Wladimir Putin hat die Weichen gestell

Der halbnackte Chef

Er wird Premier – und dann wieder Präsident

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Es war der Mann, der oben im Kreml sitzt und das Land so erfolgreich verwaltet, dass sogar 4000 Halbwüchsige begeistert zu seinen Ehren demonstrieren. Das Demonstrationsmotto: „Alles nach Plan!“
Dem kann Präsident Wladimir Putin nur zustimmen. Die „Operation Machterhalt“ läuft wie vorgesehen. Der Kreml-Herr hat in den vergangenen zwei Jahren immer wieder angedeutet, was 2008 passieren wird. Und genau das setzt er nun um. Gebetsmühlenartig hat er wiederholt, dass er die Verfassung nicht ändern will, um sich selbst eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Gleichzeitig hat er immer angedeutet, dass er sich noch nicht zur Ruhe setzen will. Am Montag vergangener Woche präsentierte er seine Lösung: Putin wird statt Pensionist Premier mit Rückfahrkarte zum Präsidentenposten.
Möglich, dass die Historiker dereinst sagen, der achte Parteitag des Geeinten Russland sei der Beginn des Personenkults um Wladimir Wladimirowitsch gewesen. Seit Putin seinen Wahlverein geschaffen hat, erfreut sich die Mehrheitsfraktion in der Duma immer größerer Beliebtheit. Keiner der dort tätigen Politiker hat eigenständiges Profil entwickelt. Ein Delegierter durfte den Präsidenten vor laufenden Kameras beknien, für das Geeinte Russland als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu ziehen. Der Urnengang am 2. Dezember zur Staatsduma werde dann zu einer Volksabstimmung, „in der die Bürger für viele Jahre Ihren Status als Führer der ganzen Nation bestätigen“.
Mit dankbarem Lächeln akzeptierte der Präsident das Angebot. Auch die stehenden Ovationen nahm er huldvoll hin. Die Inszenierung des Parteikongresses im Handelszentrum Gastiny Dwor gleich neben dem Roten Platz kann an Symbolkraft kaum überboten werden. Nur einen Steinwurf vom Kreml entfernt wurden die Kaufhöfe aus dem 18. Jahrhundert in dramatisch teurem, postsowjetischem Stil renoviert. Die weißen Marmorsäulen im Hintergrund gaben dem umjubelten Präsidenten, den sonst ein Hauch Sowjet-Schick begleitet, einen imperialen Touch.

Siegesgewiss. Das Rätselraten um Putins Zukunft ist damit zu Ende. Die Parlamentswahlen hat Geeintes Russland schon in der Tasche. 300 von 450 Sitzen sind das Mindeste, was die siegesgewissen Delegierten erwarten. Außer den altväterischen Kommunisten, der pseudooppositionellen Kreml-Kreation Gerechtes Russland und der rechtspopulistischen Clown-Partei von Wladimir Schirinowski, der NDPR, wird es wohl kein Störenfried mehr in die Staatsduma schaffen.
Im März 2008 kann die Wahl von Viktor Subkow zum Präsidenten über die Bühne gehen, wenn der Putin-Loyalist sich keine großen Fehler erlaubt. Das Staatsfernsehen zeigt ihn jeden Tag, wie er alten Damen Schokolade kauft, kleinen Kindern über den Scheitel streicht und in Putins Arbeitszimmer Platz nimmt, um ruhig und entschlossen das Land zu verwalten. Sollte Subkow doch zu graumäusig bleiben, kann der Präsident auf die bisherigen Kronprinzen und Vizepremiers Sergej Iwanow und Dimitri Medwedew zurückgreifen.
Diese Optionen hält sich Präsident Putin gerne offen, die drei fungieren als demokratisches Feigenblatt. Iwanow ist der „Silowik“, der Mann aus dem Sicherheitsapparat, Medwedew der „Liberale“, Subkow der Bürokrat. KP-Chef Gennadi Sjuganow und NDPR-Führer Schirinowski komplettieren die mögliche Kandidatenpalette. Dass sich bei den Demokraten der heißköpfige Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow als Spitzenkandidat durchgesetzt hat, stört auch nicht weiter.
Subkow ist von allen Kandidaten für Putins Pläne der geeignetste. Der 67-jährige Apparatschik könnte nach einer halben oder ganzen Amtszeit den Kreml für Putin räumen. Nach einer Pause steht einer Rückkehr an die Macht gemäß Verfassung nichts im Wege. Der „halbnackte Chef“, wie Putin seit seinen Urlaubsfotos mit entblößtem Oberkörper in Anlehnung an den englischen Starkoch Jamie Oliver gerne genannt wird, feierte am Sonntag seinen 55. Geburtstag. Putin der Große hat noch eine große Zukunft vor sich.

Das Volk nimmt das Wahlspektakel gelassen. In der Schlange in einem Moskauer Postamt unterhalten sich zwei Frauen, was es zu bedeuten habe, dass die Partei Geeintes Russland nur einen Spitzenkandidaten – nämlich Putin – für die Dumawahl gekürt hat. Sagt die eine: „In der Sowjetunion hatten wir bei den Wahlen immer drei Kandidaten an der Spitze.“ Die andere zuckt die Schultern: „Na ja, die Zeiten ändern sich.“

Von Tessa Szyszkowitz, Moskau