musste sich Grasser vom grünen Parteichef Alexander Van der Bellen nennen lassen, weil der Finanzminister nächstes Jahr mit sechs Milliarden Euro einen höheren Schuldenstand festschreiben muss als sein Vorgänger Rudolf Edlinger.
Ein „Minister der Verschwendung“ sei er, setzte SP-Finanzsprecher Christoph Matznetter nach.

Die Regierung habe „die Quadratur des Kreises“ in der Finanzpolitik geschafft, lobte Grasser sich und seine Ministerkollegen.
Die Quadratur des Kreises? Eher ging es um den Kampfauftrag, nur ja nicht die Ziffer 2 vor dem Wort Defizit stehen zu lassen.
Und so wurden – frei nach dem Supermarktmotto, wonach bei der Preisausschilderung 19,99 Euro immer noch besser wirken als 20 – eben 1,9 Prozent festgeschrieben.

Prinzip Hoffnung. Grasser lässt sich damit auf ein gewagtes Unterfangen ein. Die Chancen stehen gut, dass im November, wenn das Budget im Parlament beschlossen wird, letztlich doch eine fette Zwei vor dem Komma steht.
Sein Unsicherheitsfaktor sind die Länder. Ohne das Ende der laufenden Finanzausgleichsverhandlungen abzuwarten, setzte Grasser bei der Budgeterstellung Fakten.

Grasser will von Ländern und Gemeinden einen Überschuss in der Höhe von 0,5 Prozent des BIP abschöpfen, um das Defizit auf 1,9 Prozent zu dämpfen. Länder und Gemeinden wollen aber nur 0,3 Prozent zuschießen. „Mehr können wir nicht leisten“, richtete Wiens Finanzstadtrat Sepp Rieder (SP), derzeit Sprecher der Ländervertreter, Grasser patzig aus. Niederösterreichs Landesfinanzreferent Werner Sobotka (VP) blockt ebenfalls ab: „0,3 Prozent können wir anbieten, das ist realistisch.“ Alles andere sei „aus heutiger Sicht absolut nicht“ machbar. 2000 war im so genannten Stabilitätspakt zwischen Bund und Ländern vereinbart worden, dass die Länder bis 2004 mit Überschüssen in der Höhe von 0,75 Prozent des BIP zur Budgetsanierung beitragen. 2003 allerdings lieferten sie nur 0,7 Prozent ab, im laufenden Jahr werden es, aufgrund der Steuerreform, überhaupt nur 0,4 Prozent sein. Die Länder kämpfen selbst mit enormen Finanzschwierigkeiten. Kärnten ist verschuldet, Oberösterreich bilanziert knapp ausgeglichen, Wien schafft nur einen knappen Überschuss. Die Gemeinden sind längst am Limit: Nur mit einem sofortigen Investitionsstopp würden sie einen Überschuss schaffen. Die Steuerreform beschert 2005 zusätzliche Einnahmenausfälle. Vor allem bei der Spitalsfinanzierung spießt es sich gewaltig: Die Länder verlangen von Grasser 400 Millionen Euro mehr – egal, woher er sie nimmt. Grasser will nur 200 Millionen lockermachen – und die sollen die Sozialversicherungen zahlen. So oder so hat Grasser ein Problem: Im Budget 2005 schrieb er den Abgang der Sozialversicherungen mit 0,1 Prozent des BIP fest. Tatsächlich wird der Abgang aber bei 418 Millionen Euro liegen, und das sind schon fast 0,2 Prozent. Müssen die Sozialversicherungen nächstes Jahr also für weitere 200 Millionen aus der Spitalsfinanzierung aufkommen, steigt ihre Verschuldung Richtung 600 Millionen Euro und damit 0,3 Prozent des BIP. Grassers Defizit würde damit mit einem Schlag von 1,9 auf 2,2 Prozent hinaufschnalzen. Bei den Verhandlungen um die Landeslehrer, die der Bund bezahlt, „steht die Partie gänzlich“ (ein Verhandler aus dem Westen). Der Bund will aufgrund sinkender Geburtenraten den Personalstand reduzieren. Dieses Vorhaben spiegelt sich auch im Budgetansatz 2005 wider: Die Kostensätze sinken von 2,8 Milliarden Euro 2004 auf 2,74 Millarden für 2005. Die Länder halten dagegen, dass weniger Schüler nicht zwangsläufig weniger Lehrer bedeuteten. In Städten wären Klassenzusammenlegungen theoretisch machbar, in ländlichen Gebieten hingegen bedeute dies die Schließung von Schulstandorten – und in der Folge längere Schulwege.

Kein Spielraum. Grassers Bewegungsfreiheit ist also ziemlich genau null. Lässt er auch nur in einem der Punkte nach, steigt sein gesamtstaatliches Defizit unweigerlich nach oben.
Experten sind in ihren Einschätzungen vorsichtig. Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hält eine „Punktlandung“ für machbar, wenn sich alle Beteiligten an die Vorgaben halten. Ihr Kollege Markus Marterbauer meint, Grassers Defizitvorgabe sei „mit hohen Risken“ verbunden.
Dabei hatte Grasser bei der Budgeterstellung noch Glück im Unglück: Wären nicht noch eine Reihe von Privatisierungs- und Einmalerlösen (etwa die ÖIAG-Dividende und der Verkauf der Buwog-Wohnungen) in der Höhe von insgesamt immerhin einer Milliarde Euro vorhanden gewesen, wäre eine Bundesverschuldung von 2,8 Prozent des BIP realistisch gewesen.

Doch auch so ist die Regierung unter Erklärungsdruck. Wie konnte das Defizit seit 2001, als Grasser noch einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hatte, so sprunghaft ansteigen?
Die drei Milliarden Euro schwere Steuerreform – ohne Gegenfinanzierung – wird nun als Grund vorgeschoben. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich verschlingt die Reform gerade einmal die Hälfte des Bundesdefizits.

Steuerfehler. Die restlichen Schulden entstanden aus einem Cocktail aus Konjunkturschwäche, fehlender Ausgabendisziplin, überzogener Einnahmenerwartungen und versäumter Arbeitsmarktpolitik.

Seit Dezember 2000 ist das Heer der Arbeitslosen von rund 180.000 auf 240.000 angewachsen. Die damit verbundenen Lohnsteuer- und Abgabenausfälle sowie die Kosten für Arbeitsmarktmaßnahmen belaufen sich auf rund eine Milliarde Euro. Trotzdem werden die Ausgaben im nächsten Jahr nicht erhöht. Bedingt durch die vor allem in Österreich extrem schwache Konjunktur blieben die Steuereinnahmen weit hinter den Budgetprognosen. Damit wurde die Ausgangsbasis für 2005 schwieriger. Das Wifo beziffert das Minus heuer mit 1,5 Milliarden Euro unter den Erwartungen. Krasse Fehleinschätzungen etwa bei der so genannten Investitionszuwachsprämie verschärften die Lage: Die Steuerausfälle, die für 2004 auf rund 300 Millionen Euro veranschlagt worden waren, werden sich bis Jahresende mehr als verdoppeln.

Keiner weiß heute, ob die Einnahmenschätzungen für 2005 halten werden – und das, obwohl die Ansätze diesmal „realistisch niedrig“ gehalten wurden, wie ein involvierter Experte sagt. Statt 59,2 Milliarden Euro heuer sind für 2005 nur 58,8 Milliarden Euro eingespeist.
In der EU-Kommission, die von Euro-Ländern die Abgabe eines jährlichen „Stabilitätsprogramms“ verlangt, zeigt man sich über Grassers Defizitsprung jedenfalls wenig erfreut. „Wir fühlen uns in unseren Befürchtungen bestätigt“, sagt ein hoher EU-Beamter. „Eine Steuerreform ohne Gegenmaßnahmen auf der Ausgabenseite ist eine riskante Strategie.“

Für die kommenden zwei Jahre rechne man mit guten Konjunkturdaten. Da wäre ein Defizit von einem Prozent des BIP tolerierbar, „aber nicht der doppelte Wert“, heißt es in Brüssel. Eine Rüge sei zu erwarten.
2006, so viel ist heute schon bekannt, will Grasser mit dem gesamtstaatlichen Defizit – also unter Einrechnung von Länderüberschüssen – wieder auf 1,7 Prozent des BIP herunter.
Ist das realistisch? Doppelbudgets sind – das sagen alle Experten – eine höchst unsichere Angelegenheit. Im Doppelbudget 2003/2004 war für 2004 ein Defizit von 0,7 Prozent prognostiziert worden. Tatsächlich wird Österreich bei einem Defizit von 1,4 Prozent zu liegen kommen.
2008, verspricht Grasser, will er wieder ein ausgeglichenes Budget vorlegen. Das, so mutmaßen Wirtschaftsforscher heute schon, wird wohl nur mit einem Sparpaket zu schaffen sein.
Wie das wohl aussehen wird? Die unselbstständig Beschäftigten trugen 2001, als die Steuer- und Abgabenquote einen Höchststand erreicht hatte, zwei Drittel jener Belastungen, die zum Nulldefizit führten. Ein Drittel entfiel auf die Unternehmer.
Bei der Steuerreform jetzt ist es umgekehrt: Knapp ein Drittel der Entlastung entfallen auf die Erwerbstätigen, zwei Drittel auf die Wirtschaft.
Preisfrage: Wer wird das Sparpaket 2007 zahlen?