US-Wahl 2008: 'Der Denver-Plan'

Der Denver-Plan des John McCain

Wie konnte McCain Obama einholen?

Drucken

Schriftgröße

Wenn es um minutiöse Inszenierung und medienträchtige Vermarktung geht, sind die US-Demokraten derzeit unschlagbar. 15.000 Journalisten werden ab Montag über jeden einzelnen Tag des Wahlparteitags in Denver berichten. Mehr als 70.000 Menschen werden vor Ort live dabei sein, wenn Barack Obama zum Abschluss am Donnerstagabend die Bühne des Parteitags-Centers mit jener der Football-Arena der Denver Broncos tauscht und seine Nominierung annimmt. Auf den Tag genau 45 Jahre nach Martin Luther Kings legendärer „I have a dream“-Rede vor dem Lincoln-Memorial in Wa­shington wird Barack Obama als erster Schwarzer zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gekürt. Für die unzähligen Partys des 4-Tages-Spektakels haben sich Filmstars wie Ben Affleck, Annette Benning und Quentin Tarantino angesagt.

Die Hauptredner zur Primetime stehen schon lange fest. Montag (Motto: „One Nation“) stellt Michelle Obama ihren Mann vor, Dienstag (Motto: „Renewing Americas Promise“) gehört die Bühne Hillary Clinton, der mit dem 88. Jahrestag des US-Frauenwahlrechts ebenfalls ein geschichtsträchtiges Datum zugeordnet wird. Tags darauf („Securing Americas Future“) darf Ex-Präsident Bill Clinton noch einmal die Delegierten begeistern, bevor am Donnerstag („Change you can believe in“) Ex-Präsidentschaftskandidat und Friedensnobelpreisträger Al Gore die Rede Barack Obamas einleitet.
Seit Monaten plant das Democratic National Committee gemeinsam mit Obamas Büro die Inszenierung minutiös durch, um mit der perfekten Inszenierung maximale politische Wirkung und damit einen perfekten Start in den Intensiv­wahlkampf zu haben. Selbst die täglichen Gerüchte um die Vorstellung von Obamas „Running-Mate“, also dem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, waren vergangene Woche perfekt geplant, um mit jedem neuen Infohäppchen einen Nachrichtentag zu dominieren.
Doch just am Vorabend der großen Show schließt John McCain in den Umfragen zu Obama, dem über Monate hindurch strahlenden Star einer politischen One-Man-Show, auf und hat damit plötzlich die Schlagzeilen gepachtet. McCain, über den viele Politanalytiker ob seines bislang überaus schwachen Wahlkampfs schon die Köpfe schüttelten, ist zurück.
Zwar notiert nur eine einzige Umfrage eine McCain-Führung im direkten Duell, doch stimmen alle anderen Demoskopen überein: Die beiden liegen gleichauf.

Führungsfrage. Was macht den bislang eher uncharismatisch und zuweilen unbeholfen agierenden Republikaner plötzlich so attraktiv für die Wähler? In fast den meisten ausschlaggebenden Punkten lag bislang Barack Obama voran. Fast alle Umfragen bescheinigen ihm, die besseren Rezepte bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu haben, doppelt so viele Amerikaner trauen ihm zu, das Image der USA in der Welt zu verbessern, als dies von John McCain zu erwarten ist. Und: 46 Prozent der Wähler würden lieber einen Demokraten als noch einmal einen Republikaner im Weißen Haus sehen. Nur 34 Prozent favorisieren einen Präsidenten aus der Partei des zutiefst unpopulären George W. Bush.

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist McCains Aufholjagd beachtlich. In einer Gallup-Analyse rangierte Obama noch vor vier Wochen, exakt 100 Tage vor der Wahl, mit stabilen acht Punkten Vorsprung auf Platz eins. Dieser Vorsprung ist nun weg. Allerdings geben Wahlforscher zu bedenken: In den vergangenen 50 Jahren siegte in zehn von zwölf Präsidentschaftswahlen jener Kandidat, der auch 100 Tage vor Urnengang in Front lag. Nur zweimal lief es anders: als John F. Kennedy 1961 einen 6-Punkte-Rückstand in einen hauchdünnen Sieg gegen Richard Nixon verwandeln konnte und als Michael Doukakis 1988 einen historischen 17-Punkte-Vorsprung gegen George Bush senior verspielte.

McCain punktet gegenüber seinem Kontrahenten lediglich in der so genannten Führungsfrage. Die Hälfte der Amerikaner traut dem langjährigen Senator eher zu, eine unerwartete Krise zu bewältigen, von Obama glauben das nur 41 Prozent. Im Umgang mit Russland halten doppelt so viele Amerikaner McCain für kompetenter als Obama. Ein möglicher Grund für seine gerade zuletzt aufblitzende Popularität: McCain versteht es immer besser, durchschlagskräftiger zu wirken als sein oft abwägender Kontrahent.

Mit der Georgien-Krise nutzte der ­Vietnamveteran die Gunst der Stunde, spielte seine einzige wirkliche Stärke aus und dominierte das Thema am wichtigen ersten Tag des Kaukasuskrieges durch seine harte Linie. „Russland sollte sofort – und ohne Bedingungen – seine militärischen Operationen auf georgischem Gebiet einstellen und all seine Truppen abziehen“, polterte McCain im ersten TV-Statement. „Wir müssen die russischen Führer daran erinnern, dass die Vorteile, die sie nun als Teil der zivilisierten Welt genießen, Respekt für deren Werte und Frieden verlangen.“ Und er drohte mit „Konsequenzen“. Vor allem aber hatte McCain in den ersten 24 Stunden des Kaukasuskrieges keinen Gegenspieler.

Obama schaffte es erst am zweiten Krisentag in Khaki-Hemd und schwarzer Freizeitjacke in seinem Urlaubsort Hawaii vor die Mikros und verurteilte lediglich „die Verletzung der georgischen Souveränität“. Sonst blieb er vage: „Ich denke, es ist für alle Seiten jetzt wichtig, Zurückhaltung zu zeigen und diesen bewaffneten Konflikt zu beenden.“ Kaum eine Analyse kommt seither ohne den Zusatz aus, dass Obama nicht sofort ins nächste Flugzeug Richtung Festland stieg, sondern bei Ausbruch der Krise auf Hawaii blieb.

Der so genannte „Three a. m.“-TV-Spot, den Hillary Clinton in den Vorwahlen gegen Obama schaltete, scheint nun erst für McCain seine Wirkung zu entfalten: „Es ist drei Uhr nachts und Ihre ­Kinder schlafen sicher. Doch im Weißen Haus klingelt plötzlich ein Telefon. Wer, würden Sie sich wünschen, soll den Hörer abheben?“ So großartig der ehemalige Rechtswissenschafter seine Visionen in Reden formuliert, so beharrlich weigerte er sich schon als Uniprofessor, kurzsichtige Patentrezepte zu liefern. Viele von Obamas Hochschullehrerkollegen machte seine abwägende Art zu schaffen. Nie polterte er mit eingängigen, aber undurchdachten Lösungen heraus, welche die anderen dann in Stücke reißen hätten können. Stets betrachtete er ein Problem von allen Seiten, wog ab und nahm auch oft den längeren, komplizierteren Lösungsweg in Kauf. Was schon die professorale Kollegenschaft ankreidete, legen seine Gegner nun als Unentschlossenheit aus.

Das Zusammentreffen einer wie für McCain maßgeschneiderten militärischen Krise mit der einwöchigen Abwesenheit Obamas schlägt sich in einer Momentaufnahme in Zahlen nieder. Und vor wenigen Tagen attestierten die Kommentatoren dem Republikaner, den glänzendsten Auftritt seines bisherigen Wahlkampfs geliefert zu haben. Und das just, als die Kandidaten sich – zumindest hintereinander – eine Bühne teilten. In einstündigen Interviews mit dem populären Prediger Rick Warren über Glaube, Ethik und Gesellschaft beim evangelikalen Seddleback-Forum in Kalifornien, gab sich Barack Obama oft nachdenklich, philosophisch – und vor allem ausweichend unkonkret. McCain dagegen quittierte jede einzelne Frage mit einem klaren politischen Statement und reihte je nach Belieben prägende sentimentale Erlebnisse oder ironische Anekdoten aneinander. Als hätten sich die rhetorischen Vorzeichen plötzlich umgekehrt.

Intensivwahlkampf. Mittlerweile räumte Pastor Warren übrigens ein, dass McCain, der nach Obama die identen Fragen gestellt bekam, nicht wie vereinbart während des gesamten Obama-Interviews in einem abgeschotteten Raum verbrachte und damit sowohl Fragen als auch Obamas Antworten kennen konnte. Eine Sprecherin McCains wies die Unterstellung, dass der Republikaner gemogelt haben könnte, als „unerhört“ zurück.
Dennoch bergen just die drei direkten TV-Debatten mit McCain im Herbst potenzielle Fallstricke für den begnadeten Redner Obama. McCain, der selbst bei kleinen Townhall-Meetings seine Botschaften immer wieder vom Zettel ablesen muss, wird dabei ohnehin die Rolle des rhetorisch wie intellektuellen Underdogs eingeräumt. Sollte er sich trotz klarer Überlegenheit Obamas auch nur auf niedrigem Niveau besser schlagen als erwartet, könnte er schlussendlich besser dastehen als sein höher eingeschätztes Gegenüber. Der brillante Redner Obama hat dagegen nur wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren.

Eins hat dieser aber geschafft: Seine Landsleute halten ihn inzwischen für einen ebenso guten Amerikaner wie McCain. Vor wenigen Wochen hatte Obama selbst eingeräumt, dass es von den gesellschaftskonservativen Amerikanern viel verlangt sei, für einen Kandidaten wie ihn, mit fremdem Namen und so unamerikanischem Lebenslauf, zu stimmen: Er wisse, er „sehe nicht aus wie all die anderen amerikanischen Präsidenten auf den Dollarscheinen“. Immerhin zwei Drittel der US-Wähler gestehen Obama (mit dessen Politik-untypischer Kindheit) und McCain (mit dessen so prototypisch amerikanischem Lebenslauf) auf den Prozentpunkt genau gleichermaßen zu, die amerikanischen Werte hochzuhalten. Wenn Obama am kommenden Donnerstag die Nominierung der Demokraten annimmt und in den Intensivwahlkampf geht, muss er zumindest das nicht mehr beweisen.
Ab Freitag gehört die Bühne der medialen Öffentlichkeit ohnehin wieder John McCain. Drei Tage vor der republikanischen Convention wird er seinen Vizepräsidenten nominieren, exakt an seinem 72. Geburtstag.

Von Josef Barth, Denver