Datendrang

Daten. Besserverdiener, Raucher und Mercedes-Fahrer? Datenhändler wissen mehr über Sie, als Ihnen lieb ist

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Bei seiner ersten Einvernahme zeigte sich Josef H. wenig gesprächig. Er hatte allerdings ein dringendes Anliegen. „Ich teile nun auch mit, dass sich in dieser Wohnung auch drei Schildkröten befinden. Es war mir jedoch nicht möglich, dass ich eine Pflege für diese Tiere während meiner Untersuchungshaft organisieren konnte“, so der Mann kurz nach seiner Festnahme in den Abendstunden des 20. Oktober 2010.

Rührend, denn eigentlich hatte Josef H. weitaus größere Sorgen. Der Mann ist eine Schlüsselfigur in dem größten bisher bekannten Fall von Datenmissbrauch in Österreich. Der Unternehmer bezahlte über Jahre hinweg Gerichtsbeamte, damit sie ihm im großen Stil Auszüge aus den Exekutionsregistern übermittelten. Bis der Fall im Vorjahr aufflog, hatte sich H. auf illegale Weise rund mehrere Millionen Datensätze beschafft und an einen Adresshändler weiterverkauft.

Der Handel mit sensiblen Daten ist ein gleichermaßen florierendes wie umstrittenes Geschäft geworden. Die Beschaffungsmethoden der Adresshändler sind hart an der Grenze zur Illegalität. Zu fürchten haben sie kaum etwas. Missbrauch wird selten entdeckt und, wenn überhaupt, nur sehr milde geahndet. Verwaltungsstrafen von ein paar tausend Euro stehen in keinem Verhältnis zu dem Profit, der sich aus dem Weiterverkauf erzielen lässt.

Josef H. hat in den achtziger Jahren klein angefangen. In mühevoller Detailarbeit notierte er die Daten der bei Gericht ausgehängten Exekutionstitel, um sie für einen Adresshändler zu sammeln. Irgendwann machte er sich selbstständig und bezahlte Pensionisten dafür, die Aushänge abzuschreiben. Doch seine Auftraggeber wollten immer mehr. Also änderte H. seine Vorgangsweise.

„Ich kam auf die Idee, die Exekutionsabteilung eines Gerichts anzurufen. Ich erzählte den Gerichtsangehörigen, dass ich Inhaber einer Auskunftei bin, und habe den jeweiligen Sachbearbeiter am Telefon gefragt, ob er mir die Exekutionsdaten regelmäßig zur Verfügung stellen könnte“, geht aus dem profil vorliegenden Einvernahmeprotokoll der Vernehmung von Josef H. beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung am 29. Oktober 2010 hervor. Es gehörte offenbar nicht viel Überredungskunst dazu, die Gerichtsmitarbeiter zur Datenweitergabe – noch dazu an einen gänzlich Unbekannten – zu bewegen. Die telefonisch angeworbenen „Melder“ druckten stapelweise Gerichtsdaten aus und verschickten diese per Post an H. „In der Regel wurde von mir für eine Seite ein Euro bezahlt. Bei manchen Gerichtsbediensteten zahlte ich 1,50 Euro. (…) Die monatlich ausbezahlten Pauschalen befanden sich zwischen 50 und 500 Euro“, so H. weiter. Ein günstiger Tarif. H. kassierte monatlich 20.000 Euro – für 100.000 an den Adresshändler Deltavista übermittelte Datensätze. Reich ist H. bei seinen Geschäften nicht geworden. Eine kleine Eigentumswohnung und ein Bankguthaben von 50.000 Euro waren alles, was er nach eigenen Angaben in zehn Jahren Datenhandel ansparen konnte.

Der Adresshändler Deltavista, den H. mit Daten aus der Exekutionsdatenbank belieferte, ist einer der kleineren Marktteilnehmer. Von den Machenschaften des Lieferanten will man nichts gewusst haben. Für das Jahr 2010 weist die österreichische Tochtergesellschaft des in der Schweiz domizilierten Unternehmens einen Gewinn von rund einer Million Euro aus. Dem Vernehmen nach steht Deltavista, das über Niederlassungen in Deutschland, Österreich, Polen und der Schweiz verfügt, zum Verkauf. In der Branche spricht man von einem Unternehmenswert um die 100 Millionen Euro. Bei solchen Summen verwundert es nicht, dass Datenhändler es in Kauf nehmen, ihre Informationen aus zumindest zweifelhaften Quellen zu erwerben. Oder mit zweifelhaften Methoden. So sicherte sich kürzlich ein Schweizer Unternehmen Daten von bwin-Kunden, indem es alte Rückantwortkuverts des Sportwettenanbieters zum Kilopreis aufkaufte.
Laut österreichischer Gewerbeordnung dürfen Adresshändler Namen, Geschlecht, Titel, Anschrift, Geburtsdatum, Berufsbezeichnung und die Zugehörigkeit zu einer Kundendatei weitergeben. Allerdings nur, wenn die Betroffenen darüber informiert wurden und nicht von ihrem Recht auf Widerspruch Gebrauch gemacht haben. Für die Weitergabe von Daten, die über die genannten hinausgehen, braucht es eine Einverständniserklärung. So weit die Rechtslage, doch die ist oft nur graue Theorie. „In 70 bis 80 Prozent der Fälle werden die Konsumenten nicht darüber informiert, dass ihre Daten weitergegeben werden. Das haben unsere Untersuchungen gezeigt“, erklärt Datenschützer Hans Zeger. Wer nicht darauf hinweist, verletzt das Datenschutzgesetz. „Darauf können Verwaltungsstrafen von bis zu 25.000 Euro drohen“, sagt Gerald Otto, Rechtsanwalt und Experte für Datenschutzrecht. Die Betonung liegt auf „können“, denn gestraft werde nur sehr selten, meint Zeger. Gegen Missbrauch kann man sich nur bedingt schützen, allerdings können Konsumenten das Löschen der eigenen Daten veranlassen.

Der Handel mit personenbezogenen Daten ist ein Milliardengeschäft. Allein in Österreich sind über 300 Adresshändler tätig, die jährlich einen Umsatz von 200 Millionen Euro erwirtschaften. Den Großteil des Kuchens teilen sich jedoch nur eine Handvoll Unternehmen auf. Während die Österreichische Post mit dem Handel von personenbezogenen Daten dick im Geschäft ist – laut Unternehmensangaben wird im reinen Adresshandel ein Umsatz „im siebenstelligen Eurobereich“ erzielt –, wird sich der Telefonbuchanbieter Herold mangels Nachfrage in absehbarer Zeit aus diesem Segment zurückziehen. „Das ist nicht unser Kerngeschäft, wir sind auf Unternehmensdaten spe­zialisiert“, sagt Herold-Marketingleiterin Margit Kaluza.

Damit wird der Markt zunehmend internationaler. „Es gibt einen gewaltigen Konzentrationsprozess“, sagt Zeger, Obmann der Arge Daten. Kleine österrei­chische Anbieter werden sukzessive von großen, zumeist deutschen Unternehmen aufgekauft.

Die Datensammler zapfen alle nur erdenklichen Quellen an: Sie durchforsten öffentlich zugängliche Verzeichnisse wie Telefonbücher, E-Mail-Listen, Vereins- und Handelsregister und sogar Privatanzeigen in Zeitungen. Wer bei Preisausschreiben mitmacht und auch für Callcenter und Marktforschungsinstitute ein offenes Ohr hat, kann davon ausgehen, dass seine Daten früher oder später bei einem Adresshändler landen.
Zudem herrscht zwischen den Unternehmen unterschiedlichster Branchen und den Adressbrokern ein schwunghafter Handel: Nichts weckt so große Begehrlichkeiten wie gut gepflegte Kundendatenbanken, die Aufschluss über das Kaufverhalten geben. Versandhäuser und Handelsunternehmen verklopfen ihre Daten und verdienen sich so ohne viel Aufwand ein schönes Zubrot. Wer nicht auf das Kleingedruckte achtet und entsprechende Passagen über die Weitergabe seiner Daten an Dritte nicht streicht oder bereits angekreuzte Felder in Online-Formularen übersieht, wird mit persönlich adressierten Werbebroschüren zugeschüttet. „Bei der Datenweitergabe läuft alles ein bisschen dubios ab“, meint Zeger.

Die gewonnenen Informationen fetten die Adresshändler zusätzlich mittels statistischer Verfahren auf. So wird Personen mit Wohnadresse in der Bezirksstadt Mödling eine hohe Kaufkraft zugeschrieben. Schließlich gehört die Stadt zu den teuersten Wohngegenden Österreichs. Da auch Vornamen gewissen Moden unterworfen sind, lassen diese auf das Alter der jeweiligen Person schließen. Männer namens Adolf werden beispielsweise kurzerhand der Zielgruppe 60 plus zugerechnet, denn in jüngster Zeit war dieser Name eher weniger populär.

Die aus einer Vielzahl von Quellen ­gesammelten Daten werden verglichen, gefiltert und kombiniert. So lassen sich ­unterschiedliche Zielgruppen zusammenstellen, die für Unternehmen zur Neukundengewinnung einen enormen Wert darstellen. „Ziel ist immer die Reduzierung von Streuverlusten. Wir wollen verhindern, dass die Konsumenten ein für sie unpassendes Angebot bekommen“, sagt Michael Kargl, Geschäftsführer der österreichischen Niederlassung von AZ Direkt, einer Tochter des deutschen Medienhauses Bertelsmann, das mit europaweit 28.000 Mitarbeitern zu den Big Playern der Branche gehört.

Und je detaillierter die Informationen zu den jeweiligen Adressen sind, desto teurer wird es.

Wer etwa im Internetshop der Schober Information Group nach Wienerinnen im Alter zwischen 30 und 45 Jahren sucht, die sich für Kinderartikel und Mode interessieren und über eine hohe Kaufkraft verfügen, wird rasch fündig. 5233 Datensätze spuckt der Rechner in Sekundenschnelle aus. Kostenpunkt: 30 Cent das Stück. Macht zusammen 1569,90 Euro. Für 2200 dieser Adressen liegen auch die Telefonnummern vor. Diese kann man für zwölf Cent pro Datensatz zusätzlich erwerben. Schober merkt zwar an, dass die Nutzung der Telefonnummer nur zu Abgleich- und Aktualisierungszwecken erlaubt ist, nicht jedoch für Werbeanrufe – ob sich die Kunden tatsächlich daran halten, ist eine andere Frage.

Insgesamt verwaltet die Schober-Gruppe laut eigenen Angaben Adressen von sechs Millionen Österreichern. Zudem sind die Daten von 400.000 Konsumenten als so genannte Lifestyle-Profile abgespeichert. Diese lassen sich erstaunlich konkret auswählen. Etwa nach dem bevorzugten Urlaubsziel, der aktuellen Automarke, ob man ein Haustier besitzt oder welche Hobbys man pflegt.

Kaum eine Zielgruppe, die nicht schon vorselektiert wäre. So bietet Hermes Direkt Adressen von „deutschen Intellektuellen“ an. Als intellektuell gelten bei dem Schweizer Unternehmen Personen, die „Focus“, „Spiegel“ oder „Wirtschaftswoche“ lesen und zudem über einen akademischen Titel verfügen. Auch im Angebot: „Frauen mit Stil aus Österreich“. Darunter versteht Hermes Direkt weibliche Kundschaft mittleren Alters, „im prächtigen, nicht mehr ganz gertenschlanken Umfang“. Die Daten stammen von einem ­österreichischen Versandhaus. Unternehmen, die sich für Adressen von Sexshop-Kunden, Aristokraten oder Amateur­models interessieren, werden bei Hermes ­Direkt ebenfalls fündig.

Kürzlich geriet das Unternehmen in die Schlagzeilen, weil es sich Kundendaten des Sportwettenanbieters bwin erschwindelt haben soll. „Wir stehen vor der Schwierigkeit, dass rechtliche Schritte gegenüber im Ausland ansässigen Firmen nicht oder nur nach sehr langwierigen Prozessen möglich sind. Kurzfristige Schritte mit dem Ziel einer Unterlassung des Angebots der Daten sind nicht möglich“, so ein bwin-Sprecher.

Wie gering der Schweizer Adresshändler den Schutz der Privatsphäre schätzt, zeigt bereits ein Blick auf dessen Homepage. Konsumenten, die auf Löschung ihrer Daten bestehen, nennt Hermes Direkt dort „die üblichen Kandidaten, die zuerst an Gewinnspielen teilnehmen und sich dann beschweren“.

Mitarbeit: Victoria Beninger

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).