Der Hutbürger

Der Hutbürger und zwei ziemlich beste Freunde

Gastkommentar. Gerhard Hirschmann verteidigt seine Heimat Graz

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Von Gerhard Hirschmann

Zugegeben, die österreichische Titelsucht kann schon einmal auch ein Kollektiv überkommen. Von der „Stadt der Menschenrechte“ bis zur „City of Design“, von der „LED-Pilotregion“ bis zur „Metropole der E-Mobilität“ kauften und hamsterten die Grazer Stadtoberen allerlei schmucke Titel über die Jahre hinweg zusammen.

Das alles hat natürlich eher wenig mit der gelebten Realität zu tun. Besondere Menschenrechtsaktivitäten wurden bislang noch nicht registriert. Dass die „City of Design“ nur eine Anzahlung auf die Zukunft sein kann, entzieht sich wohl kaum einem auch noch so ungeschulten Auge.
Ein bisschen stottert’s da noch. Als der rührige Chef der städtischen Freizeitbetriebe das „Café Rosenhain“, eine ziemlich abgefuckte Bude auf einem der schönsten Plätze der Stadt, endlich redesignen wollte, konnte er nicht wissen, dass gleich ein paar tausend Bürger einen Luxusschuppen befürchteten.

Die Stadtregierung reagierte prompt und einfühlsam volksnah: Der Umbau erfolgt jetzt mit umfassender Bürgermitbestimmung! Na endlich: Architektur im öffentlichen Raum via Volksdemokratie. Dass sich der anspruchsvolle Designgedanke noch nicht bis in alle Lebensadern der Stadt verbreitet hat, trägt die zur Abrundung der Sicherheitspolitik der Stadt installierte „Ordnungswache“ beeindruckend zur Schau: Im Vergleich dazu schillern die Uniformen der städtischen Bestattung wie bunte Vögel, und die Ordnungshüter verbreiten ganz ohne Bewaffnung genügend Angst und Schrecken.

"Metropole der E-Mobilität"
Die mehrmals angekündigte Umstellung der öffentlichen Beleuchtung auf LED wäre eine Möglichkeit, alle Straßen besser auszuleuchten und das unbestritten schönste Altstadtensemble Österreichs in neuem Glanz erscheinen zu lassen. Von der enormen Einsparung an Energie und Kosten gar nicht zu reden! Allein, während mittlerweile Dutzende steirische Städte, Märkte und Dörfer diesen Schritt bereits vollzogen haben, verharrt die bis knapp vor der Wahl grün mitregierte Stadt im ausgiebigen Planungsstadium. Und in der „Metropole der E-Mobilität“ sind Elektroautos etwa so häufig anzutreffen wie die blaue Mauritius im Hauptpostamt.
Man kann aber nicht sagen, dass die grüne Regierungsbeteiligung nichts gebracht hätte: jedenfalls einiges an Erfahrung und den Nachweis, dass der Feinstaub tatsächlich aufs Hirn gehen kann. Da wurde ein tadellos funktionierender Kreisverkehr im Universitätsviertel um viele hunderttausend Euro in einen ziemlich hässlichen „shared space“ umgewandelt.

Auf einem anderen Platz wurden Verkehrsinseln hin- und dann wieder retourgebaut! Keynesianismus für Arme! Auf der Großbaustelle beim Hauptbahnhof wurden die ohnedies spärlichen Halteplätze nochmals reduziert, um alle jene, die eh mit der Bahn fahren – hin und wieder aber eben dort abgeholt werden möchten –, auch noch zu verärgern. Dafür wird aber der Klimawandel in Graz ganz energisch im Winter mit dem Verbot von ein paar hundert Heizschwammerln bekämpft.
Schade eigentlich um Schwarz-Grün, das hätte ja auch etwas werden können! Aber das ist ja bekannt, wenn man vor lauter Bäumchen den Wald nicht mehr sieht. Anlässlich dieser vergebenen Chance muss man mit Wehmut an den profiliertesten Stadtpolitiker der Zweiten Republik, den 1991 mit 52 Jahren leider früh verstorbenen Erich Edegger erinnern. Er wusste, dass Visionen ohne Tatkraft rasch zu luftigen Illusionen degenerieren.

Futuristische Verhaltensauffälligkeit
A propos Wahlen: Graz genießt ja den Ruf einer gewissen futuristischen Verhaltensauffälligkeit bei Wahlen. Nun, der vielerorts bestaunte KPÖ-Erfolg (knapp 20 Prozent) ist vor Ort schon lange keine Überraschung mehr. Vielmehr zählt es zu den unergründbaren Strategiegeheimnissen der Langzeitregierer, warum sich in einer Region mit einem Zuwachs von rund 1000 Einwohnern pro Monat niemand außer eben der KPÖ massiv um das Kardinalthema „Wohnraum“ annimmt.

Und rein von den Zahlen her lässt sich einfach festhalten: Die Schröck-SPÖ (15 Prozent) plus KPÖ (20 Prozent) ergibt die Stingl-SPÖ in besseren Tagen. Was wiederum die vage Vermutung in Restösterreich befeuern könnte, dass links von der SPÖ sich geradezu Abgründe auftun.
Das bedauerlich Nachhaltigere dieses Urnengangs traf diesmal vor allem den „schönen Siegi“ (Nagl), den Vorsitzenden des Bürgermeister-Wahlvereins der ÖVP. Obwohl deutlich Stimmenstärkster, hatte er diesmal einen unüberwindbaren Gegner: den Hutbürger. Der Hutbürger hat die Metamorphose von einem einigermaßen pflichtbewussten Demokraten zum Wutbürger einfach übersprungen. Sein Motto: „Ich bin dann einmal weg!“ Der Hutbürger verachtet die Politik als totgerittenen Gaul, zieht den Hut in die Stirn und feiert diese Perspektivenverengung noch als souveränen Akt postdemokratischer Überlegenheit.

Der dauerfrustrierte, wohlstandsverwöhnte Hutbürger treibt’s natürlich nicht nur in Graz, aber er hat einfach ­ideale Lebensbedingungen in dieser außergewöhnlich gewöhnlichen Stadt. Frei nach Karl Kraus funktioniert hier einfach fast alles: nicht nur die Klospülung und die Müllabfuhr. Vom kompakten Angebot vielfältiger Bildungseinrichtungen über die Krankenversorgung bis zur Pflege älterer Mitbürger auf höchstem europäischem Niveau – natürlich fragt man sich immer lauter, wie lange wir uns all das schon nicht mehr leisten können.

Ja, es wird kaum eine 300.000-Einwohner-Stadt in Europa zu finden sein, die eine derartige Vielzahl an Universitäten, Fachhochschulen, Akademien und kulturellen Einrichtungen aufzuweisen hat wie Graz. Das Angebot ist üppig: von einer florierenden Kleinkunst-, Kabarett- und Theaterszene bis zur Musikhochschule; vom überaus ambitionierten Schauspielhaus und Kunsthaus über das modern adaptierte „Joanneumsviertel“ bis zur Oper. Dort gibt es neben beachtlichen Produktionen zumindest einmal im Jahr eine Möglichkeit für die SUV-bewaffneten Gattinnen aus den bürgerlichen Villenvierteln, ihre Kleidchen und Roben, die sie beim Billigflug nach Paris erstanden haben, zur Schau zu stellen: bei der „Opernredoute“.

Mit dem Festival „La Strada“ und der „Styriarte“ mit ­Maestro Nikolaus Harnoncourt spielt Graz sogar in der Champions League des europäischen Kulturbetriebs, weithin von (inter)nationalem Publikumsandrang „verschont“, weil das ­heimische Bürgertum den Heimvorteil beim Kartenverkauf exzessiv nützt. Graz hat und braucht auch keine Gucci- oder Louis-Vuitton-Läden, hier werkt und wirkt Lena Hoschek. Notfalls kann man ja auch einmal in die Bundeshauptstadt aufbrechen. In Zukunft vielleicht sogar mit der Bahn, seit Erwin der Gütige doch noch grünes Licht für einen Semmeringtunnel gegeben hat.

Graz hat zwar mit dem „Schlossberghotel“ des Red-Bull-­Racing-Meisters Helmut Marko das schönste Kunst- und Stadthotel Österreichs, aber keinen Tempel einer internationalen Kette. Die Steirer-Hauptstadt liegt mittlerweile in der Gäste­statistik souverän an der steirischen Spitze, aber ein Gedränge wie in der Salzburger Getreidegasse gibt es nur beim weiß-grünen „Aufsteirern“, beim immer wieder rekordgezählten ­Faschingsumzug oder wenn halt Sebastian Vettel auf einen Flitzer vorbeischaut. Die unübertreffliche Lebensqualität – Feinstaub hin, Feinstaub her – erfordert eben eine gewisse Nachhaltigkeit.
Vis-à-vis vom Grazer Dom residieren die Burgherren Franz Voves und Hermann Schützenhöfer, zwei inzwischen ziemlich beste Freunde. Sie haben nach einer Aufwärmrunde erkannt, dass das politische Suizidmodell „Opposition in der Koalition“ das Land in den Abgrund führt. Hallo Herr Faymann und Spindelegger! Die steirische „Reformpartnerschaft“ ist der gelungene Nachweis, dass auch in Tagen wie diesen Politik als Gestaltung möglich ist. Notwendig sowieso. Vielleicht kapiert’s sogar der Hutbürger?!
PS: Wenngleich Thomas Bernhard zuzustimmen ist, in Graz muss man nicht gewesen sein, wer aber einmal hier war, kommt gerne wieder oder bleibt überhaupt.

Gerhard Hirschmann, 61, selbstständiger Unternehmer, ehemaliger Landesrat und Klubobmann der steirischen ÖVP, 2005 Gründung der „Liste Hirschmann“.