Ewiger Kämpfer Oscar Bronner

Der ewige Kämpfer Oscar Bronner

Zum Jubiläum gibs erste Biografie

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Im Haus sagt man, Oscar Bronner benütze den kleinsten, langsamsten und daher von der Belegschaft gemiedenen Lift, um in sein Büro zu gelangen. Und er habe das Konferenzzimmer gleich neben sein Büro verlegt, damit er nur ja nicht über den Gang gehen muss. Denn Bronner treffe nicht gerne Menschen.

In Wahrheit war das Sitzungszimmer immer dort, und Bronner benützt gar keinen Lift, sondern die Stiege. Aber das Bild des menschenscheuen Einzelgängers – auch wenn es ganz so nicht stimmen mag – passt zu einem, der ein so irritierend ungewöhnliches Leben hinter sich hat. Rechtzeitig zum 20-Jahr-Jubiläum des „Standard“ und einige Monate nach seinem 65. Geburtstag erscheint diese Woche ein Buch über Oscar Bronner. Geschrieben wurde es von zwei Journalisten – Eva Weissenberger, Innenpolitikerin der „Kleinen Zeitung“, und Klaus Stimeder, Herausgeber des Magazins „Datum“. Bronner hat das Buch nicht „autorisiert“, aber er hat das Manuskript quergelesen, um die Autoren auf allfällige Fehler hinzuweisen. Dass diese dem notorischen Zeitungsgründer („trend“, profil und „Der Standard“) mit einiger Sympathie, aber auch mit großer Neugier gegenüberstehen, liegt nahe.

Bis in westgalizische Schtetl des 19. Jahrhunderts haben Weissenberger und Stimeder die Spuren der Bronners verfolgt. Sie stießen auf David Leib Bronner, Oscars Urgroßvater, der in Oswiecim einen Laden betrieb. Der Ort sollte später unter seinem deutschen Namen allen Schrecken eines Jahrhunderts in sich tragen: Auschwitz. Oscar Bronners Großeltern und Vater Gerhard sind schon in Wien geboren. 1938, beim Einmarsch der Nazis, flieht Gerhard Bronner 15-jährig mutterseelenallein über Brünn und London nach Palästina. Seine Eltern werden 1942 aus ihrer Wohnung beim Karmelitermarkt in der Wiener Leopoldstadt geholt, ins weißrussische Mali Trostinec verschleppt und dort sofort nach der Ankunft erschossen. Im Jänner 1943 ruft der als Schaufensterdekorateur in Haifa lebende Bronner einen ebenfalls vor den Nazis aus Wien geflohenen Freund an, den späteren Magnum-Fotografen Erich Lessing. Er möge doch bitte seine Frau Lisbeth und das Baby aus dem Spital holen, bittet Bronner den Autobesitzer Lessing. Der Bub bekommt den Namen Oscar – nach dem verstorbenen Bruder Gerhard Bronners.

1948, kurz vor der Gründung des Staates Israel, verlassen die Bronners Haifa, weil Gerhard Bronner ein Angebot der BBC in der Tasche hat. Zielort ist London. Man will nur kurz in Wien vorbeischauen, um die aus der Emigration zurückgekehrten Eltern Lisbeths zu besuchen – und man bleibt hängen.

Kinderzimmer. Die junge Familie nimmt Quartier am Passauer Platz in der Innenstadt, gleich nebenan wird Oscar Bronner genau vierzig Jahre später die erste „Standard“-Redaktion unterbringen. Gerhard und Lisbeth bekommen einen Job in der Marietta-Bar, er als Sänger, sie als Kellnerin. In der Wohnung, die sich zunehmend mit allerlei Künstlern füllt, werden oft Sketches und Lieder erarbeitet. Ein 25-jähriger Kabarettist mit Wohnungsproblemen namens Helmut Qualtinger wird sogar zu Oscar ins Kinderzimmer einquartiert. „Er hat mit mir damals nicht geredet wie mit einem Siebenjährigen, sondern wie mit einem Erwachsenen. Das hab ich schon als Stöpsel sehr geschätzt“, erinnert sich Oscar Bronner im Buch.
Vorübergehend zieht die Familie nach Hamburg, dort zerbricht die Ehe zwischen Gerhard und Lisbeth. Nach der Rückkehr nach Wien wird Gerhard Bronner zum Star. Oscar Bronner, der 1961 maturiert, ist sich bezüglich seiner weiteren Karriere noch nicht im Klaren. Manchmal hilft er bei den Auftritten seines Vaters aus. In Prag, im berühmten „Theater am Geländer“, kommt er mit einem anderen Bühnenhelfer namens Vaclav Havel ins Gespräch. In Wien versucht er es erst einmal im Journalismus. Franz Kreuzer, der Chefredakteur der „Arbeiter Zeitung“, verschafft ihm ein Volontariat in der Chronikredaktion. Drei Monate später wechselt Bronner zu Fritz Moldens „Express“ und darf einen leibhaftigen Finanzminister, den späteren ÖVP-Kanzler Josef Klaus, interviewen.

Zur gleichen Zeit veröffentlicht der damals 24-jährige Parlamentssekretär Heinz Fischer im SPÖ-Theorieorgan „Zukunft“ Mitschriften seines Freundes Ferdinand Lacina aus den Vorlesungen des Welthandels-Professors Taras Borodaikjewycz: antisemitische Tiraden der übelsten Sorte. Fischer wird wegen Beleidigung verurteilt, weil er vor Gericht nicht Lacinas Namen nennt. Drei Jahre später spricht er seinen Bekannten Oscar Bronner auf die Sache an: „Du, dein Vater macht doch diese Fernsehsendung …“ Sofort gehen Oscar und Gerhard Bronner an die Arbeit: In einem Sketch in der Sendung „Zeitventil“ lesen Schauspieler die Originalzitate des Nazi-Professors aus Lacinas Mitschrift. Die Folge sind wilde Straßenschlachten zwischen Antifaschisten und Borodaikjewycz-Anhägern, bei denen ein alter Widerstandskämpfer von einem Neonazi erschlagen wird.

Oscar Bronner hat sein Thema gefunden. In Friedrich Torbergs Zeitschrift „Forvm“ veröffentlicht er viel beachtete Artikel über den zu lächerlich geringer Strafe verurteilten Eichmann-Gehilfen Franz Novak und deckt die NS-Vergangenheit hoher österreichischer Richter auf. Aber der praktische Journalismus ist nicht seine Sache. Er gründet gemeinsam mit Mariusz Demner eine Werbeagentur, aus der nicht viel wird. 1969 trägt er sich mit dem Gedanken an ein Magazin: Etwas Respektloses sollte es werden, aber gescheit. Sein Freund Karl Schwarzenberg, heute tschechischer Außenminister, gibt ihm ein kleines Darlehen. Den Journalisten, die er zusammentrommelt – Jens Tschebull, Hans Rauscher, Erhard Stackl, Georg Waldstein –, zahlt er Hungerlöhne: Wie später beim „Standard“ gibt er ihnen zu verstehen, die Teilnahme an einem so tollen Projekt sei quasi Lohnbestandteil. Am 1. Jänner 1970 erscheint erstmals der „trend“. Innerhalb von nur sechs Monaten erreicht das Magazin die sensationelle Auflage von 36.000, obwohl es zu einer Zeit, in der die Tageszeitungen um einen Schilling zu haben waren, bereits 25 Schilling kostete.

Rotzfrech. Die inserierenden Firmen machen eine frappierende Erfahrung: Inserate schützen nicht vor kritischer Berichterstattung. AUA und Creditanstalt stornieren ihre Aufträge. Bronner macht weiter und bereitet die Gründung eines zweiten Magazins vor. Wieder sammelt er zuerst eine Redaktion – Peter Michael Lingens, Helmut Voska, Georg Nowotny – und stellt dann das Geld auf. Diesmal kommt ein Kredit von der Girozentrale, deren Chef Josef Taus eine Leidenschaft für Zeitungen hegt. Am 7. September 1970 erscheint erstmals profil mit einer Titelgeschichte über die FPÖ und einer Analyse des ersten Budgets des jungen Finanzministers Hannes Androsch.

Rotzfrech bis zur Geschmacklosigkeit mischt das Magazin die Verhältnisse auf, wird wiederholt beschlagnahmt und hat die ersten internen Konflikte auszustehen. Die Mitarbeiter verlangen eine Beteiligung am Unternehmen, wie sie Rudolf Augstein kurz zuvor den „Spiegel“-Redakteuren zugestanden hatte. Als Bronner dies verweigert, droht die Redaktion zu zerfallen, wozu die Konkurrenz – allen voran der „Kurier“ – kräftig beiträgt. Innerredaktionell begehrt eine feministisch inspirierte Frauengruppe um Trautl Brandstaller, Ursula Pasterk und Sigrid Löffler auf. In diesen schweren Zeiten hat Oscar Bronner mit Marianne Krupicka selbst eine starke Frau an der Seite: eine junge Sängerin, die in Vater Gerhards Fledermaus-Bar auftritt und unter dem Namen Marianne Mendt Karriere machen wird.

„trend“ und profil gewinnen zwar ständig Leser, Geld bringen die Hefte nicht. 1974 gibt Bronner auf und verkauft an den „Kurier“. Er ist jetzt reich und kann machen, was er will. Die nächsten 13 Jahre verbringt er als Maler in einem Loft in Manhattan: „Aufstehen. ,New York Times‘ lesen, malen“, beschreibt er seinen Tagesablauf. Ab und zu kommen Freunde aus Österreich zu Besuch, etwa Heinz Fischer, der inzwischen in der Politik Karriere gemacht hat. 1986 kehrt Bronner nach Österreich zurück und will gründen, was ihm in den USA so gut gefallen hat: eine kluge Tageszeitung mit Schwerpunkt Wirtschaft. Aber so leicht wie damals Anfang der siebziger Jahre ist es nicht mehr. Der „Kurier“, in dem damals die Industriellenvereinigung das Sagen hat, lässt seine Verbindungen spielen – bereits zugesagte Kredite eines Bankenkonsortiums bleiben aus. Monatelang sucht Bronner Geldgeber – und findet sie schließlich beim Springer Verlag in Deutschland.

Die Linken stutzen: Springer – das waren doch anno ’68 diese Hetzer gegen Dutschke & Co. Die Rechten ätzen: Das Geld komme wohl von der „Ostküste“, schreibt die „Presse“. Die Ostküste – damals, nach der Waldheim-Wahl, in manchen Kreisen das Synonym für das „Weltjudentum“.
Der unreligiöse Bronner nimmt im Buch auch dazu Stellung: „Ich bekenne mich dazu, Jude zu sein. Aber selbst wenn ich nicht das Geringste mit dem Judentum zu tun haben wollte, es würde mir nichts nützen. Ich würde ständig daran erinnert werden. Man wird auch von seiner Umgebung zu Juden gemacht.“

Am 18. Oktober 1988 erscheint „Der Standard“ zum ersten Mal. Das Blatt kommt lange nicht aus den roten Zahlen. Bronner nimmt bei der Bank Austria einen Kredit, um Springer auszukaufen, kann ihn nicht zeitgerecht zurückzahlen und erhält nur nach Fürsprache des damaligen Bundeskanzlers Viktor Klima eine Galgenfrist. Er holt die „Süddeutsche Zeitung“ an Bord und kauft schließlich im Juli 2008 auch diese aus. Bronner macht sich auf seinem steinigen Weg nicht nur Freunde: Die Belegschaft zwingt er zu Lohnverzicht, Passagen des Kollektivvertrags werden außer Kraft gesetzt. Betriebsräte lässt er oft vergeblich anrennen. 2003 steht in der „Standard“-Redaktion sogar ein Streik zur Debatte. Um die Sympathie seiner Angestellten buhlt er nicht: „Was würde passieren, wenn er sich plötzlich auf den Weg durchs Haus macht, um dem einen oder anderen auf die Schulter zu klopfen?“, fragen Weissenberger und Stimeder. Die Antwort der beiden Autoren: „Die meisten würden sich wahrscheinlich fragen, ob er etwas getrunken hat.“

Aber Bronner, der ewige Kämpfer, wurde so zum wichtigsten Zeitungsgründer Nachkriegsösterreichs – ohne krumme Dinger und ohne sich zu verbiegen. Jetzt ist er 65 und kündigt an, wieder mehr malen zu wollen. Die Geste, mit der er das gegenüber den Autoren tut, ist ausladend: „Schließlich habe ich diese Zeitung nicht gegründet, um sie zu führen, sondern um sie zu lesen.“

Von Herbert Lackner