"Der Fleißige wird bestraft"

Salzburger Festspiele geraten unter Druck

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profil: Vor zwanzig Jahren zog sich Herbert von Karajan aus der Festspielleitung zurück: Ist er für Salzburg noch immer ein Vorbild?
Rabl-Stadler: Bei aller Wertschätzung dessen, was Herbert von Karajan in Salzburg getan hat: Die Branche hat sich seither so stark verändert, und auch bei den Festspielen ist seither derart viel passiert, dass man mit den Strategien von damals die Festspiele nicht mehr machen könnte. Der internationale Konkurrenzdruck durch andere Festspiele ist merklich gestiegen, die finanzielle Situation spürbar härter geworden.

profil: Die Subvention wurde seit 1999 nicht erhöht. Stiehlt sich die Kulturpolitik aus der Verantwortung?
Rabl-Stadler: Eigentlich entsprechen die heutigen Zuschüsse dem Stand von 1997, denn beginnend mit 1999 wurde uns die Subvention dreimal hintereinander um je zwei Prozent gekürzt und dann eingefroren. Berücksichtigt man die Inflation, ist unsere Jahressubvention gegenüber dem Jahr 2000 um 3,2 Millionen Euro gesunken. Insgesamt hat sich die öffentliche Hand in den vergangenen acht Jahren 16,8 Millionen Euro erspart. Zwar haben wir jetzt von allen drei Subventionsgebern im Prinzip die Zusage, unser Budget in den nächsten zwei Jahren zu erhöhen, 2009 fix um drei Prozent. Eine automatische Valorisierung werden wir aber wohl nie mehr bekommen. Die schönen Zeiten, als die Subvention automatisch um die Inflationsrate erhöht wurde, sind vorbei.

profil: Immerhin konnten Sie die Sponsorengelder deutlich steigern.
Rabl-Stadler: Pro Jahr erhalten wir von unseren Sponsoren vier Millionen Euro. Ohne diese großzügige Unterstützung wären die Festspiele in ihrer heutigen Form nicht mehr realisierbar. Aber wir können die Anzahl unserer Hauptsponsoren nicht beliebig erhöhen.

profil: Wie wirkt sich die Geldknappheit auf die Festspiele aus?
Flimm: Es ist ziemlich eng. Wir sind beispielsweise gezwungen, sehr unangenehme Gagenverhandlungen zu führen, und müssen tatsächlich um 500 Euro feilschen. Verglichen mit den Gagen anderer Institutionen, liegen wir schon lange nicht mehr an der Spitze, sondern im guten Mittelfeld. Die Höchstgage der Festspiele sind 13.000 Euro. Damit zahlen wir ungefähr dasselbe, was auch Staatsoperndirektor Ioan Holender seinen Sängern bietet. Wir stimmen uns mit ihm ein bisschen ab, um uns nicht gegenseitig unter Druck zu setzen. Aber es gibt viele Opernhäuser, die wesentlich mehr bieten können als wir.

profil: Barcelona beispielsweise lockt die Stars mit 19.000 Euro Abendgage.
Flimm: Auch in Zürich, Valencia oder an der New Yorker Met werden wesentlich höhere Gagen bezahlt. Die Frage, vor der wir in Salzburg stehen, ist, wie lange unser Qualitätsbonus und unser Nimbus noch halten. Das könnte ein Problem werden. Wir können schon jetzt bestimmte Sänger, die wir eigentlich haben wollen, nicht bezahlen.

profil: Anna Netrebko hat vergangenes Jahr in Salzburg keine Oper gesungen, sondern stattdessen eine viel lukrativere Open-Air-Tournee absolviert. Warum sollten sich Stars nicht immer öfter fürs Geld entscheiden?
Flimm: Ich führe jetzt mit Anna Netrebko Gespräche über die Jahre 2010 und 2011, mit Elina Garanca sind wir ebenfalls in gutem Einvernehmen. In Paris habe ich soeben Riccardo Muti getroffen, auch mit Daniel Barenboim bin ich in Kontakt. Es ist Gott sei Dank noch immer so, dass ein Auftritt in Salzburg für Künstler wichtig ist. Es gibt sogar viele Sänger, die in Salzburg für weniger Geld arbeiten, als sie sonst verlangen. Aber dass Künstler von anderen Veranstaltern extrem lukrative Angebote bekommen und diese hin und wieder annehmen, ist klar. Dagegen ist auch nichts zu sagen.

profil: Das Festspielhaus Baden-Baden beteiligt renommierte Künstler bereits an den Einnahmen. Werden die Festspiele diese Entwicklung mitmachen?
Hinterhäuser: Es ist verständlich, dass Agenten versuchen, Geschäftsmodelle des Pop-Business auch in der Klassik durchzusetzen. Aber wenn wir diesem Verlangen in Salzburg nachgeben, würde unser organisatorisch und finanziell fragiles Gefüge sofort ins Wanken geraten. Wir arbeiten unter völlig anderen Bedingungen als unsere Konkurrenten. In Baden-Baden machen die Künstler auf ihren Europa-Tourneen nur kurz Station. Wir hingegen sind ein produzierendes Opern-, Theater- und Konzertfestival mit den Wiener Philharmonikern als Residenzorchester. Das ist einzigartig.

profil: Müssen die Festspiele aus finanziellen Gründen populistischer planen, als sie eigentlich wollen?
Hinterhäuser: Überhaupt nicht. Vergangenes Jahr standen viele Opernraritäten am Spielplan, die vom Publikum sehr gut angenommen worden sind. Festspiele sind dazu da, auch Kunst vorzustellen, die einen geschützten Raum braucht, also etwa zeitgenössische Musik. Diese Veranstaltungen müssen bei uns aber von anderen Veranstaltungen innerhalb des Festivals mitfinanziert werden.
Oberender: Man muss die Situation in aller Härte beschreiben: Alles, was die Salzburger Festspiele ausgeben, haben wir vorher mittels Kartenverkauf verdient. Was die Konzerte und das Schauspiel an Überschuss erwirtschaften, fließt in die Oper. Die Subvention reicht nämlich nicht einmal aus, um unsere Infrastruktur zu finanzieren. Diese Entwicklung ist gefährlich. Wir müssen einerseits Abende im Programm haben, die dem Publikum auf den ersten Blick eingängig erscheinen, möchten aber auch Produktionen zeigen, die schwieriger zu verkaufen sind. Die Finanzlage der Festspiele hat indirekt also sehr wohl Einfluss auf das Programm.

profil: Bereits Intendant Peter Ruzicka bekam diesen Druck zu spüren. Der Geldknappheit fiel als Erstes die zeitgenössische Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ zum Opfer.
Rabl-Stadler: Die Festspiele funktionieren an der Kassa im Moment Gott sei Dank sehr gut, und das erhöht unsere Bewegungsfreiheit. Als wir für das Mozart-Jahr 22 Opern geplant haben, waren viele skeptisch. Wer will 22 Opern sehen, und wer interessiert sich für Jugendwerke wie „Apollo und Hyazinth“? Im Kuratorium mussten wir die Debatte führen, ob diese Programmierung nicht zu wagemutig sei und wir nicht zu hohe Karteneinnahmen kalkuliert hätten. Doch was ist passiert? Wir wurden vom Publikum regelrecht überrannt und haben zwei Millionen Euro mehr eingenommen als geplant. Vergangenes Jahr ist es uns ähnlich ergangen: Sowohl das Schauspiel als auch das Konzert und die Oper haben die finanziellen Erwartungen weit übertroffen. Dabei war das Programm aufgrund der Opernraritäten riskant.

profil: Warum sollte die Politik die Subvention der Festspiele deutlich erhöhen, wenn Überschüsse produziert werden?
Flimm: Es ist immer so: Der Fleißige wird bestraft. Wir können ja nicht sagen, wir machen jetzt ein blödes Programm, das keiner sehen will, nur um ein Defizit zu produzieren. Das schaffen wir ja nicht. Theaterleute sind so beschaffen, dass sie lieber im letzten leeren Büro Theater machen, anstatt zu sagen: Aber da fehlen drei Scheinwerfer.

profil: Die Gagen in Baden-Baden sind zum Teil dreimal so hoch wie in Salzburg. Was muss man den Stars offerieren, damit sie trotzdem kommen?
Flimm: Die Künstler kommen gerne zu uns, weil wir etwas bieten, was außerhalb der Pflicht stattfindet und niemand sonst anbieten kann: sich während des Festivals permanent mit anderen Künstlern aus­tauschen zu können. Die Sänger kommen nicht nach Salzburg, um ihren Opernabend abzuliefern und sich wieder aus dem Staub zu machen. Die Atmosphäre, die wir hier haben, ist einzigartig. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen. Wenn wir heuer das Simón Bolívar Orchestra für eine Woche nach Salzburg holen, bieten wir auch diesen Musikern eine Heimat an.

profil: Die Atmosphäre scheint nicht immer ausschlaggebend zu sein: Chris­tian Thielemann dirigiert den „Rosenkavalier“ in Baden-Baden statt in Salzburg.
Flimm: Das schmerzt mich überhaupt nicht. Wir planen mit ihm 2011 „Die Frau ohne Schatten“.

profil: Alle großen Festivals wollen dieselben Künstler buchen: Gibt es schlicht zu wenige Stars, um den wachsenden Markt bedienen zu können?
Rabl-Stadler: Das sehe ich als Problem. Aber wenn ein bekannter Name im Programmheft steht, fühlt sich das Publikum sicherer. Wer zu einem Abend von Lang Lang geht, weiß, dass er einen hervorragenden Klavierspieler erleben wird. Unsere Aufgabe besteht darin, nicht nur Stars zu bringen, sondern auch neue Stars zu kreieren. Vergangenes Jahr war es noch schwer, mit dem Pianisten Grigory Sokolov das Festspielhaus zu füllen. Dieses Jahr ist das Konzert ausverkauft.

profil: Im heurigen Opernprogramm fehlen so prominente Namen wie Thomas Hampson, Bryn Terfel, Natalie Dessay, Cecilia Bartoli, René Fleming, Roberto Alagna oder Angela Gheorghiu. Ist das eine Geldfrage?
Flimm: Nein, das ist keine Geldfrage. Es ist wichtig, die Kehrseite zu betrachten. Wir können nicht stehen bleiben und immer auf derselben Wiese Heu machen. Heuer veranstalten wir zum ersten Mal das Young Singers Project. Wir haben bei 200 Vorsingen elf junge Musiker ausgesucht, die jetzt im Sommer unsere Gäste sind, von großen Kollegen unterrichtet und in die Festspiele integriert werden. Salzburg erhält eine andere Lebendigkeit. Der Mehlstaub ist weg.

profil: Verdis „Otello“ ist mit Aleksandrs Antonenko in der Titelrolle besetzt, einem völlig unbekannten Sänger. Geht die Risikobereitschaft zu weit?
Hinterhäuser: Auch für „Otello“ haben wir ein Vorsingen gemacht. Plötzlich kam dieser Sänger auf die Bühne und hat den Dirigenten Riccardo Muti derart beeindruckt, dass dieser nach ein paar Minuten gesagt hat: „Sie sind mein Otello.“ Es gibt die großen Namen in Salzburg, das Konzertprogramm ist voll damit. Aber würden wir immer dieselben Leute anbieten, würde es sofort – und zu Recht – heißen, Salzburg sei erstarrt.

profil: Vergangenes Jahr kam „Eugen Onegin“ auf Wunsch von Dirigent Daniel Barenboim zustande. Müssen die Festspiele begehrten Künstlern ein Mitspracherecht beim Programm einräumen, um sie nach Salzburg zu locken?
Flimm: So war das nicht, aber wenn, dann wäre das ein ganz normaler Meinungsaustausch mit hoch geschätzten Partnern. Auch die New Yorker Metropolitan Opera und die Mailänder Scala fragen die Topkünstler, was sie gerne singen oder dirigieren würden.

profil: Philipp Jordan erklärte sich zur Wiederaufnahme von Mozarts „Così fan tutte“ nur unter der Bedingung bereit, auch ein Konzert leiten zu dürfen.
Flimm: Sicher kommen solche Wünsche von Künstlern, das ist ja ganz selbstverständlich. Aber Konzertchef Markus Hinterhäuser macht das vorbildlich. Er trifft die Musiker und bespricht das Programm mit ihnen. Wir wollen nicht, dass die Künstler hier durchrutschen wie bei allen anderen Festivals auch, sondern dass sie in Salzburg etwas Besonderes machen. Wir sind kein Tourneekarussell.

profil: Wie reagieren Orchester auf die Programmwünsche der Festspiele?
Hinterhäuser: Natürlich gibt es im Programm immer wieder das eine oder andere Werk, mit dem das Orchester schon anderswo zu hören war. Aber meistens sind die Künstler extrem gesprächsbereit. Wenn wir das Cleveland Orchestra heuer für eine Oper und drei Konzerte nach Salzburg holen, hat sein Chefdirigent Franz Welser-Möst das allergrößte Verständnis dafür, dass er ein Programm dirigieren soll, das erstens zum restlichen Programm der Festspiele passt und das er zweitens nicht überall anders auch präsentiert.

profil: Was nicht immer gelingt: Lang Lang und Barenboim bringen ihr Salzburger Konzertprogramm zuvor in Essen zu Gehör, Alfred Brendel war mit seinem Programm bereits in halb Europa.
Hinterhäuser: Es gibt Künstler, die eine bestimmte Arbeitsweise haben. Grigory Sokolov funktioniert nur nach den Gesetzen von Grigory Sokolov und nicht nach Vorgaben von Festspielen. Aber die Idee zum Abend von Lang Lang und Daniel Barenboim beispielsweise ist hier in Salzburg entstanden. Dass die beiden ihren Auftritt anderswo ausprobieren wollen, bevor sie ihn hier zeigen, finde ich absolut verständlich. Unser Konzertprogramm ist voller außergewöhnlicher Künstlerkombinationen. Wenn Ingo Metzmacher und Christine Schäfer, Thomas Quasthoff und András Schiff, Matthias Goerne und Leif Ove Andsnes keine festspielwürdigen Künstlerkombinationen sind, dann weiß ich nicht, was Festspiele sein sollen. Man kann den Exklusivitätsanspruch nie zu hundert Prozent erfüllen. Aber wir erfüllen ihn zu einem hohen Maße.

profil: Untergräbt es den Exklusivitätsanspruch der Festspiele, dass viele Theaterproduktionen mit anderen Schauspielhäusern koproduziert werden müssen?
Flimm: Die Exklusivität entsteht nicht dadurch, dass wir eine Produktion als Einzige zeigen, sondern dass wir die Idee dafür entwickelt haben. Andrea Breths Inszenierung von „Das weite Land“, eine exzellente Aufführung, haben wir 2002 und 2003 gespielt und dann nie wieder. Das ist Verschleuderung von intellektuellem Kapital. Vor Kurzem haben wir an Wolfgang Rihm einen Opernauftrag vergeben. Das Werk wird in Salzburg fünfmal zu sehen sein. Das kann man ja nicht verantworten! Also führen wir Gespräche mit anderen Opernhäusern etwa in Amsterdam und Dresden, um zu verhindern, dass das, was hier entsteht, nicht arroganterweise gleich wieder in die Tonne getreten wird.

profil: Im heurigen Frühjahr war Salzburg mit „Figaros Hochzeit“ in Japan zu Gast: Werden die Festspiele zum Franchise-Unternehmen?
Flimm: Es ist nicht unser Modell, alle unsere Produktionen über die Welt zu schicken und wie viele andere Veranstalter auf Japan-Trip zu gehen. Wenn eine Anfrage kommt, sagen wir schon auch mal: Diese Produktion geben wir Ihnen nicht, denn die finden wir einfach nicht gut genug. Das kommt ja manchmal vor. Wir gehen nur mit jenen Produktionen in die Welt hinaus, mit denen wir auch hinausgehen wollen.

profil: Burgtheaterdirektor Klaus Bachler hat vergangenes Jahr vorgeschlagen, das Festival um eine Woche zu kürzen. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Rabl-Stadler: Die Antwort darauf liegt bei den Menschen. Warum sollten wir kürzen, wenn wir eine Auslastung wie nirgendwo sonst auf der Welt haben? Wir hatten vergangenes Jahr 235.000 Zuschauer in fünfeinhalb Wochen.

profil: Auch die Festspielleitung selbst hat in Interviews schon überlegt, das Festival um eine Woche zu kürzen.
Flimm: Ja, aber als Strafe für die Politiker, die uns so knapp halten. Theaterleute sind die Einzigen, die immer mehr arbeiten wollen. Der Schauspieler will immer den Hamlet spielen und nicht den Laertes.

profil: Warum haben Sie dann eine Verlängerung Ihrer Intendanz schon vor Amtsantritt ausgeschlossen?
Flimm: Weil ich 2011 ein gewisses Alter erreicht habe.

Interview: Peter Schneeberger