Peter Michael Lingens

Der nächste Holocaust

Der nächste Holocaust

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In einem Interview mit dem „Standard“ warnt der deutsche Publizist Henryk Broder vor einem neuen Holocaust – diesmal ausgehend vom Iran, dessen Präsident Mahmoud Ahmadinejad ihn offen predigt.

Ich sehe dieses Risiko ähnlich, nur würde ich den potenziellen Täterkreis nicht auf den Iran oder die von ihm hochgerüstete Hisbollah beschränken: In allen an Israel grenzenden oder nur die Flugbahn einer Mittelstreckenrakete von ihm entfernten Ländern gibt es nach meiner Überzeugung in der Bevölkerung eine breite Bereitschaft zur „Endlösung“ des Israel-Problems.

In seinem Bestseller „Hitlers willige Vollstrecker“ hat der Soziologe Daniel Goldhagen die Voraussetzungen für den Holocaust analysiert: Er war möglich, weil nicht nur unter ein paar wahnsinnigen Fanatikern, sondern in der breiten Bevölkerung ein antisemitischer Konsens herrschte: „Der Jude ist übel“ – schuld an Ausbeutung und Armut, an der Zersetzung der Werte unseres Volkes und an seiner Bedrohung durch den sowjetischen Bolschewismus.

Keineswegs nur Adolf Hitler, Heinrich Himmler oder dessen SS waren dieser Ansicht – sondern die Mehrheit der Deutschen und Österreicher hat das ehrlich geglaubt.

Goldhagen belegt seine These mit Fallstudien, die bisher von keinem Historiker widerlegt werden konnten. Etwa dem Beispiel des Polizeibataillons 101, das mit Reservisten auf seine Sollstärke von etwa 500 Mann aufgefüllt wurde, sodass es in seiner Zusammensetzung weit gehend dem deutschen Durchschnitt entsprach: etwas weniger Arbeiter als in der damaligen deutschen Bevölkerung, etwas mehr kleine und mittlere Angestellte, etwas mehr Studenten und Akademiker.

Nur ein Drittel dieser Männer gehörte – wie in ganz Deutschland – der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen an. Es handelte sich also keineswegs um eine ideologische Auslese.

Dennoch haben die Mitglieder dieses Bataillons in Polen Tag für Tag hunderte, in Summe abertausende Juden erschossen. Obwohl sich gleich die erste Aktion vor allem gegen Frauen und Kinder richtete. Obwohl ihnen der Bataillonskommandant nachweislich und unbestritten freistellte, nicht daran teilzunehmen. Ganze zwölf Männer machten von diesem Recht Gebrauch.

Bei den nach dem Krieg durchgeführten Verhören versuchten die Teilnehmer gar nicht erst, sich auf Befehlsnotstand auszureden: Ihr Motiv war im Grunde das gleiche, mit dem die deutschen KZ-Ärzte gegenüber meiner Mutter die Gaskammern begründeten: „Die Juden sind der eitrige Blinddarm Europas. Gerade wenn man ein Arzt ist, schneidet man ihn heraus.“

In der arabischen und in Teilen der moslemischen Welt herrscht exakt diese Einstellung gegenüber Israel. Es gibt in der Bevölkerung einen so breiten antiisraelischen Konsens, dass der nächste Holocaust von einem Ahmadinejad jederzeit ausgelöst werden kann.

Anders als der deutsch-österreichische Antisemitismus, der auf 2000 Jahre christliche Tradition zurückblicken kann, ist der arabische neueren Datums:

• Zumindest durch die letzten hundert Jahre fühlen sich Araber und/oder Moslems als Hauptverlierer einer von Ungläubigen und/oder Christen dominierten Entwicklung. Völker, die mit Recht von sich behaupten, an der Wiege unserer Kultur und aller Wissenschaften gestanden zu sein, sind teilweise arm wie Entwicklungsländer. Der „Westen“ hat sie in allen Belangen so weit überholt, dass sie keine Chance zum Aufholen sehen.

• Statt sich zu fragen, ob nicht gewisse Interpretationen des Islam an diesem Rückstand Mitschuld tragen, erliegen sie (wie die Christen angesichts der Herausforderungen des Spätmittelalters) der Versuchung des Fundamentalismus: Schwelgen in neiderfülltem Hass gegen die „neue Welt“ (nicht zufällig Synonym der USA) und gegen alle, die den falschen Glauben haben.

• Israel ist die Speerspitze dieser „neuen Welt“ in ihrem Fleisch: demokratisch, hedonistisch, wirtschaftlich weit überlegen und von den USA hochgerüstet.

Gleichzeitig ist das Judentum natürlich auch im Verhältnis zum Islam der „falsche“ Glaube. Auch wenn die Moslems den Juden immerhin nicht vorwerfen, Allah umgebracht zu haben, werden sie im Rahmen eines islamischen Fundamentalismus in einen Topf mit den Ungläubigen oder mit jenen Christen geworfen, die schon als Kreuzritter über die Moslems hergefallen sind.

• Last, but not least haben die antiisraelischen Gefühle, anders als die antisemitischen im Dritten Reich, eine Basis in der Realität: Damit Israel entstehen konnte, wurden ja tatsächlich Palästinenser ausgekauft, enteignet und zum Teil vertrieben. Nicht, dass nicht genügend Platz wäre, dass Juden und Palästinenser gemeinsam in diesem Raum leben könnten – aber einfacher als jeder Kompromiss eines Mahmoud Abbas ist der Fundamentalismus eines Mahmoud Ahmadinejad oder der Hisbollah.

Israel kann (muss) den Krieg gegen diese Hisbollah vermutlich gerade noch gewinnen. Doch den aufgestauten Hass der arabischen und teilweise islamischen Welt kann es höchstens noch durch ein Wunder auf ein ungefährliches Maß reduzieren: Er ist so ubiquitär wie der Antisemitismus im Dritten Reich – und gerade jeder militärische Erfolg steigert ihn weiter.

Wenn die Dinge so weitergehen, wie sie das derzeit tun, werden irgendwann ein paar hundert Millionen Araber beziehungsweise Moslems hasserfüllt sieben Millionen Juden vernichten.