Gehirnbomben der Anti-Konsum-Piraten

Debatte: Gehirnbomben

Probe-Aufstand gegen die Diktatur des Designs

Drucken

Schriftgröße

2001 war ein fabelhaftes Jahr für Kalle Lasn. Die New Economy und die Börse waren am Boden. Der nimmermüde Betreiber der Anti-Werber-Plattform Media Foundation und rabiate Propagandist einer Anarchie der Zeichen sah die Saat seines Guerillakampfes gegen die Machenschaften der Großkonzerne aufgehen. Schon 1999, in seiner dröhnenden Feier der Subversion der Kommerzkultur, dem revolutionsromantischen Manifest „Culture Jamming“, träumte er von sinnverfremdeten, kritischen Werbebotschaften, von Logos und Symbolen, die wie „Gehirnbomben“ in den Köpfen der Menschen explodieren sollten: Fake-Waschmittelwerbungen etwa, die den Stimmungsaufheller Prozac anpreisen. Oder abgepackte Supermarkt-„Chickens“, deren Schriftzug die zum Calvin-Klein-Logo verformten Buchstaben C und K enthalten und mit „great legs“ und „nice breasts“ angepriesen werden. „Es ist wie beim Judo“, sagt Lasn. „Wir nutzen die Wucht der millionenschweren Anzeigen und Spots der Werbeindustrie und hauen sie auf die Matte.“

Die Taktik der Zeichensubversion nützen mittlerweile sowohl Politaktivisten, Radical-Chic-Adepten als auch interventionistische Künstler. Die amerikanischen „Yes Men“ fälschten die Website der WTO und schleusten sich als falsche Redner in hochrangige Wirtschaftsmeetings ein, um dort zynische Rassismen zum Besten zu geben. Die deutsche Künstlerin Silke Wagner beschriftete im Jahr 2000 aus Protest gegen die Abschiebepraxis ihres Heimatlandes einen „Lufttransa“-Bus mit einem abstürzenden Kranich-Logo und dem Schriftzug „Deportation Class“, während der Schweizer Daniele Buetti makellose Gesichter von Fotomodellen mit dem Nike-Swoosh buchstäblich brandmarkt. Doch auch die Gegenseite, der „korporative Situationismus“ (so der Kulturtheoretiker Tom Holert) schläft nicht: Das Modelabel „Mägde und Knechte“ etwa setzte im Zuge der RAF-Verpoppung auf T-Shirts mit „Prada Meinhof“-Aufdruck.

Heute wird immer noch abgeschoben, Nike und Prada geht es gut, und die Börsenkurse zeigen wieder nach oben – was die Laune eines Mannes wie Kalle Lasn zuverlässig in den Keller rasseln lässt. Die Revolution muss warten, aber der gebürtige Este brennt weiter. Denn das, was ihn nach wie vor antreibt, ist die ewige Wut des Weltverbesserers, der in keine der alteingesessenen „Zornbanken“ wie Parteien oder Religionen mehr einzahlen will.

Todfeind. Wut worauf? Da wäre die reale und die „mentale“ Umweltverschmutzung. Oder die Wut auf die Reichen und Satten, denen der „angry old man“ den „Schock ihres Lebens“ verpassen will. Oder die Wut auf überhaupt alles, was das kapitalistische System am Laufen hält. Dabei ist Kalle Lasn diesem selbst alles andere als fern: Die diesjährige Designertagung Typo in Berlin eröffnete er mit einer Brandrede gegen die eigene Zunft, und neben seinem „Todfeind“, dem Zigarettenhersteller Philip Morris, hasst er vor allem die Grafik- und Kommunikationsexperten, die „Arschkriecher“ der Unternehmen.

Auch deshalb wohl heißt sein aktueller, voluminöser Bildband „Design Anarchy“. Der collageartige, von Punk- und Dada-Referenzen gespickte Gegenentwurf zur glatten Konsumästhetik dokumentiert einige der auffälligsten Arbeiten des apokalypsegeilen Propheten einer postkapitalistischen Welt. Allerdings kroch Lasn selbst aus dem Bauch der Bestie: Als Flüchtling aus Tallinn emigrierte er nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern nach Australien und analysierte als studierter Mathematiker zunächst für das australische Militär Kriegsszenarien. Später gründete er ein Marktforschungsunternehmen in Tokio, scheffelte jede Menge Geld – und ließ es während einer dreijährigen Reise durch die ärmsten Länder des Planeten in die Dritte Welt zurückfließen. Geläutert wanderte er nach Kanada aus und versuchte sich dort als experimenteller Filmemacher und Kommunarde.

Seit 1989 produziert der heutige Öko-Fundi am Apple-Laptop mit einer Hand voll Gleichgesinnter in Vancouver das „Adbusters Magazine“ – eine leicht chaotische Mischung aus giftigen „Subvertisements“ und kulturkritischen Textfragmenten, die, frei nach Situationismus-Mastermind Guy Debord, gegen die Gesellschaft des Spektakels agitiert. Zunächst rekrutierten sich die Adbusters aus frustrierten Kreativen, die bei Tag ihre Großmutter verkauften und in der Nacht an der symbolischen Revolution bastelten. Doch Ende der neunziger Jahre dockte der lose Haufen versprengter Linker, verirrter Christen und besorgter Umweltschützer an den Zeitgeist an. Naomi Kleins Abrechnung mit der Diktatur der Marken, der Bestseller „No Logo“, erschien 2000 und war Wasser auf die Mühlen der so genannten Globalisierungsgegner.

Widerstandsnest. Die neue Klasse der „umherschweifenden Produzenten“ (Lasns Politguru Antonio Negri) assistierte der Macht der Straße mit der Macht der Gegenbilder. Unmittelbar nach den Unruhen in Seattle 1999, die Lasn als Demonstrant hautnah miterlebte, stieg die Auflage seines Anti-Hochglanz-Hochglanzmagazins auf 120.000 Stück an. Viele davon liegen längst in Werbeagenturen auf, und Künstlerstars wie Cindy Sherman, Damien Hirst, Jeff Wall und Jeff Koons steuern gratis Content bei. Das Widerstandsnest gegen das amerikanische Empire hat sich inzwischen zu einem veritablen Geschäftsimperium gemausert: Drei Millionen Dollar Umsatz pro Jahr sorgen dieses Jahr erstmals für schwarze Zahlen. Potente Organisationen wie Greenpeace schalten über die Media Foundation TV-Spots, und alternative Sportschuhe aus Hanf inklusive recyclebarer Sohle werden von der Blackspot-Anticorporation bei einem portugiesischen Familienbetrieb hergestellt und zum halben Preis der üblichen Markenprodukte vertrieben. Sogar der mit 70 Euro nicht gerade billige Bildband „Design Anarchy“ wirft angeblich schon Gewinn ab.

Kalle Lasn lebt heute nicht nur von der Vermarktung seiner marktkritischen Ideen, sondern positioniert sich, wie letztlich auch die Logo-Verächterin Naomi Klein, zwangsläufig auch selbst als Marke. Nur dass er im Unterschied zu Klein gar nichts gegen Logos an sich einzuwenden hat, solange diese jedermann besitzen und verwenden kann. Der Vordenker der Culture-Jammer bringt damit das Dilemma der publicityabhängigen Kämpfer gegen die Diktatur der Aufmerksamkeitsökonomie auf den Punkt. Alles kann zum Image werden – auch das Anti-Image.

Imagewert. Während Kunstaktionen wie „Delete!“ 2005 den Overkill der Werbebotschaften der Wiener Neubaugasse für zwei Wochen hinter gelbem Stoff verhüllten, kann man in Städten wie Singapur oder Berlin auf Plakatslogans wie diese stoßen: „Camp. Independent. Radical. Revolution.“ Solch anonyme Werbebotschaften künden von temporären Besetzungen von Abrisshäusern im Dienste der High-End-Fashion. Der Modehersteller

„Comme des Garçons“ wirbt mit diesen Plakaten für seine Guerilla-Stores und nährt sich solange von den Imagewerten urbaner Dissidenz, bis sie aufgebraucht ist.

Gegen diesen Wettlauf zwischen Hase und Igel, zwischen Rebellion und Vereinnahmung sind auch die rotzigen Adbusters machtlos. Da hilft nur noch die „Pause“-Taste: der „Buy Nothing Day“ am letzten Novembersamstag wurde in mittlerweile 80 Länder exportiert. An diesem Tag bleibt auch das Internetportal der Anti-Werber geschlossen. Kalle Lasn selbst ist das nicht genug: Er plädiert dafür, endlich auch mit dem „Buy Nothing Christmas Day“ Ernst zu machen.

Von Thomas Edlinger