"Den Herrn Strache wünsch ich mir nicht"

"Den Herrn Strache wünsch ich mir nicht": Sandra Cervik im profil-Sommergespräch

Sandra Cervik im profil-Sommergespräch

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profil: Frau Cervik, wie lesen Sie Zeitungen? Von hinten oder von vorne?
Cervik: Ich beginne hinten, bei der Kultur. Im „Kurier“ ist der Kulturteil hinten, bei anderen in der Mitte. Und dann gehe ich nach vor, in die Politik. Dann kommt es auf die Situation an: Manchmal kommt dann der Sport oder die Gesellschaft oder die Chronik.

profil: Lesen Sie alles?
Cervik: Ich bin eher eine „Zeitungsauswendiglernerin“, nicht bei allen Zeitungen natürlich. Ich hab so zwei, drei – aber die lese ich dann genau.

profil: Sport lesen Sie auch?
Cervik: Ja, manchmal schon. Neulich gab es einen Transfer von irgendeinem Fußballer, das hat mich wahnsinnig fasziniert.

profil: Cristiano Ronaldo ging um 94 Millionen Euro von Manchester United zu Real Madrid.
Cervik: Genau, das ist doch spannend.

profil: Um diese Summe könnte man das Theater in der Josefstadt einige Jahre lang betreiben.
Cervik: Das ist eine gute Idee: Man könnte ja damit beginnen, Schauspieler zu verkaufen. Aber vielleicht würd dann keiner zugreifen, und das wär dann ja peinlich.

profil: Ich habe kürzlich in der U-Bahn-Zeitung gelesen, dass Sie laut dem deutschen Männermagazin „FHM“ die vierundzwanzigsterotischste Frau der Welt sind. Haben Sie das mitbekommen?
Cervik: Und ob! Unsere Presseabteilung hat mir das gezeigt, weil dieses Männermagazin ein Foto von mir haben wollte. Ich war die einzige Österreicherin in diesem Ranking – wie immer die auf mich gekommen sind. Besonders schrullig war dann, wie das in diesem Heft ausgeschaut hat. Die anderen haben Fotos geschickt, auf denen sie ganz leicht bekleidet sind – so lasziv, mit einem Finger im BH. Und mein Foto: breit lächelnd bei irgendeiner Premierenfeier und absolut unsexy. Es war zum Totlachen.

profil: Wie gehen Sie mit ernsthafteren Kritikern um? Sind Sie böse, wenn die einmal schreiben: Also diesmal hat es Frau Cervik wirklich nicht gebracht.
Cervik: Schauspieler und Kritiker – das ist ja ein ewiges Thema. Aber nein, böse bin ich nicht.

profil: Verletzt?
Cervik: Ja, schon. Ich habe früher immer gehofft, dass es mit der Zeit besser wird. Aber es wird nicht besser. Manche Schauspieler behaupten, sie würden die Kritiken nicht einmal lesen. Das glaube ich ihnen nicht, weil ich es selbst nicht ertragen könnte, wenn alle wissen, was da drin steht, und ich weiß es als Einzige nicht und würde dann womöglich überall diesen mitleidvollen Blicken begegnen. Eine furchtbare Vorstellung! Ich lese also auch die negativen Kritiken, nehme sie mir zu Herzen, aber es geht auch wieder vorbei. Wenn man am Beginn dieser Berufslaufbahn kritisiert wird, stellt sich ja das Gefühl ein, überhaupt nie wieder auf eine Bühne gehen zu wollen. Aber das legt sich.

profil: Ihre berühmte Kollegin Käthe Gold hat in den fünfziger Jahren dem ebenfalls berühmten Kritiker Hans Weigel im Kaffeehaus eine Ohrfeige gegeben und ist dann wortlos wieder hinausgegangen. Haben Sie das schon einmal in Erwägung gezogen?
Cervik (lacht): Nein! Hans Weigel war übrigens mein Lyriklehrer und hat mir diese Geschichte selbst erzählt. Er hat gesagt: „Recht hat s’ ghabt!“

profil: Kommt es auch vor, dass Sie sagen: Eigentlich hat er Recht, wenn einmal jemand etwas Kritisches über Sie schreibt?
Cervik: Mit ein bisschen Abstand schon. Nicht unbedingt im Moment des Lesens. Aber man kann schon auch selbst zum Schluss kommen, dass diese Vorstellung wirklich nicht besonders gut war. Ich mache ja nicht Theater für mich selbst, ich mache es für das Publikum, natürlich auch für die Fachleute. Als Schauspieler weiß man ein wenig, wie man die diversen Kritiker einzuschätzen hat.

profil: Ihr Mann, Herbert Föttinger, ist auch Direktor des Theaters und führt Regie. Ist das manchmal schwierig, mit dem Chef verheiratet zu sein?
Cervik: Es ist anders schwierig, als man glaubt. Man nimmt ja immer an, dass der Informationsfluss besser ist, in Wahrheit ist er fast ein bisschen schlechter. Schwierig im Sinne von „er ist mächtiger“ ist es nicht. Zumal Herbert auch nicht jemand ist, der das raushängen lässt.

profil: Und Sie können die Machtverhältnisse zu Hause ja wieder umdrehen, oder?
Cervik: Nein, zu Hause ist eindeutig unser elfjähriger Sohn der Machthaber.

profil: Wie hat man sich eine Schauspielerehe vorzustellen? Probieren Sie während des Schnitzelklopfens Rollen?
Cervik: Nein. Früher haben wir wahnsinnig viel über Probenarbeit und ähnliche Dinge geredet. Das hat sich mit dem Kind natürlich deutlich verändert, weil es jetzt auch andere Themen gibt. Schule ist zum Beispiel ein großes Thema. Text lernen wir gar nicht zusammen.

profil: Es ist also nicht so, dass Sie zu Hause kleine Szenen aufführen, und Ihr Sohn sitzt dabei?
Cervik: Nein, aber als wir den „Reigen“ gespielt haben – das war ja ein 2-Personen-„Reigen“ –, konnte schon vorkommen, dass wir während des Kochens auch den Text durchgesprochen haben.

profil: Das Theater in der Josefstadt ist der Inbegriff eines bürgerlichen Theaters in einem tief bürgerlichen Bezirk. Sie und Ihr Mann versuchen, das Haus etwas zu modernisieren. Gelingt das, oder ist das Publikum beharrlich?
Cervik: Es ist schon zu spüren, dass viele die Sehnsucht hatten, dass sich die Josefstadt verändert. Und es gibt erstaunlich viele, die mitgehen. Langsam wird es selbstverständlich, dass hier Uraufführungen stattfinden, dass zeitgenössische Autoren gespielt werden. Das war früher nicht vorstellbar. Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen, aber Herbert Föttinger hat noch viel vor.

profil: Was verstehen Sie persönlich unter dem Begriff „bürgerlich“?
Cervik: Er beschreibt eine finanzielle und gesellschaftliche Stellung, eventuell verbunden mit einer gewissen politischen Haltung.

profil: Ist Bürgerlichkeit eine Tugend – das Bürgertum als Bewahrer des Guten und Schönen?
Cervik: Ich würde es nicht unbedingt als Tugend bezeichnen. Außerdem hat ja auch die Arbeiterklasse Traditionen, die es wert sind, erhalten zu werden.

profil: Hier, im bürgerlichen Bezirk Josefstadt, gibt es seit Kurzem eine grüne Mehrheit. Wie verträgt sich das, Ihrer Meinung nach?
Cervik: Ich habe ohnehin den Eindruck, dass alle Weltanschauungen etwas verschwimmen. Die politischen Positionen werden ja in keiner Partei so krass vertreten wie früher – ausgenommen gewisse ganz rechts außen Stehende. Die Grünen wurden ja oft als linkslinke Chaoten dargestellt. Aber das stimmt so nicht.

profil: Sieht man als Schauspielerin, wer da unten im Publikum sitzt?
Cervik: Das sieht man schon. In Turrinis „Wirtin“ habe ich zum Beispiel sehr viele direkte Monologe ins Publikum, und natürlich sieht man da jeden Einzelnen.

profil: Sind da oft Politiker darunter?
Cervik: Bei den Premieren schon, sonst kann ich nicht sagen, dass ich besonders viele Politiker sehe. Vielleicht sitzen sie geheim irgendwo ganz hinten.

profil: Vielleicht sind sie ein kulturloses Pack.
Cervik: Nein, das wollen wir ihnen nicht unterstellen.

profil: Natürlich nicht. Die ehemaligen Kanzler Schüssel und Gusenbauer sind regelmäßige Theater- und Opernbesucher. Der Bundespräsident wohnt gleich vis-à-vis, kommt der öfter vorbei?
Cervik: Auch eher zu den Premieren. Mit Peter Turrini ist er persönlich befreundet, da kam er nicht zur Premiere, sondern in eine spätere Vorstellung.

profil: Gibt’s einen Politiker, der Ihnen gefällt oder gefallen hat?
Cervik: Da muss ich eine Lanze für die Unterrichts- und Kulturministerin Schmied brechen. Mir hat gut gefallen, wie weit sie sich in den vergangenen Monaten bezüglich der Bildungspolitik hinausgelehnt hat. Auch wenn sie vielleicht für manche etwas streng wirkt – ich mag sie wirklich sehr gern. Und natürlich Barack Obama. Unser aller Barack.

profil: Politiker greifen mitunter ja in das Repertoire des Schauspielers. Wie gut sind sie denn?
Cervik: Unbegabt. Schauspielerei ist ja auch etwas anderes, sie hat mit einem In-etwas-Hineinschlüpfen zu tun. Politiker sind eher rhetorisch und gestisch trainierte Menschen. Die lernen, wie man sitzt, wie man etwas Bestimmtes tut. Das ist nicht Schauspielerei. In den Fernsehdiskussionen beobachte ich immer wieder diese Handhaltung. Man hat ihnen offenbar beigebracht, nicht zu nervös oder zu unsicher in ihren Papieren zu blättern. Man hat ihnen gesagt: Du musst offen sitzen, ruhig sitzen und eventuell schreibst du dir dann einmal etwas auf.

profil: In Österreich scheiden sich die Geister wieder einmal an der FPÖ und deren Politikern. Glauben Sie, dass Rechtsradikale in Österreich eine Gefahr darstellen?
Cervik: Ich fürchte, sie sind in ganz Europa eine latente Gefahr. Es ist natürlich eine Gefahr, dass so viele Menschen in Unkenntnis, in Ungeduld und in Unwissenheit politische Inhalte aufnehmen, die mir absolut fremd sind und die ich in meinem Leben nie unterstützen werde.

profil: Warum ist der Rechtspopulismus in Österreich so viel erfolgreicher als in Deutschland?
Cervik: Ich habe jetzt in Berlin gespielt und die Menschen ein wenig beobachtet. Sie sind wirklich etwas anders drauf. Sie sind direkter, herber. Bei uns ist alles gemütlicher, sympathischer – aber es ist auch ein bisschen gefährlich, weil es darunter brodelt.

profil: Vielleicht finden sich in Deutschland einfach keine rechtspopulistischen Führungsfiguren wie Haider und Strache.
Cervik: Haider war für viele eine Ausnahmeerscheinung, was ich persönlich nicht ganz nachvollziehen kann. Aber ich glaube nicht, dass es nur an den Personen liegt. Wenn solche Inhalte ein Publikum haben, dann findest du immer einen, der sie dann auch vertritt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich just in Deutschland keiner fände. Aber offenbar ist dort das Vakuum, das solche Politiker immer nützen, nicht so groß wie bei uns.

profil: Glauben Sie, dass es einmal einen Bundeskanzler Strache geben wird?
Cervik: Eigentlich nicht. So viel Vertrauen habe ich dann doch in die Österreicher. Und den Herrn Strache wünsche ich mir wirklich nicht als Kanzler.

profil: Warum hat eigentlich das politische Theater keine Konjunktur mehr?
Cervik: Weil man offenbar das Gefühl hat, dass gewisse Sachen vom Theater schon aufgearbeitet sind – die Nazis, die Frauenrechte. Vielleicht gibt es diesbezüglich auch beim Publikum gewisse Ermüdungserscheinungen. Es gab eine Zeit, in der es wirklich definitiv anders war. Als ich von der Schauspielschule kam, gab es eine riesige Freie Szene. Es gab irrsinnig viele Leute, die Theater gemacht haben, politisches, gesellschaftspolitisch engagiertes Theater. Das hat sicher drastisch abgenommen.

profil: Weil die Subventionen dafür abgenommen haben?
Cervik: Das wäre zu einfach erklärt. Aber sicher sind die Theater stärker wirtschaftlichem Druck ausgesetzt. Das geht wohl zulasten des politischen Kampfgeistes.

profil: In den sechziger und siebziger Jahren sind die Leute in Scharen zu den strengen Brecht-Lehrstücken gelaufen.
Cervik: Zunehmend hat aber dann das Kabarett diese politische Funktion übernommen. Das Kabarett hat in Österreich ja meist politisch gearbeitet.

profil: Sandra Cervik als Mutter Courage. Könnten Sie sich vorstellen, in so eine Rolle zu schlüpfen?
Cervik: Wahnsinnig gern. Das kann ich mir durchaus vorstellen. Warum nicht?

profil: Gibt’s eigentlich eine Rolle, die Sie besonders gerne spielen würden?
Cervik: Die werde ich jetzt spielen: die Genia Hofreiter in Schnitzlers „Das weite Land“. Das ist eine Rolle, die mich seit jeher fasziniert hat. Aber wenn man sich auf etwas wahnsinnig freut, dann besteht auch die Gefahr, dass man es dann wahnsinnig schlecht macht, mit zu viel Ehrfurcht. Bei der Genia Hofreiter gibt es noch dazu viele Vorbilder, diese Rolle haben große Schauspielerinnen dargestellt. Das ist natürlich immer hart.

profil: Ist es für Sie schwierig, wenn Ihnen der Regisseur sagt: Du bist im entsprechenden Alter, ab jetzt spielst du die Mama-Rollen?
Cervik: Da wächst man ohnehin hinein. Die jungen Kollegen, die ans Theater kommen, sind wirklich jung im Verhältnis zu mir. Und du denkst dir: „Jetzt ist es wirklich passiert, jetzt bist du echt nicht mehr die Junge.“ Irgendwie hat das auch Vorteile, weil die Rollen dann oft interessanter sind. Es ist ja nicht so, dass die jungen Liebhaber immer das Interessanteste an einem Stück sind. Aber die Rollenauswahl wird, vor allem für die Frauen, enger.

profil: Männer spielen oft noch mit 60 den jungen Hupfer. Ungerecht, oder?
Cervik: Definitiv. Ein weises Wort, gelassen ausgesprochen.

profil: Irgendwann wird die Auswahl überhaupt kleiner. Johannes Heesters kann mit 105 nur noch den lieben Gott spielen.
Cervik: Eben. Was spielt man mit 100 als Frau?

profil: Die liebe Göttin.
Cervik: Gute Idee. Wir sollten nette zeitgenössische Autoren finden, die uns die Rolle schreiben.

profil: Frau Cervik, danke für das Gespräch.