Denn das Schreiben und das Lesen ...

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Es wäre ein arger Aberglaube, Elisabeth Gehrer für einen Renaissancemenschen zu halten. Sie besitzt nicht einmal das schulpolitische Wissen ihrer Zeit. Und sie hat das angeblich überraschende Ergebnis der PISA-Studie überhaupt nicht begriffen.
Ebenso zizerlweise wie tatsachenwidrig hat die Unterrichtsministerin die Streichung von Lehrerposten dementiert, ebenso wie Pflichtschulstunden-Kürzungen und die Erhöhung der Klassenschülerzahlen. Eilfertig hingegen hat sie der „sozialistischen Bildungspolitik“ die Schuld daran gegeben, dass Österreichs Nachwuchs im internationalen Vergleich exakt so untermittelmäßig ist, wie die Bedeutung der Bildung in diesem Land.

Nix wirklich wissen, aber Hauptsach bei der nächsten Prüfung durchkommen ist die recht unverhohlene Vorgabe der Eltern; nur das lernen, was man „im Leben wirklich braucht“, ist die Empfehlung jener kinderlosen Erwachsenen, die von politischen Troglodyten als „praxisorientiert“ bezeichnet werden. An persönlicher Bildung sei „die Wirtschaft nicht interessiert“, heißt es gern, was sehr primitiv hieße, innovative Manager zu bloßem Nutzvieh zu stempeln. Anderseits gibt es die „indienstzunehmende Ausbildung“, wie „Falter“-Chefredakteur Armin Thurnher schreibt, und daher stehe die Gesellschaft seit je vor dem Dilemma zweier Aneignungsarten von Kompetenz.

Immerhin hat sogar Gehrer erfasst, dass auch die Eltern mitschuldig sind. Das entlässt sie aber nicht aus der Verantwortung für ein Schulsystem, das so toll nicht sein kann, wenn begleitender Nachhilfeunterricht nicht mehr wie früher die Ausnahme, sondern bereits Bestandteil des Schullebens geworden ist: Seit der vorletzten, so umjubelten PISA-Studie ist die Zahl der Nachhilfestunden um gut ein Drittel gestiegen. Gleich geblieben ist der leistungstötende Proporz bei der Vergabe von Schuldirektorenposten: Wer käme auf die Idee, die Startberechtigung für Skiläufer von ihrem Parteibuch abhängig zu machen? Da wäre der Bär
los – aber Kindern kann zugemutet werden, dass ihre Lehrer womöglich von einem treukreuzelnden Dodel beurteilt werden. Dazu hat sich die Ministerin nicht geäußert – mutmaßlich deshalb, weil sie das krachende Gebälk über ihrem Kopf nicht einmal hört.

Der Vorwurf an die Eltern bleibt allerdings auf einen unpräzisen Murrer beschränkt, der niemandem wehtun soll. Pädagogen wissen längst, dass Kinder unkonzentriert denken, weil sie ständig mit viel zu vielen Reizen überflutet werden. Eltern tun nichts dagegen: sie lassen den Nachwuchs ungehemmt – logische Schlussfolgerungen verhindernd, die Fantasie einengend – fernsehen; sie schützen ihn nicht vor attackierender Werbung; sie warnen ihre Kinder nicht davor, dass deren Lebenslauf von smarten Hülsen-Händlern zu einer Kette von Events denaturiert wird; sie vergeuden möglichst keine ihnen als „kostbar“ suggerierte Freizeit an sie (vorbildlich sprechen sie ja auch mit ihrem Partner im Schnitt nur sechs Minuten pro Tag); sie lesen selber nur zwei Bücher im Jahr; sie haben selber zunehmend Gedächtnisstörungen, Artikulationsschwierigkeiten und Informationsverarbeitungsdefizite (weshalb diese drei Hauptwörter in Zeitungen üblichwerweise abgeteilt werden).

Die Impulse, die Erwachsene jungen Menschen geben, beruhen auf dem Paradigma der kultischen Anbetung; gerade das müssten sich „Erwachsenen-Aufklärer“ (ein dringend nötiger Beruf, den es nicht gibt) zunutze machen; würde es für Eltern zum Kult werden, glückliche, selbstbewusste, angstfreie, in der Schule erfolgreiche Kinder zu haben, würden die gewohnten Götzen geächtet: wenn sich herumspricht, dass der Pepi jeden Tag Nachhilfe hat, wird das neue Wunderauto wurscht.

Der Beruf eines „Erwachsenen-Aufklärers“ ist schon darum nötig, weil die herkömmlichen Helfer versagt haben. Journalisten, die über Lehrpläne spötteln, gleichzeitig aber nicht ahnen, dass ein „shooting star“ nur eine Sternschnuppe ist, ähneln den Besitzern von Goldfischgläsern, die über Meeresbiologie schreiben. Und wäre ihre Muttersprache eine Rechtsperson ...

Vor ähnlichen Hindernissen stehen Politiker. Weil politische Parteien sich nach wie vor weigern, das älteste Gewerbe der Welt auszuüben, das Dienstleistungsgewerbe nämlich, schaffen sie nicht schlicht und sensationell hervorragende Grundlagen für die Heranbildung des Nachwuchses, sondern schaffen mit der Stumpfheit ihres Denkens perverse Prioritäten. Weil sie mit Recht fürchten, dass Demokratie ohne sie (besser) möglich wäre, mithilfe von Urabstimmungen und Direktwahlen, weil sie absolut entbehrlich wären, weil es keinen Nachweis dafür gibt, dass ihre Existenz zum Vorteil der Gesellschaft in irgendeiner Beziehung steht, quallen sie sich auf alles drauf: in diesem Fall auch gleich auf kommende Generationen.

Denn wenn sie auch von den Bedürfnissen der Schüler und Lehrer keinen Schimmer haben: Im Sitzenbleiben kennen sie sich aus.