profil extra: Der Bio-Boom in Wien

Der Bio-Boom

Die Hauptstadt als Zentrum der Forschung

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Seit kurzem ist Wien um eines jener Unternehmen reicher, die chronischen Leiden wie Asthma in modernsten Labors den Kampf ansagen wollen: Die aus dem Pariser Unternehmen Mixis ausgegliederte Eucodis GmbH hat Österreichs Bundeshauptstadt als Standort gewählt. „Wien stach mit seinem Umfeld deutsche und französische Städte aus“, erklärt Mikrobiologe und Geschäftsführer Wolfgang Schönfeld die Entscheidung. „In Paris verhandelten wir mit 27 Partnern, hier gibt es eine zentrale Anlaufstelle. Da fühlt man sich besser aufgehoben.“
Derart gelang es mit Unterstützung öffentlicher Stellen wie dem Austria Wirtschaftsservice, insgesamt rund 900.000 Euro an Kapital für Eucodis zu akquirieren. „Am wichtigsten war aber die vorhandene Infrastruktur, die Kontakte zu ansässigen Firmen aus der Pharma- und Biotech-Branche“, so der gebürtige Berliner Schönfeld.

Schwerpunkt von Eucodis sind Verbesserung und Erzeugung neuer Proteine mittels Genveränderungen. Bei der so genannten Rekombination entstehen durch die Vermischung zweier verwandter Gensequenzen in einem lebenden Organismus neue Proteine und damit auch neue Eigenschaften. Die Technologie soll zur Herstellung hochspezifischer Antikörper genutzt werden – zum Beispiel gegen bestimmte Krankheitserreger oder Tumorzellen.
Drei Projekte im Bereich Entzündungshemmung und einer angeborenen schweren Stoffwechselerkrankung laufen bereits. Nach der Übersiedlung der acht Mitarbeiter aus Paris wird die Arbeit in Kürze im 23. Wiener Bezirk starten. Die Finanzierung ist für drei Jahre gesichert, bis Ende 2005 soll die Mitarbeiterzahl auf 20 bis 30 Personen steigen.

Biotech-Zentrum. Eucodis ist keineswegs ein Ausnahmefall. Im Verlauf eines halben Jahrzehnts hat sich Wien zu einem Sammelpunkt für Unternehmen aus der Biotechnologie-Branche entwickelt. Rund 50 Betriebe forschen, teils im Rahmen spezieller Cluster, an den biomedizinischen Wirkstoffen der Zukunft.
Als Grund für die Attraktivität der Bundeshauptstadt sehen Experten wie Sonja Hammerschmid, Leiterin der Beratungs- und Förderungsagentur Life Science Austria Vienna Region (LISA), nicht zuletzt „die lokale Präsenz internationaler Pharmakonzerne wie Baxter, Boehringer Ingelheim, Novartis oder Sandoz“. Aufgrund der sukzessive „wachsenden Anzahl hier ansässiger Unternehmen und deren nachhaltigem Wachstum ist es gelungen, internationale Beachtung zu finden“, meint Hammerschmid. „Der Zuzug ausländischer Unternehmen zeigt, dass die Vienna Region als tragfähiger Cluster ernst genommen wird.“

Auch die Igeneon AG, Entwicklerin von Immuntherapeutika gegen Krebs und in unmittelbarer Nähe zu Eucodis angesiedelt, hat im laufenden Jahr wichtige Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen. Im Frühjahr übernahm Manfred Rüdiger als Vorstand die Geschäfte von Gründer Hans Loibner, der weiterhin als Berater zur Verfügung steht. Im Februar schloss das 1999 gegründete Unternehmen die dritte Finanzierungsrunde ab. Dabei konnte mit Burrill & Company neben den bereits existierenden Investoren erstmals ein US-Venture-Capital-Unternehmen für ein österreichisches Biotech-Start-up gewonnen werden. Insgesamt beläuft sich das Finanzierungsvolumen bisher auf 70 Millionen Euro.

Loibner über die wissenschaftlichen Zielsetzungen: „Die Impfung mit unserem Impfstoff IGN101 stimuliert das Immunsystem und hilft dem Organismus, Krebs mit körpereigenen Mitteln zu schlagen.“ „Wir sind noch in der Anfangsphase, doch die Testergebnisse sind viel versprechend“, berichtet Rüdiger. Die Funktionsweise ist im Grunde simpel: So genannte monoklonale Antikörper heften sich an die Krebszellen und zeigen dem Immunsystem gewissermaßen, welche Zellen es vernichten soll. Im Rahmen von Kooperationen mit Unternehmen und Universitäten im In- und Ausland konzentrieren sich zurzeit 64 fixe Mitarbeiter auf die Forschung.
Den Schritt nach Wien hat Rüdiger nicht bereut: „Ich hatte mehrere Angebote und habe mich für Igeneon entschieden, weil die Szene in Wien klein, überschaubar und immer gut für konstruktiven Austausch ist. Vor allem das hohe Niveau der Mitarbeiter auf allen Ebenen ist außergewöhnlich.“

Auch die ebenfalls in Wien ansässige Austrianova Biotechnology GmbH hat bereits mehrere Finanzierungsrunden absolviert. An dem heute 66 Mitarbeiter starken Spin-off der Wiener Veterinärmedizinischen Universität, gegründet von Thomas Fischer, Brian Salmons und Walter H. Günzburg, sind inzwischen mehr als 600 Privatinvestoren sowie der Schweizer Risikokapitalgeber Omni Technology Invest AG beteiligt.

Der wissenschaftliche Fokus des Unternehmens, das heuer als innovativstes Klein- und Mittelunternehmen Österreichs ausgezeichnet wurde, ist auf die Entwicklung eines Medikaments gegen Pankreaskrebs (Bauchspeicheldrüsen-krebs) gerichtet. Bei dieser Krebsart sind die Heilungschancen gering, und bislang gibt es kein Medikament, das den Krankheitsverlauf stoppt oder zumindest verlangsamt.
Doch die Chancen scheinen nicht schlecht zu stehen, dass es Austrianova als einem der ersten Unternehmen weltweit gelingt, diese aggressive Form des Krebses in Schach zu halten: Das Medikament Nova Caps geht 2005 in die dritte klinische Phase, was auch bedeutet, dass eine Zulassungsstudie an 200 Patienten in Europa durchgeführt werden kann. Zeitgleich soll bereits die Medikamentenproduktion anlaufen. Das Arzneimittel wird freilich frühestens 2007 am Markt sein.

Lenkwaffe. Nova Caps bekämpft Krebszellen gezielt vor Ort: Die Kapseln werden mit einer Kanüle ins Gewebe neben dem Tumor platziert. Genveränderte Zellen in der Kapsel übernehmen die Aufgabe, intravenös verabreichte Chemotherapeutika zu verstoffwechseln und direkt auf die Krebszellen zu fokussieren. Forschungsleiter Brian Salmons: „Bei der herkömmlichen Chemotherapie verstoffwechselt die Leber die Chemotherapeutika, die mit dem Blut durch den ganzen Körper wandern und erst sehr spät bei der Bauchspeicheldrüse ankommen. Man muss hohe Dosen geben, um eine Reaktion zu erzielen. Das belastet den gesamten Organismus stark.“

Mit der neuen Therapie sollen dagegen bereits geringe Dosen große Wirkung zeitigen. In ersten Studien verdoppelte sich die Lebenserwartung der Krebspatienten auf 40 Wochen ab Therapiebeginn, in einigen Fällen konnte eine Rückbildung der Tumoren beobachtet werden.

Das Medikament wurde im Juli 2003 von der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln als „Orphan Drug“ ins offizielle Gemeinschaftsregister für Arzneimittel für seltene Leiden aufgenommen. Dafür wurde die eigene Kategorie „Advanced Medical Product“ geschaffen. „Wir sind nun in einer Phase, in der Vernetzung, Business Development, Marketing und Firmenethik immer wichtiger werden“, meint Fischer.

Impfstoff-Spezialisten. Klar vorgezeichnet erscheint auch der Weg des Wiener Biotech-Vorzeigeunternehmens Intercell AG, das auf die Entwicklung von Impfstoffen spezialisiert ist. Intercell wurde 1998 vom Ex-Ordinarius für Mikrobiologie an der Universität Wien, Alexander von Gabain, und vom Chef des Instituts für Molekulare Pathologie, Max Birnstiel, gegründet. Mittlerweile beschäftigt Intercell 120 Mitarbeiter, 67 Prozent davon in Forschung und Entwicklung.

„Wir sind wahrscheinlich das konservativste Biotech-Unternehmen Europas“, befindet Finanzchef Werner Lanthaler. „Das gilt nicht nur für den Unternehmensaufbau, sondern vor allem auch für die Forschung“, so Lanthaler. „Die Biologie gibt das Tempo vor, nicht das Management. Egal, wie gut ein Projekt ist, wenn die Biologie nicht mitspielt, muss man es stoppen.“ So mussten im Jahr 2001 mehrere Projekte auf Eis gelegt werden, denen sich Intercell erst wieder in Zeiten widmen will, wenn der Break-even erreicht ist – ohne dafür einen genauen Zeitpunkt zu nennen.

Vorerst ist Lanthaler freilich schon stolz darauf, dass Intercell eines der wenigen Biotech-Unternehmen weltweit ist, das in den kommenden Jahren überhaupt ein Produkt auf den Markt bringen wird – einen neuen Impfstoff gegen Japan-Enzephalitis. Zwar gibt es gegen das Gehirnleiden schon eine Impfung, doch die Herstellung ist „aufwändig und in Zeiten der Entschlüsselung des menschlichen Bauplans antiquiert“, meint Lanthaler.

Der bisher verfügbare Impfstoff wurde aus Mäusehirnen gewonnen und mit Gelatine versetzt, was oft mit Nebenwirkungen verbunden war. Intercell dagegen setzt auf High-Tech-Impfstoffe, die auf einem im Grunde simplen Prinzip beruhen: Die Immunreaktion, die der Organismus bei einer Viruserkrankung zeigt, wird im Impfstoff nachgebildet. Dabei orientierte sich Intercell an den Antigenen jener Menschen, welche die Krankheit aufgrund ihrer eigenen Immunität abwehren konnten. Nach ähnlichem Prinzip könnten auch Impfstoffe gegen Hepatitis C, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten entwickelt werden.

Lizenzverträge. Bis jetzt flossen mehr als 100 Millionen Euro Risikokapital an Intercell. Mit Lizenzen, etwa an den Pharmariesen Aventis, kommt zwar zusätzlich Geld ins Haus, trotzdem wird vorerst noch mehr investiert als eingenommen. Mit dem ersten Produkt am Markt soll sich dies, so hoffen jedenfalls die Intercell-Manager, jedoch nachhaltig ändern.

Trotz des großen medizinischen Potenzials schlägt Biotech-Unternehmen in Österreich immer noch einiges an Misstrauen und Unwissen entgegen, glaubt Werner Lanthaler: „Die meisten Österreicher investieren lieber in eine Firma mit niedriger Rendite, die Autoreifen herstellt, als in ein Biotech-Unternehmen. Viele wissen gar nicht, was Biotechnologie ist und kann.“
Obwohl in dem Bereich großer Nachholbedarf bestehe, setzt Intercell auf den Standort Wien: „Das Klima ist hervorragend und stellt für ein Unternehmen am Standort Wien einen exzellenten Boden dar, um zu wachsen. Die zentrale Lage im erweiterten Europa und die hohe Lebensqualität sind wichtige Standortvorteile im Wettbewerb um die besten Wissenschafter“, ist Lanthaler überzeugt.

Infrastrukturvorteil. Diese Vorzüge weiß auch Martin Cabadaj, operativer Geschäftsführer der Axon Neuroscience Forschungs- und Entwicklungs GmbH, zu schätzen. Das Unternehmen wurde 1995 in Bratislava gegründet, seit 1999 hat es einen Sitz im Wiener Biotechnologiecenter im dritten Bezirk. „Wien hat den Vorteil einer gut funktionierenden Infrastruktur“, konstatiert Cabadaj. „Für die Slowakei findet man sehr wenige Risikokapitalgeber, die sich auch mit den Oststrukturen auskennen. Der Standort Wien erleichtert die Finanzierung deutlich.“

Als Risikokapitalgeber zeichnet die Wiener Gesellschaft Horizonte verantwortlich, die mit 43 Prozent am Unternehmen beteiligt ist. Cabadaj war gerade in der Frühphase der Unternehmensgründung wichtig, vom Risikokapitalgeber räumlich nicht zu weit entfernt zu sein. „Wir wollten nicht zu Verhandlungen nach London oder in die USA fliegen müssen“, meint Cabadaj. Weitere Geldgeber sind das Austria Wirtschaftsservice, der Forschungsförderungsfonds und der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds.

Einziger Wermutstropfen: In Wien findet Axon zu wenig Fachleute auf dem Gebiet der Neurobiologie, weshalb das Unternehmen weiterhin mit einem darauf spezialisierten Institut in Bratislava zusammenarbeitet.
Und dieses würde sich, berichtet Geschäftsführer Cabadaj, auf maßgeschneiderte Forschung konzentrieren: „Wir sind ein sehr spezielles Biotech-Unternehmen“, so Cabadaj, „weil wir uns nur auf eine Krankheit, dafür aber dabei auf alle Aspekte konzentrieren. Normalerweise entwickelt man einen Stoff oder ein Verfahren, das in modifizierter Form mehrere Krankheiten bekämpft.“

Forschung. Axon indes befasst sich lediglich mit dem so genannten Tau-Protein. Michael Novak, einer der beiden Unternehmensgründer, entdeckte Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts während seiner Forschungen am Medical Research Council mit Nobelpreisträgern in Cambridge, dass eine Modifikation dieses Proteins möglicherweise die Entstehung des Nervenleidens Alzheimer begünstigt. Axon arbeitet nun an einem Wirkstoff gegen Ablagerungen an den Nervenzellen, die Alzheimer auslösen. In der Vergangenheit entwickelte Wirkstoffe lindern zwar die Symptome und bremsen den Krankheitsverlauf, bekämpfen aber nicht die Ursache selbst. Der Markt für ein neuartiges Medikament, das direkt auf die Ursachen des Leidens selbst zielt, wäre deshalb gewaltig – nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Überalterung der Bevölkerung. Schätzungen zufolge leiden rund zehn Prozent der über 65-Jährigen an Alzheimer.

Realitätsnähe. Als einzigartig gilt zudem ein vom Wiener Unternehmen entwickeltes Tiermodell, welches die krankhaften Nervenfasern von Alzheimer darstellen kann. Der Axon-Ansatz ist dabei näher an der Realität als andere Modelle, weil Proteine verwendet werden, die auch tatsächlich im Gehirn von Alzheimer-Patienten identifiziert wurden.

Die Grundlagenforschung hat Axon inzwischen abgeschlossen, die Medikamententwicklung befindet sich momentan in der vorklinischen Phase. 2006 sollen die ersten Tests an Menschen durchgeführt werden. Langfristig möchte sich das Unternehmen – wie viele in dieser Branche – durch die Lizenzierung des neu entwickelten Medikaments an Pharmakonzerne finanzieren.
Cabadaj: „Mit 30 Mitarbeitern wäre das sonst personell und finanziell nicht möglich. In der Entwicklungsphase wollten wir uns aber nicht an die Multis wenden, weil es in unserer Branche einfach nicht möglich ist, innerhalb von zwei, drei Jahren brauchbare Ergebnisse zu erzielen.“