Der 'Bambi-Faktor' bei der SPÖ

Der 'Bambi-Faktor' der SPÖ

Werner Faymann konnte die Basis motivieren

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Eine Leerstelle verführt zur Interpretation“, dozierte ein studierter Germanist vergangenen Donnerstag beim wöchentlichen Public Viewing der TV-Konfrontationen der SPÖ am Wiener Donaukanal. SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann sei eine solche Leerstelle: „Alles, was der Gusi nicht geschafft hat, kann man sich in ihn hineinwünschen.“ Es ist tatsächlich wundersam. Ende Juli waren die Sozialdemokraten in den Umfragen auf 25 Prozent abgerutscht und lagen fünf Prozentpunkte hinter der ÖVP. Bundesgeschäftsführerin Doris Bures stapelte auch da noch tief: Man sei bereits an der 20-Prozent-Marke angelangt, setzte sie auf Alarmismus. Nicht ungeschickt: So kann Bures seither stetig verkünden, es gehe aufwärts. Heute, zwei Wochen vor der Wahl, zweifelt tatsächlich kaum jemand daran, dass die SPÖ am 28. September Nummer eins wird. In der aktuellen profil-Umfrage schwächeln die Sozialdemokraten zwar leicht, mit der ÖVP geht es aber weiter bergab.

Die Wahlkampfmaschinerie der SPÖ läuft wie frisch geölt. Vier Tage vor der Wahl, am 24. September, wird das Parlament vermutlich sogar das Wahlprogramm der SPÖ, das im Wesentlichen aus Sofortmaßnahmen gegen die Teuerung, Hilfe für Familien und der Rücknahme der Studiengebühren besteht, mit wechselnden Mehrheiten beschließen. Etwas Vergleichbares hat es in einem Wahlkampf noch nie gegeben. Nur die Halbierung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel könnte unerledigt bleiben. Am Aufwärtstrend können selbst peinliche Selbstfaller der Roten kaum noch etwas ändern. Vergangenen Freitag etwa, bei der von der SPÖ angestrebten Sondersitzung des Nationalrats, bei der Faymanns 5-Punkte-Programm formell eingebracht werden sollte, saß zum allgemeinen Erstaunen zu Beginn kein einziger SP-Minister auf der Regierungsbank. Hintergrund: Die roten Übertaktierer wollten Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und Finanzminister Wilhelm Molterer beim ersten Tagesordnungspunkt – einer dringlichen Anfrage der SPÖ zur Teuerung – allein den TV-Kameras aussetzen. Den Anträgen der Grünen und der FPÖ, die abwesenden SP-Minister herbeizuzitieren, stimmten schließlich selbst die meisten SPÖ-Abgeordneten kleinlaut zu.

Barbara Blaha, die wegen der Studiengebühren aus der SPÖ ausgetretene ÖH-Vorsitzende, verfolgte die Sitzung von der Zuschauergalerie aus: „Die SPÖ will offenbar vergessen machen, dass sie selbst an der Regierung war. Erstaunlich, dass das ankommt.“ Der Enttäuschung über Kanzler Alfred Gusenbauer, die in der SPÖ-Basis tiefe Spuren hinterlassen hat, begegnet die Parteispitze mit distanzierenden Worten. „Ich sehe viele Fehler in den vergangenen zwei Jahren“, sagt selbst Werner Faymann. Nicht zuletzt trägt freilich der hölzerne und schon etwas verzweifelt wirkende Konterpart, ÖVP-Vizekanzler Wilhelm Molterer, zur Hochstimmung in den roten Reihen bei. Faymanns größtes Atout ist es, nicht Alfred Gusenbauer zu sein, meint der rote Seniorenchef Karl Blecha: „Einer der Hauptgründe für die große Unzufriedenheit in der SPÖ war der Bundeskanzler. Es ändert einiges, wenn der Reibebaum nicht mehr zur Wahl steht.“

Der oberösterreichische Soziallandesrat Josef Ackerl: „Es gab zu viele frustrierende Erlebnisse der Funktionäre mit Gusenbauer und keinerlei Bereitschaft, noch einmal für ihn zu laufen. Da war nur noch die Loyalität der Lethargie.“ Dazu gehört wohl auch, dass sich die Genossen noch immer mit Anekdoten aufmunitionieren, die von Gusenbauers Arroganz und Besserwisserei zeugen. Vor dieser Folie lässt sich gut glänzen. Viele SPÖ-Funktionäre empfinden die Höflichkeit des neuen Vorsitzenden als Wohltat, die sie lange nicht genossen haben. „Faymann grüßt“, wird berichtet. „Faymann hört zu. Er erklärt Wahlhelfern nicht, wie sie Wahlzettel zu verteilen haben, sondern bedankt sich bei ihnen für das Engagement.“ Faymann ist es gelungen, in der SPÖ wieder das Gefühl der sozialen Wärmestube zu verbreiten, das den Funktionären bei Gusenbauer abging. „Der Werner kommuniziert mit dir auf Augenhöhe und spricht das Herz an. Das haben viele jahrelang vermisst“, erklärt Wolfgang Katzian, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, dessen Erfolg. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger weiß Faymann um die Wirkung symbolischer Politik. Er betont gern, dass er Bier trinkt und keinen Wert auf edle Rotweine lege und dass er seine Töchter nie an die Öffentlichkeit zerren würde.

Schon am Tag nach seiner Designierung zum Parteichef ließ er sich bei den roten Gewerkschaftern blicken und warb um ihre Unterstützung. Auch mit den roten Länderchefs, die stets beklagt hatten, von Gusenbauer nicht eingebunden zu werden, telefoniert er häufig – ganz nach dem Erfolgsmuster von Ex-ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel. „Faymann hat in den vergangenen Wochen öfter bei uns angerufen als Gusenbauer in acht Jahren“, wird in der oberösterreichischen SPÖ erzählt. Auch die Steirer waren nach Faymanns Antrittsbesuch geradezu hingerissen. Der steirische Parteichef Franz Voves spendete das höchste Lob, das er zu vergeben hat: „Der Werner is a bissl so a Typ wie ich.“

Ein anderer Landeshäuptling, der Oberösterreicher Erich Haider – normalerweise alles andere als ein Weichei – kommt bei der Beschreibung des neuen Chefs sogar ins Süßeln: „Sein gewinnendes Wesen erleichtert vieles. Vor allem Frauen strömen auf ihn zu.“ Selbst den Kotau vor der „Kronen Zeitung“ halten die Genossen inzwischen für eine lässliche Sünde. In der Strategiegruppe der Bundes-SPÖ wurde allerdings vor zwei Wochen beratschlagt, wie man die überbordende Lobhudelei des Boulevards, vor allem die Reime des „Krone“-Dichters Wolf Martin („mit klarem Wort und offnem Blick / Macht er die beste Politik“), eindämmen könne. „Bei einer bestimmten Wählerklientel geht das nach hinten los“, warnte ein Berater.

Nicht mit Strache. Faymann-Skeptiker werden mit der Angst vor einer Neuauflage von Schwarz-Blau bei der Stange gehalten, kritischen Geistern wird das Gefühl vermittelt, auch ihre Meinung sei gefragt. Nach dem Amtsantritt der großen Koalition hatte die Sozialistische Jugend (SJ) noch empört skandiert: „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten!“ Mittlerweile haben die Jungroten ihren Zorn auf einen neuen, alten Feind umgeleitet: Schwarz-Blau-Orange. „Wir wollen eine rechte Mehrheit verhindern, denn mit ihr sind der SPÖ die Hände gebunden“, begründet SJ-Obmann Wolfgang Moitzi, warum die SPÖ-Jugend lammfromm wie schon lange nicht die Parteiführung unterstützt. Auch kritische SPÖ-Wähler und Intellektuelle überlegen wieder, doch die SPÖ zu wählen, um Schwarz-Blau zu verhindern.
Die SPÖ als Bollwerk gegen Schwarz-Blau: Schon Bruno Kreisky ließ 1979 wenige Tage vor der Wahl schnell Plakate „Götz/Taus – nein danke“ affichieren, um vier Jahre später selbst die Koalition der SPÖ mit der FPÖ einzufädeln. Franz Vranitzky gewann mit der Warnung vor Schüssel/Haider 1995 seine letzte Nationalratswahl.

Die ÖVP bemüht sich derzeit verzweifelt, diese Strategie zu unterlaufen: In allen Tonlagen unkt die Volkspartei, die rot-blaue Achse für das Antiteuerungspaket sei nur ein Probelauf für eine Koalition. „Rot-Blau schadet den Bauern“, warnt Bauernbundpräsident Franz Grillitsch sogar bereits zielgruppenorientiert. Die Grünen hielten bei der Sondersitzung im Parlament dem spät, aber doch eingetroffenen Werner Faymann ein Transparent „Rot-Blau – nein danke“ vor die Nase. Dass einige aus der FPÖ-Fraktion bei der Rede von SPÖ-Klubobmann Josef Cap begeistert applaudierten, wurde bereits als Vorleistung gewertet.

Selbst Faymann-kritische Genossen sind jedoch überzeugt, dass die öffentliche Absage an jede Koalition mit Heinz-Christian Strache oder Jörg Haider nicht nur strategischem Kalkül, sondern der persönlichen Werthaltung Faymanns entspricht. Jene Landesparteien, die es zu Beginn des Wahlkampfs für falsch hielten, diese Option auszuschließen (Oberösterreich, Steiermark, Kärnten), weil man sich damit in Geiselhaft der ÖVP begebe, haben ein Stillhalten zugesagt. Der steirische Bau-Holz-Gewerkschafter Josef Muchitsch, der diese Strategie ebenfalls für falsch hält: „Wir haben vereinbart, bis zu den Wahlen dazu nichts zu sagen.“
Der oberste SP-Gewerkschafter Wilhelm Haberzettl berichtet ebenfalls, dass seine Leute in den Betrieben häufig gefragt werden, „warum wir nicht mit der FPÖ gemeinsame Sache machen“. Solchen Fragen müsse die SPÖ Beispiele für die unterschiedliche Ausrichtung entgegensetzen, meint der scheidende SPÖ-Abgeordnete Josef Broukal: „Die SPÖ muss ihr Nein zur FPÖ besser argumentieren.“

Unter den SPÖ-Sympathisanten ist eine Koalition mit den Freiheitlichen offenbar weniger beliebt als in manchen Funktionärskreisen: Laut einer vergangene Woche im Auftrag von profil durchgeführten OGM-Umfrage hält nur jeder zehnte potenzielle SPÖ-Wähler eine Koalition mit der FPÖ für wünschenswert. Die Aussicht auf eine Neuauflage der großen Koalition begeistert freilich auch kaum jemanden. Schon der Hauch einer Chance auf eine Minderheitsregierung weckt eher die Bereitschaft zur Mitarbeit. „SPÖ-Mitglieder sind treu. Sobald ihnen die Parteispitze die Möglichkeit lässt, auf eine andere Politik zu hoffen, sind sie startklar“, sagt Ludwig Dvorak, Sprecher der aus Frust geborenen Protestinitiative „Wir sind SP֓.

Bubenhafter Charme. Der „Bambi-Faktor“, der sich auf Faymanns bubenhaften Charme gründet, lässt leicht vergessen, dass Faymann als SPÖ-Regierungskoordinator eine wesentliche Achse der ungeliebten Regierung war. Der Zorn über die vergangenen Jahre wird geschickt auf die ÖVP umgelenkt. „Die ÖVP wollte uns in den Abgrund stürzen. Das motiviert unheimlich“, begründet Sonja Wehsely, Gesundheits- und Sozialstadträtin in Wien, warum Menschen sich zum Wahlkampfeinsatz zurückmelden, die sich vor Monaten mit dem Worten „Mir reicht’s, mich kannst vergessen“ verabschiedet hatten.

Für Zwischentöne oder anspruchsvolle Themen ist in der weichgezeichneten SPÖ-Welt kein Platz. Faymanns Manko, als potenzieller Kanzler kaum über außenpolitische Erfahrung zu verfügen, fällt hierzulande kaum ins Gewicht. „Außenpolitik ist Europapolitik“, wurde in der SPÖ-Zentrale zu Beginn des Wahlkampfs strategisch festgelegt. Doch auch um das Thema Europa ist es still geworden. „Ein Wahlkampf ist die Zeit der Loyalität“, begründet Wolfgang Petritsch, OECD-Botschafter in Paris, der den Kniefall vor der „Krone“ scharf kritisiert hatte, warum die Parteiintellektuellen schweigen. Allerdings erwartet sich Petritsch, dass nach der Wahl auf die Kritiker eingegangen wird: „Wir stellen derzeit einen Blankoscheck aus, den die Parteiführung wird einlösen müssen.“ Faymann bekommt von seiner Partei einen Vertrauensvorschuss. Seine Bewährungsprobe beginnt nach dem 28. September. Erst bei allfälligen Koalitionsverhandlungen werde die SPÖ ihren neuen Vorsitzenden kennen lernen, prophezeit Oberösterreichs Soziallandesrat Ackerl: „Wer Faymann wirklich ist, wird man nach der Wahl sehen.“

Von Eva Linsinger und Christa Zöchling