Das Protokoll der Hypo Alpe-Adria Lüge

Dass sich die Banken biegen: Der Tiefe Fall des einstigen Kärntner Paradebankers

Der Tiefe Fall des Wolfgang Kulterer

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Es war einmal vor langer, langer Zeit. Da hauste in einem Sumpf, unweit des heutigen Klagenfurt, ein Lindwurm. Gierig, gefräßig, gefürchtet – und schließlich getötet von rechtschaffenen Kärntner Knechten. Vom Gründungsmythos der Stadt Klagenfurt zeugen bis heute das Stadtwappen und der steinerne Lindwurmbrunnen am Neuen Platz, einen Flügelschlag vom Landesgericht gelegen.

Die Klagenfurter sind stolz auf ihren Lindwurm. Und sie sind nicht minder stolz auf den wahrscheinlich lichtvollsten Banker, den das Land Kärnten jemals hervorgebracht hat: Wolfgang Kulterer. Zumindest war das bis zum Dienstag der vergangenen Woche so. An jenem Dienstag bekannte sich der langjährige Vorstandsvorsitzende der Hypo Alpe-Adria-Bank vor Gericht für schuldig, die Bankbilanz 2004 gefälscht zu haben. Da half es auch nichts, dass der Anwalt des mitangeklagten Ex-Vorstands Günter Striedinger zuvor vollmundig gefordert hatte: „Man sollte darüber diskutieren, ob das Denkmal, das man den beiden größten Wirtschaftskapitänen des Landes setzt, gleich hoch oder höher als der Lindwurm ausfallen sollte.“

Kulterer, heute „Berater“ mit Lebensmittelpunkt in London, kommt mit einer lächerlichen Geldstrafe in Höhe von 140.000 Euro davon; der nach wie vor amtierende (und ebenfalls geständige) Hypo-Manager Thomas Morgl muss 114.000 Euro bezahlen; allein Striedinger bestreitet weiterhin alle Vorwürfe, sein Prozess wird getrennt fortgesetzt – es gilt die Unschulds­vermutung. Kulterers Geständnis markiert den vorläufigen Schlusspunkt einer Affäre, die Österreichs Kreditwirtschaft lange vor der Finanzkrise in ihren Grundfesten erschütterte. Ende 2004 hatte die damals mehrheitlich im Einflussbereich des Landes Kärnten und dessen Landeshauptmanns Jörg Haider stehende Bank 288 Millionen Euro in hochriskanten Devisentermingeschäften, so genannten Swaps, versenkt. Die Verluste wurden zunächst nicht ordnungsgemäß in der Bilanz verbucht. Nach Auffliegen des Skandals im Frühjahr 2006 wurde Kulterer nicht müde, die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen zu beteuern. Haider wiederum wähnte immerfort eine generalstabsmäßig organisierte Intrige der Wiener Bankenlobby gegen „seinen Wolfgang“.

Haider ist verstorben, Kulterer verurteilt, die Bank verkauft. profil nimmt das Geständnis zum Anlass, die Geschehnisse in der Bank anhand bisher unveröffentlichter Dokumente, darunter sensible Protokolle aus Finanzmarktaufsicht, Nationalbank, Wirtschaftsprüferkanzleien und Staatsanwaltschaft Klagenfurt, aufzuarbeiten. Was mit einem vergleichsweise banalen Geschäftsfall Ende 2004 begann, wuchs sich innerhalb weniger Monate zu einem der größten Bilanzskandale der jüngeren österreichischen Wirtschaftsgeschichte aus. Begünstigt durch maßlose Selbstüberschätzung, Ignoranz und politische Seilschaften.

September 2004
Die Hypo Alpe-Adria-Bank International AG steuert auf ein neues Rekordergebnis zu. Unter Kulterer, im November 1992 von Landeshauptmann Christof Zernatto in den Vorstand geholt, 1999 unter Haider zum Vorstandschef geadelt – hat das Haus einen beachtlichen Wandel durchlaufen. Bilanzsumme und Gewinne wurden dank einer forschen Auslandsexpansion vervielfacht. Management- und Kontrollstrukturen der Bank haben, wie sich erst später zeigen wird, allerdings nicht Schritt gehalten. So fällt es zunächst niemandem auf, dass ein übereifriger Mitarbeiter im so genannten Treasury zwischen 22. September und 6. Oktober 2004 zwei Geschäfte mit dem London-Ableger der US-Investmentbank Lehman Brothers abschließt. Der Kärntner Banker, der sich angeblich Chancen auf ein Vorstandsmandat ausrechnet, erwartet ein Erstarken des US-Dollars gegenüber Schweizer Franken und Yen. Die Natur dieser „Swaps“ will es, dass bei vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz (das „Basisvolumen“ liegt bei jeweils 50 Millionen Euro) hohe Gewinne, aber noch höhere Verluste möglich sind. Doch der Dollar erfüllt die Erwartungen des Hypo-Bankers nicht, bis Mitte November gibt der Kurs so stark nach, dass der Bank rechnerisch plötzlich enorme Verpflichtungen gegenüber Lehman entstehen.

November 2004
Am 15. November erfährt Wolfgang Kulterer erstmals von den Schieflagen. Der zuständige Mitarbeiter wird von seinem Posten abgezogen. Um noch höhere Verluste zu verhindern – rechnerisch sind es bereits annähernd 300 Millionen Euro, Tendenz steigend –, nimmt die Bank Verhandlungen mit Lehman Brothers auf.

Jänner 2005
Am 14. Jänner setzen Verhandler von Hypo und Lehman Brothers ihre Paraphen unter eine folgenschwere Vereinbarung. Die Bank muss Verluste von nunmehr 288 Millionen Euro realisieren, aber nicht auf einmal. Lehman gewährt Ratenzahlungen auf zehn Jahre. Die Geschäfte werden bank­intern weiterhin als Swaps geführt, obwohl es sich eigentlich nur mehr um ein ordinäres Kreditgeschäft handelt, welches voll bilanziert werden müsste. Damit wird gleichsam die Basis für die spätere Bilanzfälschung gelegt.

März 2005
Die Bilanzprüfer der Klagenfurter Wirtschaftsprüferkanzlei Confida, respektive die ebenfalls engagierten Kollegen von Deloitte aus Wien, versehen den Hypo-Jahresabschluss 2004 mit dem so genannten uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Obwohl die Bank 288 Millionen Euro versenkt hat, wird seitens des Managements nur ein Betrag von etwa 30 Millionen Euro minus verbucht. Die Prüfer werden später beteuern, sie hätten keinerlei Hinweise auf entsprechende Unregelmäßigkeiten entdeckt.

April 2005
Am 14. April präsentiert Kulterer vor Journalisten in Wien ein vermeintliches Rekordergebnis 2004. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ist um 34 Prozent auf 172 Millionen Euro gestiegen. Der Vorstandschef schwärmt vom nahenden Börsengang und verkündet selbstbewusst die Erschließung neuer Märkte. Am 30. April erfolgt ein Wechsel an der Spitze des Aufsichtsrats. Der deutsche Energiemanager Klaus Bussfeld macht – angeblich auf Druck von Haider selbst – dem Wiener Steuerberater Karl-Heinz Moser Platz. Moser ist intimer Kenner der Bank. Er hat im Namen von Confida die Hypo-Bilanzen bis 2001 höchstselbst testiert. Erst jetzt erfährt das Kontrollgremium (und auch hier nur ein kleiner Kreis) von den Millionenverlusten. Kulterer wird das Versäumnis später damit rechtfertigen, dass er die Bank vor Indiskretionen aus dem Aufsichtsrat „schützen“ habe wollen. Ähnlich hat sich übrigens Helmut Elsner im ­Bawag-Prozess verteidigt.

Juli 2005
Kulterer wähnt sich am vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Anlässlich des Spatenstichs zur Sanierung von Schloss Velden bittet er 2000 ausgewählte Gäste, darunter jede Menge Promis, zu einem „Kick-off-Event“ der Superlative. Soul-Barde Lionel Richie gibt ein Privatkonzert. Irgendwo zwischen „Hello“, „Easy“ und „Dancing on the Ceiling“ ruft er in die tanzende Menge: „Bankers goin’ wild!“

September 2005
Wolfgang Kulterer lässt sich vom Aufsichtsrat auf fünf weitere Jahre bestellen. Der Konzern beschäftigt inzwischen 4800 Mitarbeiter an etwa 200 Standorten in acht europäischen Ländern. Und peilt abermals ein „Rekordergebnis“ an. Jedenfalls wird das öffentlich so dargestellt.

Von Michael Nikbakhsh und Josef Redl