Der Bulldozer

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Der Präsident kam dann leider doch nicht. Dabei war er so freundlich zur Filmvorführung eingeladen worden, noch dazu vom Regisseur selbst, der sich im Übrigen auch liebend gern einer zwanglosen öffentlichen Diskussion mit dem illustren Ehrengast gestellt hätte. Aber der dachte wahrscheinlich keine Sekunde daran, nach Crawford im US-Bundesstaat Texas zu reisen, elf Kilometer von der Ranch entfernt, auf der er sich vergangene Woche ein paar Tage Sommerfrische gönnte.

So muss die einzige dokumentierte Begegnung zwischen Michael Moore und George W. Bush weiterhin eine fiktive bleiben: Auf dem Filmplakat zu Moores neuem Film „Fahrenheit 9/11“ (der diese Woche auch in Österreich startet) sieht man die beiden Hand in Hand vor dem Weißen Haus, selig, fast ein wenig verliebt lächelnd – eine betont billig produzierte Fotomontage, die auf engstem Raum die zentralen Stilmittel der Moore’schen Aktionskunst bündelt: das Plakative, das Populistische und das Egomanische.

Vor nicht einmal zwei Jahren hätte man den Anspruch eines übergewichtigen, schreiend schlecht gekleideten und wirre Verschwörungstheorien skandierenden Hitzkopfs, den amerikanischen Präsidenten gewaltlos stürzen zu wollen, als bemitleidenswerte Lachnummer abgetan. Mittlerweile – einen Oscar, vielfache Millionen-Buchauflagen und eine Goldene Palme in Cannes später – erscheint dieses Szenario keineswegs mehr so aberwitzig. Über 100 Millionen Dollar hat Moores Anti-Bush-Pamphlet „Fahrenheit 9/11“ binnen Monatsfrist in den USA bereits eingespielt (bei Produktionskosten von sechs Millionen Dollar). Zehn Millionen Amerikaner standen Schlange, um den Film zu sehen, und man darf davon ausgehen, dass es sich dabei vorrangig um Menschen handelte, die Moores Ressentiments gegen den Präsidenten teilen.

56 Prozent der Amerikaner, erklärte Moore am Rande des demokratischen Parteitags in Boston vergangene Woche stolz, hätten laut einer Gallup-Umfrage „Fahrenheit 9/11“ entweder schon gesehen oder zumindest fest vor, es zu tun. Das würde, grob hochgerechnet, einem Einspielergebnis von mindestens 1,5 Milliarden Dollar allein in den USA entsprechen und damit selbst den aktuellen Rekordhalter „Titanic“ auf Peanuts-Dimensionen reduzieren. Außerdem würde es Moore zu so sinnlosem Reichtum verhelfen, dass er nach streng fiskalischer Logik eigentlich keinen anderen als den Kapitalistenfreund Bush wählen dürfte.

Aber reich ist Moore ohnehin, so reich, dass er jetzt schon Mühe hat, glaubhaft jenen Underdog-Nimbus aufrechtzuerhalten, aus dem sich seine phänomenale Breitenwirkung nachhaltig speist. Moores Kernzielgruppe, zumindest in den USA, sind die Zu-kurz-Gekommenen, die Unterprivilegierten und Entrechteten, jene, die unter Bushs ruchloser Imperial- und Bonzenpolitik am meisten zu leiden haben, jedenfalls nach Moores (wohl nicht ganz verfehlter) Einschätzung. Wenn sein Kalkül, diese schweigende Mehrheit mit einem filmischen Referendum gegen Bush für die Präsidentschaftswahlen am 2. November zu mobilisieren, aufgeht, dann könnte er tatsächlich zum nicht bloß symbolischen Stolperstein für eine zweite Amtszeit des Texaners werden und damit erreichen, wovon Künstler sonst nicht einmal zu träumen wagen: nämlich die Welt zu verändern. Dann würde auch der politische Zweck die reichlich fragwürdigen Stilmittel heiligen, deren sich Moore oft und gern – und oft fahrlässig gern – bedient.

Die Debatte um das künstlerische Potenzial (und Ethos) des Michael Moore erscheint inzwischen geradezu weltfremd, weil Moore – ziemlich einzigartig in der Geschichte – mit seinem Bulldozer-Verständnis von Kulturkritik in das Feld der Realpolitik eingebrochen ist, allerspätestens durch „Fahrenheit 9/11“. Ob das Unbehagen, das redliche Intellektuelle angesichts der Manipulationsakrobatik dieses „schwitzenden, dicken, unverschämten Teddybären“ (Viennale-Direktor Hans Hurch) befällt, Moore in seinem Selbstverständnis irritiert, ist fraglich. Er verfolgt seit zwanzig Jahren hartnäckig seine Mission – den Mächtigen und Übermächtigen gnadenlos zu Leibe zu rücken – und hat es damit inzwischen ganz nach oben geschafft, sozusagen in die Chefetage der Weltpolitik. Dort kann man sich nicht mehr mit ästhetischen Formalien herumschlagen, denn dort geht es ums Ganze: die Zukunft der USA zum Beispiel.

Dass Moore in seinem simplizistischen, hemdsärmligen Habitus seinem Lieblingsfeind Bush durchaus ähnelt, liegt, wenn man die Breitenwirkung seiner Arbeit betrachtet, fast schon in der Natur der Sache. Das Phänomen Moore ist größer als sein Haupt- und Selbstdarsteller: Es lebt von der Substanz und den Defiziten derer, die sich von ihm infizieren lassen, freiwillig oder unfreiwillig.

Der Aktionist aus Flint, Michigan, hat der amerikanischen – und also globalen – Unterhaltungskultur eine neue Dimension eröffnet: Entertainment als Aufklärung. Das ist nicht schlecht für eine One-Man-Show. Es ist allerdings auch kaum zu toppen. Über kurz oder lang wird Michael Moore wohl in die Politik wechseln müssen. Vielleicht tritt er 2008 oder 2012 als Präsidentschaftskandidat an. Einen passenden Gegner gäbe es jedenfalls schon: Arnold Schwarzenegger.