Wo bleibt der ver-sprochene Big Bang?

Der Berg kreißt...

Alexander Wrabetz bringt nur ein Reförmchen durch

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Bekanntlich hat noch jede Revolution ihre Kinder gefressen. Warum sollte es im staatlichen Rundfunk anders sein?
Mit einer gewissen Wehmut erinnern sich ORF-Redakteure heute an den vergangenen heißen August, als es gelungen war, eine politisch allzu willfährige ORF-Führung loszuwerden.
Diejenigen, die die Boulevardisierung des ORF kritisiert hatten, bekamen mittlerweile eine Kommission, die den öffentlich-rechtlichen Inhalt jeder neuen Sendung prüfen soll. Wer über politischen Einfluss klagte, wird mit Beteuerungen des neuen Informationsdirektors Elmar Oberhauser beruhigt, hart gegen alle Parteien zu sein.

Es war eine kleine Revolution gewesen. „ZiB 2“-Anchorman Armin Wolf hatte die journalistischen Arbeitsbedingungen im ORF angeprangert, eine ganze Reihe von ORF-Kollegen sprach daraufhin offen den politischen Druck, das einschüchternde, auch frauenverachtende Regime des damaligen Info-Chefredakteurs Werner Mück an. Die Plattform SOS-ORF forderte einen ORF jenseits parteipolitischer Einflüsse und sammelte für ihr Anliegen 80.000 Unterstützungserklärungen.

Gebrochene Versprechen. Im August 2006 wurde der Sozialdemokrat Alexander Wrabetz mit den Stimmen von Sozialdemokraten und Freiheitlichen, Stiftungsräten des BZÖ und der Grünen sowie schwarsizen und roten Zentralbetriebsräten zum neuen ORF-Generaldirektor gewählt. In seiner ersten Pressekonferenz versprach er einen „Big Bang“. Was ist nun daraus geworden?
Die ersten Postenbesetzungen trugen die Handschrift der Regenbogenkoalition. Informationsdirektor wurde der von den BZÖ-Stiftungsräten favorisierte Elmar Oberhauser, mit dem sich allerdings auch alle anderen Parteien anfreunden konnten. Oberhauser hatte sich im Laufe seiner ORF-Karriere einen Ruf erarbeitet, der es keinem Politiker erlaubte, seinen ruppigen Interviewstil nicht gutzuheißen.
Mücks ehemaliger Machtbereich wurde geteilt: Der Instinktjournalist Johannes Fischer soll die politischen Magazine auf Vordermann bringen. Karl Amon, der diskutierfreudige Sitzungstiger, wurde Chefredakteur der aktuellen Information im Fernsehen. Amon hatte auf einem Durchgriffsrecht für alle politischen Nachrichtensendungen bestanden, und er bekam es. Das stand im Gegensatz zu Wrabetz’ Wahlversprechen. In seiner Bewerbung hatte Wrabetz noch für „innere Pluralität“ und „gesunde Konkurrenz zwischen starken Sendungsteams“ geschwärmt.
Diese Pläne wurden im Wesentlichen ad acta gelegt. Es werde zwar Sendungsverantwortliche geben, sagt Amon, doch im Konfliktfall werde er entscheiden. Amon meint, das Problem seines umstrittenen Vorgängers sei nicht so sehr die zentralistische Struktur gewesen, sondern die Art und Weise, wie sie ausgefüllt wurde.
Mück mag sich angesichts der argumentativen Verrenkung ins Fäustchen lachen. Er leitet jetzt, natürlich ohne Gehaltseinbuße, den Wetterkanal TW 1. Sein früherer Stellvertreter in der Information, Zentralbetriebsrat Roland Schmidl, ist ihm gefolgt und jetzt bei TW 1 sein Stellvertreter.

Betriebsratskarrieren. Auch andere wurden belohnt. Zentralbetriebsratsobmann Franz Fiedler (ÖVP) durfte mit wohlwollender Duldung der Geschäftsführung in der vergangenen Woche im Bereich der Generaldirektion ein halbes Jahr früher als geplant wählen lassen. Fiedler befürchtete wohl, die neuen Mitarbeiter des neuen ORF-Kommunikationschefs Pius Strobl, vormals grüner Stiftungsrat, und anderer Neuzugänge in der Generaldirektion würden seine Mehrheit in Gefahr bringen, wenn sie erst einmal ihre Arbeitsverträge unterschrieben haben.
Der rote Zentralbetriebsrat Michael Götzhaber stieg sogar zum Stellvertreter des Technischen Direktors Peter Moosmann auf. Götzhabers neue Arbeitsstelle befindet sich in Wien. Sein Betriebsratsmandat mit Machtbasis in Kärnten, damit auch seinen Sitz im Stiftungsrat, darf er dennoch behalten.
Ein Profiteur der neuen Verhältnisse ist auch Walter Seledec, Zentraler Chefredakteur. Die Kündigung von Seledec wurde zurückgenommen. Vor Kurzem durfte der freiheitliche ORF-Mann im Rang eines Bundesheergenerals bei einer Klubklausur der Freiheitlichen über den ORF referieren. Mit Erlaubnis der ORF-Geschäftsführung.
Ein Ausläufer des Parteienschachers sind Gerüchte, die sich um den früheren BZÖ-Stiftungsrat und Wrabetz-Wähler Walter Meischberger ranken. Die Online-Redaktion des ORF befürchtete, Meischberger könnte dort die Funktion eines Geschäftsführers einnehmen. Meischberger sagt, er sei daran nicht interessiert. Angeboten aber habe man ihm den Job. Noch vor der Wahl.

Im Redaktionsalltag blüht der Verdacht, die Politik könnte bei Wrabetz ihren Tribut einfordern. Das BZÖ, so erzählen „Zeit im Bild“-Redakteure, sei die Partei, die am häufigsten interveniere, auch in der Chefetage. Einmal soll Elmar Oberhauser sogar aus Dubai angerufen haben, um sich zu erkundigen, ob eine BZÖ-Pressekonferenz auf Sendung ist. Sie war es nicht. Einen Tag später war sie es schon.
Freilich ist die politische Berichterstattung mutiger und journalistischer geworden, was sich auch in steigenden Zuseherquoten bemerkbar macht. Die Redakteure sagen einhellig, dass im Vergleich zu früher ein freieres journalistisches Arbeiten möglich sei. Nach dem Interventionsvorfall mit der BZÖ-Pressekonferenz stellten die Redakteurssprecher Tarek Leitner und Danielle Spera die Verantwortlichen Oberhauser und Amon dennoch zur Rede. „Die Optik war unglücklich“, sagt Spera. „Aber wir haben das geklärt.“

Orange Ansprüche. Über die Drähte der orangen Kleinpartei in den ORF wird auch deshalb gemunkelt, weil das BZÖ erstaunlich gut über Sitzungsverläufe informiert ist. „Ab und zu wundert man sich schon, wieso das BZÖ schon vor der Ausstrahlung einer Sendung weiß, welche Themen auf Sendung sind“, schildert der interimistische „ZiB“-Sendungsverantwortliche Hans Bürger die orangen Besonderheiten.
Ein Vorfall beschäftigt heute noch die ORF-Redakteure. Bei der BZÖ-Neujahrsmatinee hatte BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz eine ORF-Redakteurin mit dem Hinweis auf einen angeblichen Deal von Recherchen abhalten wollen. Grosz hat das mittlerweile wieder zurückgenommen. Er habe sich die lästige Redakteurin nur vom Hals schaffen wollen, sagt er.
Die Redakteurin wurde kurz darauf aber in die Chronik versetzt. Nach Ansicht von Chefredakteur Amon zu Recht, weil sie dem Druck des BZÖ und den journalistischen Anforderungen nicht gewachsen war.
ORF-intern hatte Amon die Versetzung allerdings anders begründet. Die angebliche Verhaberung der Redakteurin mit BZÖ-Politikern war in einer Sitzung thematisiert worden sowie unappetitliche Gerüchte über ihre vermeintlichen Sexualkontakte. Das sieht aus wie ein Rufmord an einer Redakteurin. Die ORF-Gleichbehandlungskommission wurde eingeschaltet. „Wenn die Kollegin durch die Verbreitung verbalen Unrates Schaden genommen hat, müssen wir das untersuchen“, sagt Monika Rupp, Leiterin der Gleichbehandlungskommission.

Denn wo Verhaberung beginnt und wo sie endet, ist offenbar auch eine Frage der Geschlechterkulturen. Informationsdirektor Oberhauser etwa will sich „von niemandem vorschreiben“ lassen, „mit wem ich hock, mit wem ich sauf, mit wem ich rauch“. Das Raubein konnte stets ins Treffen führen, man solle ihm einmal nachweisen, dass er sich politisch habe missbrauchen lassen.
Frauen können das nicht. Sie kommen nämlich selten in Führungspositionen. Wrabetz ist mit dem Versprechen angetreten, die Männerdominanz auf der Chefebene zu durchbrechen. Dürftige 22 Prozent der Leitungspositionen im ORF sind mit Frauen besetzt. Die bürgerliche Stiftungsrätin Margit Hauft will dieses Ungleichgewicht in der nächsten Sitzung des Stiftungsrates ansprechen: „Wrabetz hat ein Wahlversprechen gebrochen.“ Auch ORF-intern sorgt die Männerriege für Unruhe: Brigitte Handlos, Radiofrau und Vorsitzende des Frauennetzwerkes Medien, hat Wrabetz einen Forderungskatalog übergeben. „Es können nicht wieder nur Männer befördert werden“, sagt Handlos.

Bisher sieht es ganz danach aus: Die Projektleiter für die Fernsehnachrichten sind ausschließlich Männer. Nur Amons Nachfolge als Radio-Chefredakteurin hat mit Bettina Roither eine Frau angetreten.
Kaum kritische Stimmen über die neue ORF-Führung hört man aus den Parteien. Am ehesten noch aus der SPÖ. In der SPÖ-Zentrale war man alles andere als begeistert, als Alfred Gusenbauers rotziger Kommentar über die protestierenden Studenten auf Sendung ging oder als die Pressekonferenz des steirischen Landeshauptmannes Franz Voves und dessen Zorn auf den neuen SPÖ-Kanzler in voller Länge dargeboten wurden.

„Shit happens“. Der frühere freiheitliche Stiftungsrat, jetzt FPÖ-Nationalratsabgeordnete, Peter Fichtenbauer, ist hingegen „eigentlich ganz angetan von Wrabetz“ und sieht ein „Frühlingserwachen“. Dass seine eigene Partei mit den ORF-Berichten über Jugendfotos von Parteiobmann Heinz-Christian Strache ebenfalls in Schwierigkeiten kam, nimmt er achselzuckend hin. „Shit happens“, sagt Fichtenbauer. Die verfeindeten Brüder vom BZÖ flimmerten seinem Geschmack nach allerdings zu oft über den Bildschirm. Zufrieden ist man auch in der ÖVP. Man habe mit Wrabetz vereinbart, so heißt es, dass es kein Köpferollen gibt. ÖVP-nahe ORF-ler würden ihre Positionen behalten.
Bekannt ist, dass die „Zeit im Bild 1“ künftig nur noch im zweiten Kanal, in dem auch die Magazine ihren Platz haben, gesendet wird. Der erste Kanal soll mit kürzeren Informationshappen, Lifestyle und Serien ein jüngeres Publikum ansprechen. Im Zuge der Reform sind in den nächsten Wochen einige neue Chefpositionen zu besetzen. Darauf hofft die SPÖ. Und im ORF selbst spiegelt sich das im Verhalten in den Redaktionssitzungen wider. „Manche Kollegen gebärden sich wie aufgeblähte Truthähne, um auf sich aufmerksam zu machen“, meint ein Beobachter.

Am heftigsten konkurrieren derzeit die beiden Direktoren für Information und Programm, Elmar Oberhauser und Wolfgang Lorenz. Wer wird den neuen „Club 2“ (Arbeitstitel „Wandas Wohnzimmer“) gestalten dürfen, wessen Ideen sind die besseren? Wrabetz wollte sich offenbar mit keinem anlegen. So leistet sich der ORF die Produktion zweier Projekte, die vor ausgewähltem Zielpublikum getestet werden sollen.

Von Eva Linsinger und Christa Zöchling