Peter Michael Lingens

Der verwaltete Arzt

Der verwaltete Arzt

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Noch jeder Arzt, den ich darauf angesprochen habe, hat mir erklärt, dass die Reform, die die Regierung im Kielwasser der Sozialpartner beschließen will, „das beste Gesundheitssystem der Welt ruiniert“. In meinem Alter geht einem das zu Herzen und weiter zur Prostata: Wieder in den Genuss des österreichischen Gesundheitssystems zu gelangen war eines der Motive, die mich von Marbella nach Wien zurück übersiedeln ließen. Dabei war die spanische Sozialversicherung, die man mich, EU-widrig, abzuschließen zwang, obwohl ich in Österreich versichert war, an hiesigen Beiträgen gemessen unglaublich billig, und auch Spaniens Ärzte sind erstklassig. Aber ein kurzer Aufenthalt in einem Krankenhaus hat mich von jenem Wiener Allgemeinen Krankenhaus schwärmen lassen, das als Jahrhundert-Vergeudung zu entlarven ich wesentlichen Anteil hatte. Wir bieten in unseren Spitälern Fünf-Sterne-Luxus, wo die Spanier knapp zwei Sterne erreichen.
Als jemand, der vierzig Jahre hindurch den Höchstbeitrag bezahlt hat, will ich diesen Luxus jetzt genießen.

Die größten Einsparungsmöglichkeiten – darin bin ich mit den niedergelassenen Ärzten einig – liegen zweifellos bei den Spitälern und nicht bei ihnen. Ihre anderen Argumente scheinen mir schwächer: Ich weiß nicht, warum sie wegen einer „Quittung“ gleich in Schreibarbeit ersticken sollten, und ich weiß auch nicht, was so schlimm daran sein soll, bloß Wirkstoffe anstelle bestimmter Medikamente zu verordnen. Mein Hausarzt, den ich für den besten weit und breit halte, hat mir versprochen, mir eine Aufstellung seiner Verschreibungen zu zeigen, aus der hervorgehe, dass er jetzt schon mehr als die Hälfte Generika verschreibt – aber irgendeinen Grund muss es doch haben, dass ihr Anteil hierzulande niedriger als im Rest Europas ist.
Deshalb hat er mich sicherheitshalber auch auf die Gefahr verunreinigter indischer Billigprodukte hingewiesen – aber ich weiß nicht, warum die Apotheker schlechtere Pillen als die Ärzte bestellen sollten. Auch dass mein Hausarzt seine Praxis sofort zusperren müsste, wenn die Kasse die Möglichkeit hat, ihm in fünf Jahren den Vertrag zu kündigen, verstehe ich nicht unmittelbar – wohl aber in Ansätzen: Es gibt eine riesige Warteschlange von Ärzten, die sofort jeden frei werdenden Kassenplatz haben wollen. Die Möglichkeit, einen Kassenvertrag nicht zu erneuern, ist daher im Angesicht dieser riesigen medizinischen Reservearmee zweifellos ein Weg, die Honorarkosten durch die bloße Androhung eines solchen Schritts zu drücken.
Aber eben das liegt zweifellos im Sinne der Erfinder.

Trotzdem erschreckt es mich: Es bringt eine wesentliche Gruppe von „Freiberuflern“ in noch größere Abhängigkeit von einem öffentlich-rechtlichen „Apparat“, der sich selbst noch in keiner Weise gesundgeschrumpft und reformiert hat. Es irritiert mich, dass diese Reform so gar keine marktwirtschaftlichen Ansätze aufweist. Obwohl ich zugeben muss, dass „mehr Markt“ keineswegs der Stein der Weisen ist, denn auch in der Schweiz, die es marktwirtschaftlicher versucht, explodieren die Gesundheitskosten. Aber wenigs­tens bleibt mehr Freiheit erhalten.

Ein wesentliches Element des Schweizer Versuchs ist der Selbstbehalt: 20 Prozent vom Preis jedes Medikaments muss der Patient selbst zahlen – bei Generika zehn. Für sozial Schwache oder chronisch Kranke gibt es Ausnahmen. Es gibt diesen Selbstbehalt auch bei einer unserer Krankenkassen, und ich würde ihn auch auf die anderen ausdehnen, obwohl der Spareffekt keineswegs eindrucksvoll ist. Denn langfristig scheint mir die Kostenbeteiligung trotz allem das einzige Mittel, einen Menschen dazu zu erziehen, keine zu großen Pillenpackungen zu kaufen. Dieses irgendwann einsetzende Kostenbewusstsein scheint mir wichtiger als die Frage, ob der Arzt oder der Apotheker mehr Einfluss auf das benützte Medikament hat.
Ein weiteres Marktelement ist der Wettstreit zahlloser Schweizer Krankenkassen, die eine unterschiedliche Leis­tungsdichte zu unterschiedlichen Preisen anbieten. (Wobei ein Grundkatalog von Leistungen verbindlich ist.) Die vielen (von Gesetzes wegen zwingend gemeinnützigen) Kassen scheinen das System nicht gerade billiger zu machen, aber sie verhindern die für unser System typische Abhängigkeit der Ärzte vom alles entscheidenden, großen „Kassenvertrag“.

SPÖ, Kammer und Ärzte sind einig in ihrer Ablehnung der „Zwei-Klassen-Medizin“. Das einzige Land, in dem es sie wirklich nicht gibt, ist die Schweiz: Man geht zum Arzt, und die Versicherung ersetzt gemäß einem Punkte­system genormte Kosten (nicht wie bei unserem Wahlarzt­system nur zu einem Bruchteil, sondern zu 80 Prozent.) Wer zu einem teureren Arzt geht, muss mehr als 20 Prozent drauflegen, und insgesamt geben die Schweizer mehr als selbst die Amerikaner privat für ihre Gesundheit aus. Das aber können sich nicht nur „Reiche“, sondern relativ viele Schweizer ohne große Probleme leisten, weil sie ungleich weniger Steuern zahlen – aber einige können es nicht. Ich bin deshalb keineswegs überzeugt, dass wir das Schweizer Modell kopieren sollten, aber vielleicht könnte man doch Teile daraus entnehmen. Nicht so sehr des Sparens als der größeren Freiheit ­wegen.