Der Hype um Carla Brunis neue CD
Im östlichen Sibirien dürfte sich die Geschichte von der singenden First Lady noch nicht herumgesprochen haben, der Rest der Welt befindet sich hingegen in heller, einhelliger Aufregung. Von Grönland und den Seychellen, aus Westafrika, Indonesien, selbst Österreich trudeln beglückte Grußbotschaften ein die aktuelle Besucherstatistik auf Carla Brunis MySpace-Seite deutet auf eine einigermaßen weltumspannende Fangemeinde hin. Gegenüber dem Durchschnittspopstar verfügt Madame Bruni, 40, allerdings auch über einen sicheren PR-Vorteil: Als ehemaliges Supermodel und aktuelle Gattin des französischen Präsidenten baut man auf einer nicht ganz unerheblichen Medienpräsenz auf ein Hype auf hohem, höchstem Niveau. In Frankreich wurde Brunis drittes Album Comme si de rien nétait, das am vergangenen Freitag unter größtmöglichem Getöse veröffentlicht wurde, zur regelrechten Haupt- und Staatsaffäre hochgejubelt, inklusive mehrseitiger Tageszeitungsinterviews und Produktpräsentation in den TV-Hauptnachrichten. Die Medienresonanz im Rest der Welt fiel nur geringfügig bescheidener aus. Comme si de rien nétait ist das Spektakel der Saison. Und dabei ziemlich unspektakulär.
Funkelnde Differenz. Aber das Unspektakuläre hat im musikalischen Werk der Carla Bruni System als Kontrast zu einem spektakulären Leben: Mit dem Selbstbewusstsein der Jetsetterin zelebriert die italienische Industriellentochter verschüchtertes Understatement, mit der Gravitas des Weltstars singt das Supermodel vom kleinen, wenig glamourösen Alltag. Schon mit ihrem Debüt als Chanteuse, Quelquun ma dit (2002), brachte Bruni genau diese Differenz zum Funkeln: zarter, hingehauchter Gesang, sparsam gezupfte Gitarre, mal frivole, mal naive Texte wenig Substanz, zwei Millionen verkaufte Exemplare. Mit ihrem zweiten Album, dem Anfang 2007 veröffentlichten No Promises, wurden die planvollen Gegensätze verschärft: Die Lebefrau, das oberflächliche Mannequin, vertont englische Hochlyrik von Dickinson bis Yeats. Was nach prätentiösem Manierismus klingt, erwies sich als erstaunlich eigensinnig und fand einen adretten Mittelweg zwischen Leonard Cohen und französischem Chanson, der Tiefgang nicht bloß vortäuschte, sondern zuweilen sogar erreichte. Trotzdem blieb die Musik nur der Hintergrund für ein Image, oder vielmehr: einen Imagebruch. Comme si de rien nétait treibt dieses Spiel nun auf den Höhepunkt.
Denn genau darin besteht Pop in seiner reinsten, funkelnden Form: in der Aufladung des Banalen mit Bedeutung; welcher, ist letztlich irrelevant. Nicht das Werk zählt, sondern das Beiwerk. In diesem Fall besteht es aus Kontrasten, aus doppelten und dreifachen sogar: das Model als Popstar, das Model als First Lady, die First Lady als Popstar. Dass die Substanz dabei auf der Strecke bleibt, ist egal: Comme si de rien nétait wird weder die Popmusik noch das Leben seiner Hörer verändern, sondern allenfalls das Bild der Carla Bruni verstärken, wie sie sich als ewig juvenile Mittelschülerin geriert, die mit Akustikgitarre und tiefsinnigem Blick Gymnasiastenlyrik vertont, dabei ein Poesiealbum für Erwachsene ausmalt, als eine Norah Jones des Chansons. Nicht, dass das keinen Charme hätte. Relevanz hat es keine. Comme si de rien navait été: Als ob nichts gewesen wäre.
Von Sebastian Hofer