Der Kanzler und seine Freunde

Der Kanzler und seine Freunde. Kultur, Geld und Politik - Alfred Gusenbauer fast privat

Kultur, Geld, Politik- Alfred Gusenbauer privat

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Es war eine kleine Runde, die am 9. Februar mittags in der Hofburg anstieß: Bundeskanzler Alfred Gusenbauer beging seinen 47. Geburtstag im Kreis enger Freunde. Neben dem Gastgeber, Bundespräsident Heinz Fischer, und dessen Frau Margit waren etwa Hotelerbin Bettina Steigenberger, Kabarettist Werner Schneyder und Entertainer Alfons Haider geladen.

André Heller fehlte. Der Künstler befand sich in Marokko. Vermutlich wäre Heller auch sonst nicht hingegangen. Streiten könne er mit Gusenbauer besser in anderem Ambiente, soll er Freunden mitgeteilt haben. Dass Gusenbauer FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beigesprungen war und dessen wehrsportähnliche Übungen als „Jugendtorheit“ entschuldigt hatte, soll Heller schwer verstört haben.
Die Geburtstagsrunde war dennoch typisch. Der Kanzler schart gern Künstler und Intellektuelle um sich. Dabei strahlt auch etwas vom Glanz der Prominenz auf ihn ab. Doch wichtiger sei ihm die Auseinandersetzung mit interessanten Zeitgenossen. Sagen Gusenbauers Mitarbeiter.

„Er führt schon verdammt gern vor, dass er sich überall auskennt“, erzählen Freunde. Dabei unterscheide er penibel, wer schon damals, als er Oppositionsführer und beliebte Spottfigur war, zu ihm gehalten und wer erst später, nach der Kanzlersalbung, Gusenbauers Nähe gesucht habe. Jahrelange Loyalität sei eine Grundbedingung für die Aufnahme in die Tafelrunde.

Alfons Haider gehört zu jenen, die ein langes Stück des Weges mit Gusenbauer gegangen sind und nur das Beste über ihn zu sagen wissen. Haider hat zwar schon die Liberale Heide Schmidt und Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll unterstützt. Seit er aber Gusenbauer Ende der neunziger Jahre nach einer Vorstellung in Stockerau kennen lernte, ist er ein Fan.
In der Nacht der verlorenen Nationalratswahl 2002 war Haider einer der Tröster, 2006 gehörte er zur intimen Siegerrunde, die in Hellers Stadtpalais in das Morgengrauen hineinfeierte. Seit Gusenbauer Kanzler ist, sieht ihn Haider „nur mehr ein-, zweimal pro Woche in kleinen Runden“. Der Entertainer glaubt, dass er für Gusenbauer die Funktion der Erdung erfüllt: „Ich bin ein Kontakt zur bodenständigen Welt.“

Streitpartner. Werner Schneyder sieht seine Rolle als Gusenbauers Widerpart: „Wir streiten ungemein produktiv.“ Ob am Millstätter See in Schneyders Haus oder in der benachbarten Villa von Hans Peter Haselsteiner, in der auch Bauunternehmer Hanno Soravia schon zugegen war – Schneyder diskutiert mit Gusenbauer leidenschaftlich. Nächtelang. So begann auch ihre Freundschaft: „Nach dem Kabarettfestival Ybbsiade hat mich ein wilder Sozialist mit vielen Haaren im Gesicht angesprochen. Wir haben eine Nacht durchgesoffen.“

Mit erworbenem Wissen glänzen, Klugheit vor sich hertragen – dafür ist Gusenbauer selbst bei Freunden berüchtigt. Um mithalten zu können, hat er sich strenge Disziplin auferlegt. Er liest nicht nach Lust und Laune, sondern nach Empfehlung und Debatten im Feuilleton. Bei Neuerscheinungen in der schönen Literatur ist er immer à jour.
Schon Altkanzler Franz Vranitzky suchte den Kontakt mit Intellektuellen. Im „Dürnsteiner Kreis“ in der Wachau wurde einmal jährlich diskutiert. Vranitzky verstand dies als geistigen Input abseits der Mühle des Regierens. Für Gusenbauer dürften die Debatten eine Chance zur Selbstbestätigung sein, meint Schneyder: „Vranitzky ist ein Suchender, Neugieriger. Gusenbauer weiß schon die Antworten.“
Vranitzkys große Runden waren eine Institution. Gusenbauers kleine Kreise ergeben sich formlos und häufiger. André Heller ist eine Drehscheibe der Runden, der Rechtsanwalt Gabriel Lansky eine andere. Der von Künstlern geschätzte Exminister und Kontrollbankchef Rudolf Scholten vermittelt manchmal ein Treffen. Für den Opernball wäre Scholten fast ein Coup gelungen: Er versuchte, Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk in Gusenbauers Loge zu laden. Aus Sicherheitsgründen sagte Pamuk ab.

In der Loge saß Mathematiker Rudolf Taschner. Ihn hat Gusenbauer kontaktiert, weil ihn ein Vortrag Taschners zum 100. Geburtstag des Logikers Kurt Gödel so faszinierte. Auch so wächst das Netz. Anwalt Lansky legte die Kontakte gezielter an. Seine Veranstaltungen, die unter dem Titel „Change 06“ stattfanden, hatten – unter Künstlern – keine gute Nachrede. Die Gäste beklagten sich, sie seien wohl als Staffage geladen worden. Gusenbauer habe kein Interesse an einer Auseinandersetzung über Kunst gezeigt.
Harald Krassnitzer stieß eher zufällig zur Tafelrunde. Als eine Gruppe um den Schriftsteller Doron Rabinovici die Proteste gegen die schwarz-blaue Regierung vorbereitete, schlug die Grüne Monika Langthaler den aus Film und Fernsehen bekannten Krassnitzer als Redner vor. Die Skepsis der Intellektuellen gegenüber dem „Bergdoktor“ war groß – bis er am 19. Februar 2000 am Heldenplatz in einer flammenden Rede an die SPÖ appellierte, „aufzuwachen“ und sich von ihren Machterhaltungssystemen zu verabschieden. Krassnitzer bewunderte über die Jahre Gusenbauers Standvermögen. Mittlerweile sind die beiden Freunde, und Krassnitzer hat kein Problem, die Haltung zu Straches „Jugendtorheiten“ in genau den Worten zu verteidigen, die man auch von Gusenbauer hört.
Dabei war es die FPÖ, die Künstler nach Phasen der Enttäuschung näher an die SPÖ rücken ließ. Heller und andere fanden im Engagement für das „Lichtermeer“ und gegen ausländerfeindliche Aufwallungen zusammen. Damals richtete sich ihr Zorn neben Jörg Haider auch gegen die sozialdemokratischen Innenminister Franz Löschnak und Karl Schlögl – mit der Wende fokussierte er sich auf die Regierung. Die SPÖ schien als Bündnispartner wieder infrage zu kommen.

Distanz. Das Bündnis bekam seine ersten Kratzer, als Gusenbauer sich mit Jörg Haider zum Spargelessen traf und die blau-rote Koalition in Kärnten schönredete. Mit der taktischen Annäherung an die FPÖ wuchs die Distanz der Kulturschaffenden zur SPÖ wieder. „Ich könnte wegen des Sagers von den Jugendtorheiten des Herrn Strache aus der Haut fahren“, spricht Schneyder aus, was viele denken.
Damit ist ein neues Kapitel im schwierigen Verhältnis der SPÖ mit Intellektuellen eröffnet. Historisch betrachtet, hatte es nur der legendäre Kanzler Bruno Kreisky geschafft, auf Dauer von Kulturschaffenden und Intellektuellen respektiert, ja sogar bewundert zu werden. Das lag auch an Kreiskys Herkunft aus dem Großbürgertum und an seinen Jahren im Exil.

So meldete Kreisky in den sechziger Jahren als Außenminister den aus der Emigration zurückkehrenden und mit Staatsbürgerschaftsproblemen kämpfenden Maler Oskar Kokoschka kurzerhand in seiner Villa in der Armbrustergasse an. Als Kanzler brachte er internationale Prominenz nach Wien. Günter Grass kam, um zum Thema „Der Schriftsteller als Bürger“ zu sprechen, Leonard Bernstein spielte mit den Philharmonikern bei einem Kreisky-Event Beethoven und herzte danach „my good friend Bruno“ ausgiebig vor laufenden Kameras.

Der Ausnahmekanzler versuchte, seinen Künstlerkontakten politischen Sinn zu unterlegen. 1981 lud er den von den Sowjetbehörden ausgebürgerten Literaten Lew Kopelew gemeinsam mit Heinrich Böll nach Wien. Böll war zuvor wegen ihm unterstellter RAF-Sympathien unter Druck gesetzt worden. Nachdem er in der Ortstafelfrage an tobenden Deutschkärntnern gescheitert war, stellte Kreisky demonstrativ den von Peter Handke aus dem Slowenischen übersetzten Roman „Der Zögling Tjaz“ des Kärntner Slowenen Florjan Lipus vor. Am Vorabend eines Parteitags ließ er Gesangsdiva Milva beziehungsreich „Die sieben Todsünden eines Kleinbürgers“ von Bert Brecht und Kurt Weill interpretieren. Die Texte im Bildband, den die SPÖ Kreisky 1981 zum 70er schenkte, stammten von Peter Turrini und Gerhard Roth.

Bloß der grantige Thomas Bernhard wollte sich em „Höhensonnenkönig“, wie er Kreisky nannte, nicht nähern. Er sei „ein alternder, selbstgefälliger Staatsclown“, befand der Ohlsdorfer.
Nachfolger Fred Sinowatz war zwar als ehemaliger Unterrichtsminister mit Promis aus Wissenschaft und Kunst per Du, zog aber beharrlich Gspritzten in Neufeld dem Schampus vor. Erst der fesche Franz Vranitzky war wieder Gast auf Gesellschaftsseiten. Vranitzky kannte aus der Zeit als Generaldirektor der Länderbank viele Society-Menschen. Seine kontaktfreudige Frau Christine zog neue Promis an, von Udo Jürgens bis Klaus Maria Brandauer. Mit Helmut Lohner war der Kanzler befreundet, Arnulf Rainer begleitete er zur Eröffnung seiner Ausstellung im Guggenheim-Museum nach New York. Seinen einschlägigen Aktivitäten verlieh Vranitzky mit der von Marika Lichter organisierten Aktion „Wider die Gewalt in der Familie“ etwas politisches Unterfutter.

Kanzler Viktor Klima erklärte die Kultur zwar zur „Chefsache“, das tröstete Künstler aber nicht über die Abschaffung des Kunstministeriums hinweg. Einmal startete er eine Initiative, sich mit Literaten zusammenzusetzen, um sein Image zu korrigieren. „Das ist ihm sicher nicht gelungen. Bei Klima spürte man nie die Lust am intellektuellen Diskurs“, erinnert sich Philosoph Konrad Paul Liessmann an das Zusammentreffen.

Liessmann war auch dabei, als Kanzler Wolfgang Schüssel zu philosophischen Mittagessen lud, um über Fragen wie das Potenzial der Gentechnik zu diskutieren. Ausgewählte Chefredakteure waren in den Runden anwesend, die auch den Zweck hatten, zu demonstrieren, dass nicht alle Intellektuellen gegen Schwarz-Blau waren.
Jetzt wird Gusenbauer hofiert. Vom Multimillionär Martin Schlaff etwa, der auch die Kaution für Helmut Elsner bezahlt hatte. Schon im Mai vergangenen Jahres hatte Schlaff Gusenbauer seinen Privatjet zur Verfügung gestellt, damit dieser vom Champions-League-Finale in Paris rechtzeitig zu einer Nationalratssitzung wieder in Wien war. Über Schlaff lernte Gusenbauer auch Anna Netrebko kennen. Um ein Dinner am Abend von Gusenbauers Angelobung ranken sich eigenartige Gerüchte. Aus der Umgebung von Schlaff heißt es, man habe ein Dutzend Personen zu Ehren Gusenbauers eingeladen. Der Startenor Neil Shicoff soll dort „Kleinzack“ aus „Hoffmanns Erzählungen“ zum Besten gegeben haben. Der Kanzler selbst erzählt, es habe keine Party gegeben.

Kosten-Nutzen-Rechnung. Unbestreitbar hat Shicoff auf anderen SPÖ-Festen gesungen. Den Sänger und Gusenbauer verbindet eine Freundschaft, die so weit geht, dass Gusenbauer Nervenbündel Shicoff vor der Aufführung von „La Juive“ in der Künstlergarderobe beruhigt haben soll. Shicoff wiederum fuhr auf den Küniglberg, um Gusenbauer bei der TV-Wahlkonfrontation die Daumen zu drücken.
Manche der Künstlerkontakte des Kanzlers sind eine Kosten-Nutzen-Rechnung vonseiten der Künstler. „Wer von Aufträgen lebt, bemüht sich um gute Beziehungen zur Regierung“, sieht Philosoph Liessmann manche Netzwerke pragmatisch. Shicoff etwa macht sich Hoffnungen auf den Posten des Staatsoperndirektors.
Andere Netzwerke des Kanzlers, vor allem die außenpolitischen, rühren aus seiner Zeit in der Sozialistischen Internationalen: Den spanischen Ministerpräsidenten José Zapatero kennt Gusenbauer seit seiner Juso-Jugend. Dem deutschen Umweltminister Sigmar Gabriel ist Gusenbauer von einem Juso-Kongress Anfang der achtziger Jahre mit seiner Warnung vor den „Kommunisten“ in Erinnerung geblieben. Er habe sich damals gewundert, sagte Gabriel einmal zu profil, dass die Kommunisten in Österreich eine solche Gefahr darstellten. Aber Kommunisten-Bashing sei ja immer populär.

Manchmal zerbrechen Freundschaften aber auch einfach. Als Kabarettist Erwin Steinhauer, früher ein häufiger Gesprächspartner Gusenbauers, kürzlich in der ORF-Sendung „Report“ mit spöttischem Unterton aus der Gusenbauer-Hagiografie von Andreas Pittler Passagen über die Kanzlermutter vorlas, wurde Gusenbauer fuchsteufelswild, erzählen Vertraute.

Kulturschaffende, die nach der Präsentation des Koalitionsabkommens ihrerseits zu Gusenbauer auf Distanz gingen, sollen nun von Freund Lansky in gestaffelten Abendessen von der Sinnhaftigkeit des Vereinbarten überzeugt werden. Drei Dutzend Kontakte habe es bereits gegeben. Ein Zwischenbericht über den Erfolg der Überzeugungsarbeit liegt noch nicht vor.

Von Herbert Lackner, Eva Linsinger und Christa Zöchling