Leitartikel: Herbert Lackner

Der Haussegen bleibt schief

Der Haussegen bleibt schief

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Irgendwann im September 1999 legten von der ÖVP beauftragte Meinungsforscher Parteiobmann Wolfgang Schüssel eine deprimierende Umfrage vor: Bei den bevorstehenden Nationalratswahlen, so ihr Befund, könnte die Volkspartei unter die 22-Prozent-Marke rutschen.
Eine erschütternde Nachricht. 13 Jahre lang hatten gestandene Profis – Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek und Wolfgang Schüssel – als Juniorpartner in der von SPÖ-Kanzlern geführten Koalition schwere Gewichte mitgestemmt: die Bewältigung der Turbulenzen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, den Bürgerkrieg im benachbarten Jugoslawien, die gewaltigen Migrationsströme, den Rückzug aus der verstaatlichten Industrie, den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Und das alles im Abwehrkampf gegen den in vollem Saft stehenden Rechtspopulisten aus Kärnten. Natürlich hatte es auch in der großen Koalition der neunziger Jahre immer wieder Reibereien gegeben. Aber in den wichtigen Fragen stand man zusammen – oft zu eng, wie schon damals viele in der ÖVP meinten.

26,9 Prozent wurden es dann 1999 für die ÖVP doch noch, aber nur dank Schüssels taktischer Drohung, die ÖVP würde als drittstärkste Partei in Opposition gehen.

Jeder dritte Wähler war der ÖVP in den 13 Jahren abhandengekommen, in der sie in einer großen Koalition mit sozialdemokratischen Kanzlern den meist konstruktiven Juniorpartner abgegeben hatte. Dem innersten Kreis der ÖVP um Wolfgang Schüssel war nach der trickreichen Übernahme der Kanzlerschaft im Februar 2000 deshalb klar: So darf die ÖVP nicht mehr agieren, sollte es sie je wieder als Nummer zwei in eine von den Roten geführte Regierung verschlagen.

Angewandte Politik wurde das seit dem Eintritt der ÖVP ins Kabinett Gusenbauer I. im Jänner 2007: Kein Erfolgserlebnis für den Kanzler, heißt die Devise. Die bizarren Ausbuchtungen solcher Politik zeigt die gegenwärtige Pflegedebatte, in der die ÖVP begeistert ein Gesetz bekämpft, das sie erst vor wenigen Wochen auf allen Ebenen mitbeschlossen hat.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Hätte nicht eine Laune der Geschichte der SPÖ im Oktober 2006 ein paar Prozentpünktchen mehr zukommen lassen als der Volkspartei, würde ein Vizekanzler Gusenbauer heute nicht wesentlich anders agieren. Es darf nicht vergessen werden, dass eine zum Greifen nahe Lösung in der Kärntner Ortstafelfrage im Frühsommer 2006 an der SPÖ scheiterte, weil diese dem ÖVP-Kanzler nicht just in einem Wahljahr diesen historischen Triumph gönnen wollte.

Der alte Merksatz der Innenpolitik, wonach große Lösungen nur von großen Koalitionen gefunden werden können, hat sich somit in sein Gegenteil verkehrt. Große Koalitionen schaffen netten Kleinkram: eine Pensionserhöhung, die der Inflationsrate wenigstens nahekommt; eine „Bildungsreform“, die vorerst darin besteht, dass im nächsten Jahr drei Prozent der Zehnjährigen versuchsweise eine Gesamtschule – ’tschuldigung: „Neue Mittelschule“ – besuchen. Und demnächst dürfen Homosexuelle heiraten, wobei aber voraussichtlich jedwede Feierlichkeit per Gesetz untersagt wird, weil dies der ÖVP nicht zuzumuten wäre.

Ist es da realistisch zu erwarten, dass die großen Dinge angegangen werden? Kann eine Regierung in diesem Klima kluge Wege zur Finanzierung des Gesundheitssystems finden (und das noch dazu im Sauseschritt, denn die Kassen sind leer)? Wie soll eine so große Verwaltungsreform gelingen, die an der Schnittstelle von Bund- und Länderkompetenzen wild wuchernde Bürokratien kappt? Eine solche Regierung soll jene schmerzhaften Maßnahmen beschließen, durch die allein die Kioto-Ziele für den Klimaschutz bis 2012 zu erreichen wären, wie das der Kanzler in seiner Regierungserklärung versprochen hat?

Diese gewaltigen Aufgaben müssten noch dazu bei schwerer See bewältigt werden: In den kommenden 30 Monaten werden in allen Bundesländern die Landtage neu gewählt, finden die Europawahlen, die Bundespräsidentenwahlen und in fast allen großen Städten die Bürgermeisterwahlen statt. Und Wahlen bewirken in Parteien immer eine Art von Hysterie.

Viel ist also nicht mehr zu erwarten.

Tragischerweise ist das Regierungsbündnis zwischen SPÖ und ÖVP auf absehbare Zeit alternativlos: Die Grünen sind als Mehrheitsbeschaffer zu schwach, die FPÖ unter dem Wehrsportler H. C. Strache macht ohnehin lieber in der Opposition Radau, und dass es das inzwischen noch welkere BZÖ nicht kann, wurde bereits eindrucksvoll bewiesen.

Womit wir wieder bei jener Idee wären, die angesichts so trüber Per-spektiven immer wieder aufglimmt: ein Mehrheits-wahlrecht, das der stärksten Partei 50 Prozent plus einen Sitz im Nationalrat zugestehen würde. Ein solches Wahlrecht hätte viele problematische Seiten, aber einen wirklich überzeugenden Vorteil: Es gäbe nie wieder eine große Koalition.