Der „Führer“ und sein Mädchen

Eine neue Biografie beleuchtet das Leben der Frau an Adolf Hitlers Seite

Drucken

Schriftgröße

Die Hälfte ihres Lebens, 16 Jahre lang, lebte Eva Braun, Tochter einer kleinbürgerlichen Münchner Familie, Klosterschülerin, Fotografenlehrling, an der Seite Adolf Hitlers. Vor der Öffentlichkeit wurde ihre Existenz geheim gehalten, hinter den Sicherheitsschleusen der SS-Adjutanten kultivierte sie eine ausschweifende Boheme-Existenz. Schon zu ihren Lebzeiten wurde im engsten Umfeld des Diktators über ihr Verhältnis zum „Führer“ spekuliert, nach dem gemeinsamen Suizid begann die Mythenbildung. Aus den Erinnerungen von Verwandten, Freunden und Hitler-Satrapen entstand das Bild eines unpolitischen „Hascherls“, das sich Hitler in blinder Verehrung angeschlossen hatte – die Beteiligten wollten sich damit auch selbst entlasten. In der boulevardesken Aufbereitung wurde der „Klatsch aus tausend Jahren“ nachgeholt, der Markt blühte mit Mutmaßungen zweideutiger Natur. Eine neue Biografie, verfasst von der Berliner Historikerin Heike Görtemaker, will die Konturen nun schärfen und Eva Braun einen – wenn auch zweifelhaften – Platz in der Geschichte einräumen. Wie lebte sie mit Adolf Hitler? Was erzählt diese Mesalliance über den Diktator? Wie groß war ihr Einfluss auf ihn? Was wusste sie vom Holocaust? Ändert sich dadurch der Blick auf Hitler?
Vieles bleibt dabei auch weiterhin unklar. Aber aus Fotos, Zeitzeugenberichten, Briefen und Dokumenten lässt sich doch ein Sittengemälde nachzeichnen: Eva Braun wusste, was sie tat.

Eva Brauns Münchner Familie war kleinbürgerlich mit dem Hang, nach außen etwas herzumachen. Anfang der „goldenen zwanziger Jahre“ der Weimarer Republik zog man mit Dienstmädchen in eine Wohnung ins Künstlerviertel Schwabing, von einer Erbschaft leistete man sich den ersten BMW. Mutter Franziska hatte Schneiderin gelernt, Vater Fritz war Gewerbeschullehrer, Eva wurde 1912 als mittlere von drei Töchtern geboren. Mit 17 verließ sie die Klosterschule, in der sie Hauswirtschaft und Buchhaltung gelernt hatte. Als die Nonnen Eva Braun 1940 um Hilfe baten, weil die Nazis ihr Kloster für eine Parteischule räumten, soll sie sich mit Hitlers grauer Eminenz Martin Bormann über sie bloß amüsiert haben. Ihre Lektüre des von den Nazis verfemten Oscar Wilde bestand aus einem Buch, das ein Lehrer ihr gegeben hatte. Ihre Affinität zum Posieren ist vielfach dokumentiert, etwa auf dem Foto „Ich als Al Jolson“: Eva Braun mit schwarz geschminktem Gesicht in der Rolle des jüdisch-amerikanischen Jazzsängers.
Vater Fritz Braun war beim paramilitärischen „Stahlhelm“ eingeschrieben, 1937 wurde er NSDAP-Mitglied. Zwei Jahre später feierte er mit „Alten Kämpfern“ im Münchner Bürgerbräukeller, als der Tischler Johann Georg Elsner ein Attentat auf den „Führer“ versuchte: Hitler war schon weg, als die Sprengladung detonierte, Fritz Braun wurde verletzt. Er und vor allem seine Frau waren häufig im feudalen Sondergastraum des Dritten Reichs geladen – Hitlers Berghof auf dem bayrischen Obersalzberg, als „Führersperrbezirk“ nur Auserwählten zugänglich. Tochter Eva hatte dort ab 1936 ein eigenes Appartement.
Ihren offiziellen Auftritt mit dem „Führer“ erlebte die Familie Braun im Juni 1944, als die jüngste Tochter Gretl den SS-Major Hermann Fegelein ehelichte. Fegelein war Heinrich Himmlers Verbindungsoffizier ins „Führerhauptquartier“, davor hatte er SS-Einheiten bei der Jagd auf „Partisanen“ und Juden kommandiert.
Für das dreitägige rauschende Fest der kleinbürgerlichen Brauns mit dem Kleinbürger Hitler war der selbsternannte „Gröfaz“ („größter Feldherr aller Zeiten“) noch einmal aus seinem Bunker gestiegen. An seiner Seite posierte strahlend die nun 32-jährige Eva Braun: „Ich möchte, dass die Hochzeit so schön wird, als ob es meine eigene wäre“, sagte sie zu Sekretärin Christa Schröder. Ende April 1945 sicherte sich die 33-Jährige endlich als Eva Hitler ihren „wenn auch zweifelhaften Platz in der Geschichte“, wie Biografin Heike Görtemaker schreibt. Der Standesbeamte trug die Trauung Hitler/Braun als „Kriegshochzeit“ ein. Als sie im Herbst 1929 erstmals dem um 23 Jahre älteren Hitler vorgestellt wurde, war sie gerade 17 gewesen. Die Begegnung fand im Atelier von Hitlers angehendem Hoffotografen Heinrich Hoffmann in München statt. Hoffmann habe zur Beförderung der eigenen Karriere „immer wieder gekuppelt, sozusagen diese Eva Braun auf silbernem Tablett Hitler serviert“, so Hitlers Hausverwalter Herbert Döhring nach 1945. Wie die meisten der ehemaligen Hitler-Adepten wollte freilich auch Hoffmann nach Kriegsende von derlei Ranküne um den „Führer“ nichts wissen.
Auch Ilse Braun, die um drei Jahre ältere Schwester, war nach 1945 um Distanzierung von jeder Hitlernähe bemüht. Sie arbeitete und lebte bis 1937 bei einem jüdischen Arzt und gab an, Eva habe sie „auf das Unmögliche unserer so konträren Berufsstellen“ angesprochen und aufgefordert, den Arzt zu verlassen. Sie selbst habe für ihn „Fürsprache eingelegt“, wobei ihr klar gewesen sei, „dass weder meine Schwester und noch weniger ich kompetent genug dazu gewesen wären, eine Wirkung zu erzielen“. Nach der Emigration des Mediziners arbeitete Ilse Braun kurz bei Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer, danach stieg sie zur „Schriftleiterin“ der zum NS-Imperium gehörenden „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ auf. Ilse Brauns Ehemann Fucke-Michels fand Historikerin Görtemaker in Zusammenhang mit NS-Raubkunst genannt.
Die jüngere Schwester Gretl Braun wurde zu Evas ständiger Begleiterin. 1936 zog sie mit ihr in das Einfamilienhaus in der Münchner Villengegend, das Hoffmann als Hitlers Strohmann für Eva Braun erwarb. Der Kaufpreis betrug 35.000 Reichsmark – zum Vergleich: Juden mussten den NS-Behörden jedes Vermögen über 5000 Reichsmark melden. Eva Braun wurde erst später über eine juristische Finte offiziell Eigentümerin. Beim Finanzamt ließ sie sich nie registrieren. Laut Hitler-Forscher Anton Joachimsthaler entzog sie sich, wie Adolf Hitler auch, den Steuerbehörden.
Hitlers Schwiegereltern sagten vor den Entnazifi­zierungsbehörden, sie hätten im Glauben gelebt, ihre Tochter sei ab 1933 bei Hitler „Hausdame“ gewesen. Mehr hätten sie erst 1937 erfahren, als eine tschechische Zeitschrift Eva als „Die Pompadour Hitlers“ zeigte. Fritz Braun gab an, er sei über das „schlampige Verhältnis“ ­empört gewesen und habe Hitler geschrieben, „dass
ich es nicht als gut ansehe, dass er meine Tochter einfach
aus dem Familienkreis herauszieht, ohne uns zu ver-
ständigen“. Dennoch habe er „bis zum Schluss“ an den „Führer“ geglaubt. Und seine Tochter wäre, „wenn ­Hitler ein schlechter Mensch gewesen wäre ... nie mit ihm ­gegangen“.

Eva Braun und die NS-Politik
„Fenster zu!“

Mit äußerster Spannung im Gesicht und wie zum Sprung bereit, lehnt Hitler an der Kante des schweren Besprechungstischs: So fotografierte Eva Braun den „Führer“ in einem der zentralen Momente vor dem Zweiten Weltkrieg im August 1939. Das Foto zeigt Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels während der Radiomeldung über den Hitler-Stalin-Pakt, der den Weg für den deutschen Einmarsch in Polen freimachte, es fand sich in Brauns Privatalbum. Die folgenden Aufnahmen der gestikulierenden NS-Machthaber beschriftete Braun im Propagandastil: „Aber trotzdem, Polen will nicht verhandeln.“ Bei offiziellen Besuchen auf dem Berghof durfte sie sich nicht zeigen, Auftritte etwa des italienischen Außenministers Graf Ciano dokumentierte sie heimlich und schrieb dazu in ihr Fototagebuch: „Order: Fenster zu! Und was man daraus machen kann!“
Ihre privaten Alben dokumentieren, dass Eva Braun den Blick auf das politische Geschehen im NS-Regime hatte, es aber vorzog, sich mit der Rolle des unpolitischen Luxusgeschöpfes zu arrangieren. Sie belieferte das millionenschwere NS-Propagandaunternehmen ihres ehemaligen Chefs Heinrich Hoffmann mit idyllischen Hitler-Aufnahmen vom Berghof und bestimmt so, laut Historikerin Heike Görtemaker, bis heute das „Führer“-Bild mit. Von 1940 ist ein Bildhonorar Brauns über 20.000 Reichsmark überliefert.
Eva Braun nahm auch an den pompösen Inszenierungen des „Dritten Reichs“ und der NSDAP teil. Ein einziges Mal wurde ein Foto veröffentlicht, auf dem Hitler und sie gemeinsam bei einem derartigen Auftritt zu sehen sind: Es stammt von den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch und wurde nach Ansicht von ­Historikerin Anna Maria Sigmund irrtümlich von der Zensur freigegeben. Da die Öffentlichkeit keine Ahnung von der Existenz der Hitler-Gefährtin hatte, blieb sie ­unerkannt. Zum „Reichsparteitag“ 1935 soll sie in einem „teuren Pelz“ erschienen sein. Hitlers resolute Halbschwester Angela Raubal äußerte ihrem Bruder gegenüber Kritik an Brauns „sehr auffallendem“ Verhalten auf dem Parteitag, sie hatte daraufhin den Berghof zu verlassen. Die Tochter von Angela Raubal, Geli, war bis zu ihrem Tod im Herbst 1931 Hitlers häufige Begleiterin gewesen. Hitler-Biograf Ian Kershaw sieht ihren mutmaßlichen Selbstmord als verzweifelten Akt, sich aus der Umklammerung ihres Onkels zu befreien.
Befreiungsversuche Eva Brauns sind nicht bekannt. Im Gegenteil: Ihre beiden Selbstmordversuche – 1932 fügte sie sich eine Schussverletzung zu, 1935 soll sie eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt haben – werden als Druck auf Hitler interpretiert, ihr endlich die ersehnte Aufmerksamkeit zu schenken. Die Authentizität des Tagebuchs, in dem der zweite Selbstmord angekündigt wird, ist umstritten. Ein Eintrag darin lautet, das Wetter sei herrlich, aber „ich, die Geliebte des größten Mannes Deutschlands und der Erde sitze und kann mir die Sonne durchs Fenster begucken“. Ob derlei von Eva Braun geschrieben wurde oder nicht, wird auch durch die neue Biografie nicht beantwortet.
Politische Aussagen der Frau, die 14 Jahre lang mehr oder weniger eng an Hitlers Seite lebte, sind nicht überliefert. Ob Eva Braun zur Politik bewusst schwieg oder sich nicht dafür interessierte, bezeichnet Biografin Görtemaker aufgrund mangelnder Quellen als schwer zu beantworten: „Aber man sollte sich davon verabschieden, sie als tragische Hörige zu sehen. Sie war eine Frau, die sich durchsetzte.“
Dem steht entgegen, dass Braun sich nicht einmal der Entfernung von zwei Menschen aus ihrer höchstpersönlichen Entourage widersetzen konnte. Einer war ihr Privatfotograf Ernst Baumann, er wurde wegen ihrer zu freizügigen Darstellung an die Front abkommandiert. Ihr Zimmermädchen Anna Plaim musste nach Überprüfung durch Martin Bormann gehen, weil ihre Familie „zu katholisch“ war. Beide Fälle fehlen in der jüngsten Braun-Biografie.

Eva B. im Vorhof der Macht
„Meine Hirschen“

„Hitler wollte keine Mätresse halten, mit deren Hilfe die Fäden in der Politik gesponnen wurden.“ – Diese Analyse von Julius Schaub, über viele Jahre Hitlers persönlicher Adjutant, ist so logisch wie selbstverständlich. Hitler dürfte Eva Braun, deren „Ariernachweis“ er angeblich schon bald nach dem ersten Tête-à-tête sehen wollte, Einmischung in Politisches untersagt haben. Aber war sie seine Mätresse? Seine Geliebte?
Ihre Biografin kommt nach Abwägen diverser Aussagen zum Schluss, es spreche einiges dafür, „dass das intime Verhältnis tatsächlich 1932 begann“. Henriette von Schirach – die Frau Baldur von Schirachs, dem als Wiener Gauleiter die Deportation der Juden nicht schnell genug gehen konnte – habe den Beginn der „Liebesaffäre“ schon mit dem Winter 1931/32 datiert. Damals habe, so Historikerin Görtemaker, für Eva Braun vorerst die „Einsamkeit im Vorhof der Macht“ begonnen.
Die Fotoverkäuferin war 1932, als Hitler den Kampf um Stimmen und Macht auf den Höhepunkt trieb, erst 20 Jahre alt. In seinem engsten Umfeld begannen sich die Satrapen einzurichten: das Ehepaar Speer (Hitlers Architekt), die Bormanns – Martin Bormann war einer der Mächtigsten in Hitlers Umfeld, seine Frau Gerda gebar neun Kinder – und schließlich der ranghöchste NS-Mediziner und „Euthanasie“-Beauftragte Karl Brandt mit seiner Frau Anni, sie trat 1932 in die NSDAP ein.
Sie alle zählten zum inneren Kreis auf dem Berghof, wo Eva Braun anfangs gelegentliche Besucherin war und ab 1936 ständige Mitbewohnerin. Ihr und Hitlers Schlafzimmer waren mit einer Tür verbunden.
Herbert Döhring, der Verwalter des Berghofs, gab später zu, seine Frau habe „extra die Wäsche nachgeschaut, vorm Waschen, wenn Hitler weg war. Nix, nix, nix festgestellt.“
Hitlers Begleitarzt Karl Brandt meinte 1946 gegenüber US-Ermittlern: „Hitler war nicht der komplette Liebhaber, wie er in Evas romantischem Herzen war, aber er war ein Mann, der für sie sorgte.“
Vieles davon, wie Eva Braun auf Kosten der Partei Diners gab und sich mit ihren gut aussehenden Münchner Freunden vergnügte, die sie „meine Hirschen“ nannte, ist bisher unveröffentlicht. Der Historiker und Obersalzberg-Experte Florian Beierl hat Eva Brauns unmittelbare Entourage ausführlich interviewt und arbeitet an einem eigenen Buch – inklusive der höchst aufschlussreichen Fotos von Brauns Leben neben Hitler, von denen viele unpubliziert sind. Der Bestand wurde in der neuen BraunBiografie nicht ausgewertet.
Margarete Mitlstrasser, ausgebildete Hotelfachfrau, war Hausdame für Brauns Privatbereich in München und auf dem Berghof. Sie erzählte Beierl in langen Gesprächen, wie man in Zeiten strenger Lebensmittelrationierung auf dem Schwarzmarkt in München für das „gnädige Fräulein“ etwa Zutaten für Schildkrötensuppe auftrieb. Sie ist laut Beierl neben Brauns Freundin Herta Schneider die Einzige, die tatsächlich Angaben zum Verkehr des ungleichen Paares Braun-Hitler machen konnte. Ihre Informationen wollte sie erst nach ihrem Tod und Ablauf einer Sperrfrist publiziert wissen.
Rochus Misch kam als junger SS-Adjutant 1940 auf den Berghof und war verblüfft ob Eva B., sobald Hitler weg war: „Man hätte die Limousinen noch die Ser­pentinen hinabfahren sehen können, da wurden schon Vorbereitungen für mancherlei Amüsements getroffen.“
Deutschland befand sich im Krieg, die Bevölkerung lebte von Lebensmittelkarten, doch oben auf dem Berg wurde getanzt. Vor allem die knapp 30-jährige Blondine Eva Braun, die ihm als „Hauswirtschafterin“ vorgestellt worden war, verblüffte Misch: Sie schminkte sich, wechselte mehrmals am Tag ihre Garderobe und hielt nichts vom offiziellen NS-Frauenideal. „Natürlichkeit und Bodenständigkeit“ lägen ihr fern, schrieb Misch.
Sie bezeichnete den Berghof als „Grand Hotel“. Viele ihrer Wünsche wurden ohne Wissen Martin Bormanns erfüllt, der Hitlers Privatfonds verwaltete, aus dem auch die üppigen Ausgaben des Fräulein Braun beglichen wurden. Wohl auch deshalb war das Verhältnis zwischen Braun und Bormann nicht immer friktionsfrei.
Im Jahr 1943 schrieb Bormann seiner Frau, sie solle im Fall von Hitlers Ableben den Obersalzberg verlassen, da mit Schikanen vonseiten Eva Brauns zu rechnen sei. Sie antwortete ihrem Mann, der mit Hitler in der „Wolfsschanze“ saß, Eva Braun lasse es sich trotz ständigen Luftalarms nicht nehmen, mit ihren Freundinnen im Königssee zu baden. Auch andere waren wenig amüsiert über die kapriziöse „Hausherrin“: Baldur von Schirach bemäkelte, Braun habe „mit dem neuesten Tratsch und Klatsch aus der Filmbranche“ aufgewartet, bei anderen Themen aber „spielte sie die Gelangweilte, klagte über Migräne, und Hitler tätschelte ihr, während er mit Mitarbeitern sprach, immer wieder besorgt die Hand“.
Hitlers Begleitarzt Hanskarl von Hasselbach erklärte Braun zur Quelle des „niedrigen geistigen und moralischen Niveaus“ am Berghof.
Eva Brauns Biografin hat eine Fülle an derartigen Aussagen zusammengestellt. Dennoch will sie die Version revidieren, die nach Kriegsende von den Beteiligten gezeichnet wurde: jene vom unpolitischen Berghofkreis, in dem ausgespart wurde, in welche Katastrophe Hitler die Welt außerhalb gestürzt hatte.
Die Grenzen zwischen Privatem und Politischem hatten sich auch und gerade am Berghof verwischt. So suchte Emmy Göring, die in einer Villa am Obersalzberg residierte, 1940 den Kontakt zu Eva Braun. Die Einladung zum Kränzchen wurde von Hitler persönlich abgeschmettert. Emmy Görings Annäherung an sein privates Umfeld widerstrebte dem „Führer“, sein distanziertes Verhältnis zu Hermann Göring sollte nicht auf diesem Umweg aufgeweicht werden. Er pflegte aus Angst vor politischer Konkurrenz jenen „Nimbus des Unnahbaren“, von dem sein Biograf Ian Kershaw spricht.
Görtemaker will über das Leben Eva Brauns mit Hitler Einblick in die verborgene und geleugnete Existenz des Diktators schaffen: „Ihre ,Normalität‘ in der Atmosphäre des ,Bösen‘ wirkt wie ein Anachronismus, der auch das Böse in einem anderen Licht erscheinen lässt.“
Die Normalität der Eva B. inmitten des Bösen bestand unter anderem darin, ihre Modefrau samt Schneiderinnen für die Hochzeit der Schwester Gretl mit SS-Mann Fegelein am 3. Juni 1944 aus Berlin kommen zu lassen. Am letzten Tag des Festes, am 6. Juni 1944, begann die Landung der Alliierten in der Normandie.

Ende im Bunker
„Lassen uns nicht lebend fangen“

Der Anfang vom Untergang: Ende September 1944 waren die Privaträume im „Führerbunker“ der Berliner Reichskanzlei fertig gestellt, unter sechs Metern Beton bekam auch Eva Braun einen Raum zugeteilt. Am 26. Oktober verfasste sie ihr Testament, vermachte ihr Hab und Gut an Familie und Freundinnen. „Vater Mercedes Cabriolet 3,2 (Garage Obersalzberg).“ – „Mutter die Hälfte meiner Pelzmäntel, Schuhe nach Wahl, Koffer.“ – „Gretl Smaragdschmuck bestehend aus: 1 Ring Smaragd mit Brillanten umgeben groß, 1 Ring mit Smaragd mit Brillanten umgeben klein (…) 1 Aquarell Adolf Hitler ‚Das Asamerkircherl‘, die Hälfte meiner Kleider, Mäntel, Schuhe, Wäsche usw. außer Pelzmäntel …“ Die Aufzählung füllte Seiten.
Hitler laborierte an den Folgen des missglückten Attentats vom 20. Juli. Noch in der folgenden Nacht waren vier der Verschwörer hingerichtet worden, Hitler gab derweil Order, seine vom Sprengsatz zerfetzte Hose an Eva Braun zu senden. Ende September stand die Sowjetarmee bereits in Ostpreußen. Eva Braun pendelte zwischen Berghof und Berlin. Bis unmittelbar vor Kriegsende bestärkte sie Hitler in seinen Illusionen von einer letzten Wendung. Traudl Junge, Hitlers Sekretärin, nannte das später einen „Treuekomplex“.
Biografin Heike Görtemaker: „Als alles verloren war, stützte Braun Hitlers Wahnvorstellungen, von Verrätern umgeben zu sein, und ging mit ihm gemeinsam auf Verräterjagd.“ Dazwischen vergnügte man sich. Sekretärin Christa Schroeder schreibt über die letzten Wochen in Berlin: „Nun ließen wir, während Hitler Besprechungen hatte, in ihrem Zimmer Platten laufen, tranken ein Glas Sekt, und öfters wurde auch ein Tanz mit den Offizieren, die dienstfrei hatten, eingelegt.“ Am 7. März 1945 zog Braun endgültig im Bunker ein. Henriette von Schirach erklärte Brauns letztes Manöver damit, sie habe endlich „sichtbar für alle neben ihm stehen“ und sich „in Hitlers Tod drängen“ wollen.
An ihre Münchner Jugendfreundin Herta Ostermeier schrieb Braun: „Was soll ich Dir noch sagen? Ich kann nicht verstehen, wie alles so kommen konnte, aber man glaubt an keinen Gott mehr.“ Am 23. April 1945, sieben Tage vor ihrem Selbstmord, ließ Eva Braun ihre Schwester Gretl wissen: „Aber es ist auch selbstverständlich, dass wir uns nicht lebend fangen lassen. (…) Außerdem möchte ich das goldene Armband mit dem grünen Stein noch bis zum Schluss tragen, so wie ich es immer getragen habe. (…) Meine Brillantuhr habe ich unglücklicherweise hier zum Richten gegeben, die Adresse schreib ich unten an. (…) Ich schicke mit gleicher Gelegenheit Ess- und Rauchwaren. Die Zigaretten in München gehören Mandi, ebenfalls die im Koffer befindlichen. Der Tabak ist für Papa. Die Schokolade für Mutti.“
Am 20. April hatte man im Bunker Hitlers 56. Geburtstag begangen, in derselben Nacht hatten russische Soldaten die Berliner Stadtgrenze erreicht. Eva Braun feierte ein letztes Mal in der Reichskanzlei, ohne Hitler, der sich zurückgezogen hatte, aber mit jedem, „der ihr über den Weg lief“ (Traudl Junge). Getanzt wurde zum Zwanziger-Jahre-Schlager „Blutrote Rosen“.
Am 28. April wurde Hermann Fegelein, der Mann von Evas Schwester Gretl, in Berlin wegen Fahnenflucht erschossen. Seine Frau brachte Anfang Mai eine Tochter zur Welt und nannte sie Eva.
In der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945 heiratete der „Führer“ sein „Mädchen“. In seinem privaten Testament heißt es, er habe sich vor „Beendigung dieser ­irdischen Laufbahn entschlossen, jenes Mädchen zur Frau zu nehmen, das nach langen Jahren treuer Freundschaft aus freiem Willen in die schon fast belagerte
Stadt hereinkam, um ihr Schicksal mit dem meinen zu teilen“.
Eva Hitler gab einen letzten Sektempfang, ihre Ehe dauerte kaum 40 Stunden: Am Nachmittag des 30. April, zwischen 15 und 16 Uhr, zerbiss sie eine Blausäurekapsel, Adolf Hitler schoss sich nach der Einnahme von Gift in den Kopf. Die Leichen des Paars wurden verbrannt, ihre Überreste verscharrt.
Wenige Stunden vor dem Suizid hatte Hitler noch sein „politisches Testament“ verfasst. Sein letzter Auftrag: „Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen (…) das internationale Judentum.“
War es möglich, dass die Frau, die 16 Jahre an Hitlers Seite gelebt hatte, von den Verbrechen des Nationalsozialismus nichts wusste? In ihrer Biografie bleibt Heike Görtemaker eine Antwort schuldig: „Die Frage, ob sie vom Holocaust wusste, bleibt letztlich ungeklärt.“

„Wollen Sie den totalen Kuchen?“
Mythos.
Eva Braun, Hitler, Fälschungen, Satire und die Popkultur.

Die Leerstelle, die Hitlers abgeschirmtes Privatleben ließ, musste gefüllt werden, und sei es mit dem „Klatsch aus tausend Jahren“, wie Literaturwissenschafter Marcel Atze in Anspielung auf die NS-Propaganda vom „Tausendjährigen Reich“ schreibt. Atze geht in seiner Studie „Unser Hitler“ den literarischen Spuren des Hitler-Mythos nach, der gerade in Bezug auf Privates eindeutig zweideutig ausfällt: „Hitler privat bedeutete häufig, sich mit dessen Sexualverhalten zu beschäftigen.“ In der Spekulation über das Liebesleben Hitlers wurde zwangsläufig auch seine Geliebte zum Faszinosum: Schon 1948 erschienen ­„intime Tagebücher“ der Eva Braun, die angeblich aus dem Besitz Luis Trenkers stammten. Dass sie gefälscht waren, tat ihrer Wirkung keinen Abbruch – die darin beschriebene nackt tanzende Leni Riefenstahl und die lederne Unterwäsche Eva Brauns brannten sich ins kollektive Gedächtnis ein.
Aber auch für edlen Kitsch taugte der Mythos Eva: Erich Maria Remarque führt in seinem Drehbuch zu G. W. Papsts Film „Der letzte Akt“ (1955) Hitlers Mätresse – gespielt von Lotte Tobisch – durchaus ironisch als naives Ding und besorgtes Hausmütterchen vor, das Hitler zu seinem letzten Geburtstag im Bunker Schweinsohren und Tee serviert („Komm, du hast heute viel durchgemacht“) und sich über den Kriegsverlauf ihre ganz eigenen Gedanken macht: „Hätte ich gewusst, dass Paris in die Hände der Feinde fallen würde, hätte ich vorgesorgt und ein paar Dutzend Kleider bestellt.“
Die subtile Ironie dieser Szenen kam beim damaligen Publikum nicht an; aber auch 30 Jahre später tat man sich schwer im popkulturellen Umgang mit dem Mythos Eva: Als die linke Punkband Die Ärzte eine gewisse „Eva Braun“ besang („Sie hatte ein klassisches Profil, bis auf ihre Nase / Ihr Alabasterleib brachte mich immer wieder zur Ekstase, Heil, heil, heil“), fand das Stück bei Neonazis Anklang – und wurde aus dem Repertoire genommen. 1992 erschien Alice Schwarzers Zeitschrift „Emma“ mit angeblich entdeckten „Eva-Braun-Tagebüchern“ auf dem Cover. Die Satire – Joseph Goebbels fragt: „Wollen Sie den totalen Kuchen?“ – wurde selbst von deutschen Feuilletonisten nicht durchschaut.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.