Der Kreml will sich Opel einverleiben

Der Kreml will sich Opel einverleiben: Und warum Magna nur eine Nebenrolle spielt

Und warum Magna nur eine Nebenrolle spielt

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Von Michael Nikbakhsh und Andrea Rexer
Mitarbeit: Tessa Szyszkowitz, Moskau

Die Mittelklasselimousine „GAZ 31 Wolga“ wirkt auch auf den zweiten Blick so, als hätte die sowjetische Planwirtschaft nie aufgehört zu existieren. Klobige Silhouette, viel Stahl, schwachbrüstiger Motor, überdurchschnittlich hoher Verbrauch. Dafür ist der Wagen vergleichsweise billig und zuverlässig. Wer in Russland 2009 zu einem Modell des Herstellers Gorkowski Awtomobilny Zawod, kurz GAZ, greift, ist entweder Amtsträger, UdSSR-Nostalgiker oder schlichtweg verzweifelt.

Der heute im Einflussbereich des Oligarchen Oleg Deripaska stehende Automobilbauer durchlebt eine der schwersten Krisen seiner Geschichte. 2008 hat GAZ 5,2 Milliarden Rubel (umgerechnet 119 Millionen Euro) Verlust gemacht, und die Aussichten für das laufende Jahr sind noch viel düsterer: Die Verkaufszahlen sind im ersten Quartal 2009 gleich um 60 Prozent eingebrochen, ein Großteil der Bänder im Stammwerk Nischni Nowgorod (vormals Gorki) steht still. Von Oktober bis April mussten 31.000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen – 6000 weitere erhalten im Juli ihre Kündigung (siehe Kasten). Deripaska musste seinen GAZ-Mehrheitsanteil der Sberbank, der größten Sparkasse des Landes, als Sicherheit hinterlegen. Und die gehört zu 60 Prozent der russischen Zentralbank – und damit dem Kreml.

Industriepolitik. In einem freien Markt wäre ein Hersteller wie GAZ längst erledigt. Doch der Kreml betrachtet den Hersteller als eines der Herzstücke seines Industriesektors. Und wer einen Mann wie Ministerpräsident Wladimir Putin hinter sich weiß, der kann sogar noch dann springen, wenn er eigentlich auf dem Boden liegt. Am Pfingstwochenende wurde in Berlin Realität, was noch vor wenigen Wochen als reine Fantasterei abgetan worden wäre. Ein Konsortium aus dem GAZ-Hauptgläubiger Sberbank und dem kanadisch-österreichischen Automobilzulieferer Magna International verständigte sich mit dem insolventen US-Konzern General Motors und der deutschen Bundesregierung auf die mehrheitliche Übernahme des ebenfalls schwer angeschlagenen deutschen Automobilbauers Opel, bisher GM-Tochter.
Sberbank/GAZ und Magna wollen demnach bis September 55 Prozent an Opel über­nehmen, GM soll mit 35 Prozent beteiligt bleiben, der Rest könnte an die Belegschaft und Händler gehen.

Geht alles gut, könnten alle Seiten profitieren. Die deutsche Bundesregierung muss zwar mit Bürgschaften und Finanzierungen für Opel einstehen, die Gefahr einer Insolvenz, zumal in einem Wahljahr, ist damit vorläufig aber vom Tisch; Opel soll den Zugang zum bisher stiefmütterlich erschlossenen russischen Markt erhalten; Magna sichert mit dem Engagement den Fortbestand seines größten Kunden; den mit Abstand größten Vorteil erhoffen sich jedoch die Russen selbst.

Nationalstolz. Auch wenn Österreichs ­Boulevard mit Hinweis auf die österreichischen Wurzeln von Magna-Gründer Frank Stronach jüngst mäßig originelle Schlagzeilen wie „Wir sind Opel“ bemühte: Die Fäden des Deals laufen nicht etwa am Magna-Stammsitz im kanadischen Aurora oder beim Europa-Ableger im niederösterreichischen Oberwaltersdorf zusammen. Es war Autozar Putin selbst, der die Weichen für das beabsichtigte Opel-Engagement stellte. Mit tatkräftiger Unterstützung eines verschworenen Kreises an Getreuen.

Es ist ein bisschen wie bei den russischen Puppen – je weiter man auspackt, desto mehr Hintermänner treten hervor. „Der Deal trägt eindeutig die Handschrift von Viktor Christenko“, sagt ein Beobachter in Moskau. Der Industrieminister macht kein Hehl daraus, dass er dem Freihandel nichts abgewinnen kann. Den geplanten russischen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO hat er bisher erfolgreich verhindert. Erst im Januar dieses Jahres hat er die Importzölle auf im Ausland produzierte Autos auf empfindliche 30 Prozent erhöht. Sein Ziel ist es, möglichst viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Russland zu konzentrieren – und wenn möglich einen globalen russischen Autohersteller zu formen. Erst vor einigen Wochen sagte Christenko, dass er dabei Hilfe aus dem Ausland für unverzichtbar halte. Das Know-how von Opel und Magna dürfte seinen Vorstellungen ziemlich genau entsprechen. Wie auch denen von Premierminister Wladimir Putin.

Die Maske der Unbeteiligtheit ließ der nach wie vor mächtigste Mann Russlands am Dienstag der vergangenen Woche fallen: „Die Einigung über Opel sollte in die Strategie der ­russischen Regierung zur ­Rettung des Automarkts eingebunden werden.“ Und weiter: „Für uns ist das wichtig, weil sich dieser Deal auf die russischen Verbraucher und die ­russischen Produzenten auswirken wird.“

Querverbindungen. Und von Putin laufen die Fäden direkt nach Hannover. Es verwundert nicht weiter, dass der alte Putin-Männerfreund und Ex-Kanzler Gerhard Schröder im Vorfeld der Einigung Stimmung für „Magna“ machte. Er hatte bei seinem 65. Geburtstag nicht nur mit Magna-Chefverhandler Siegfried Wolf intensiv geplaudert, sondern auch seine Parteifreunde, den Außenminister Frank-Walter Steinmeier und den Finanzminister Peer Steinbrück, mit ins Boot geholt.

Dass Steinbrück in der vergangenen Woche einen 300 Millionen Euro schweren Überbrückungskredit flugs vom Staatssäckel an Opel überwiesen hat, obwohl Magna genau mit der Zusage, diesen Kredit zu übernehmen, letztendlich Fiat aus den Verhandlungen gedrängt hatte, verdeutlicht lediglich die Unsicherheit der deutschen Regierung. Für den Steuerzahler machen diese 300 Millionen kaum mehr einen Unterschied: Sie wären ohnehin vom Staat besichert worden. Stärker ins Gewicht fällt da, dass die Kredite der Investoren bei einem potenziellen Zahlungsausfall vorrangig bedient würden – der Staat stellt sich freiwillig hinten an.

Doch was veranlasst Schröder und Steinmeier, den Russen einen so billigen Einstieg zu verschaffen? Steinmeier will sich als Kanzlerkandidat vor den Bundestagswahlen im Herbst als Opel-Retter profilieren. Schröder ist durch seine Tätigkeit im Aufsichtsrat des Pipelineprojekts Nord Stream aufs Engste in die russische Energiestrategie einge­bunden. Helfen die Russen nun den Sozialdemokraten, Opel zu retten – so könnten die Sozialdemokraten den Russen den direkten Marktzugang für Öl und Gas in Deutschland, und damit in Europa, erleichtern.

Dass der große Verlierer bei der Magna/GAZ-Lösung der Steuerzahler wäre, nimmt der Einzelne kaum wahr. Zudem sind die Wahlen längst vorbei, bis die Bürgschaften schlagend werden könnten. Die Jobs der Opel-Belegschaft wären bis dahin großteils gerettet. Magna würde sich im eigenen Interesse an der Rettung seines größten bisherigen Abnehmers GM beteiligen, und dem angeschlagenen Autokonzern GAZ böte sich durch den Wissenstransfer endlich eine Zukunftsperspektive. Würden neue Opel in Nischni Nowgorod produziert, wären die Überkapazitäten ausgelastet – und Arbeitsplätze gerettet.

Das Ziel des Konzerns, bereits in fünf bis neun Monaten eine Produktion auf die Beine zu stellen, klingt freilich ambitioniert. Weniger ambitioniert wäre es, würden die Autos lediglich montiert. Um die Importzölle zu umgehen, genügt es derweilen, vom fertig produzierten Auto vor der Grenze die Reifen und den Motorblock abzuschrauben und es hinter der Grenze wieder zusammenzubauen. Gelingt es mit der Hilfe von Magna und GAZ tatsächlich, die Verkaufszahlen von Opel in Russland vom derzeitigen Marktanteil von drei Prozent auf die angestrebten zwanzig Prozent anzuheben, wäre das bei der Montagelösung eine implizite Arbeitsplatzgarantie für den überwiegenden Teil der westeuropäischen Opel-Werke. ­Vorläufig. „Nur noch die Stoßstange anschrauben, so wie einst bei BMW in Kaliningrad – die Nummer läuft nicht mehr“, sagte der stellvertretende russische Ministerpräsident Sergej Iwanow kürzlich.

Autohersteller, welche die teuren Importzölle mittels Montage umgehen wollen, werden vertraglich dazu gezwungen, Jahr für Jahr den Anteil des „local content“ – also der in Russland gefertigten Teile – zu erhöhen. Schritt für Schritt würden so die Arbeitsplätze vom Westen nach Russland wandern. „Für die Markterschließung in Russland wäre der Deal sicherlich von großem Vorteil für Opel. Ob diese Lösung langfristig Standorten wie Rüsselsheim hilft, ist ­fraglich“, sagt Bernd Hones, Experte der Moskauer Exportberatungsstelle gtai, die zum deutschen Wirtschaftsministerium ­ressortiert.

Konzeptlos. Willi Diez, Professor für Automobilwirtschaft im deutschen Nürtingen, hat indes Zweifel, ob das Konstrukt in der jetzigen Form Bestand haben wird: „Das war ein politischer Schnellschuss, der nicht wirklich durchdacht ist. Es gibt kein tragfähiges industrielles Konzept.“ Überlebensfähig sei Opel nur, wenn das neue Unternehmen mehr als drei Millionen Fahrzeuge jährlich produzieren könne. Doch mit dem russischen Partner GAZ sei das kaum möglich. „Es ist mir unbegreiflich, was Opel mit GAZ anfangen will. GAZ ist alles andere als konkurrenzfähig“, so Diez.
Das mag auch erklären, warum etwa Sberbank-Chef German Gref, einst Wirtschaftsminister unter Putin, dem Deal zunächst wenig abgewinnen konnte. Schließlich muss sein Haus als präsumtiver Hauptgesellschafter neben GM Kapital in erheblichem Umfang binden. Und es erscheint reichlich ungewöhnlich, dass ein Geldhaus, das bereits einen maroden Autohersteller am Hals hat, inmitten der Finanzkrise noch einen zweiten dazunimmt. Aber wer eine Bank des Kremls leitet, kommt trotz liberaler Grundhaltung an Putin nicht vorbei. Also sprach Gref jüngst: „Es ist eine großartige Chance für Russland, sich zu einem unerhört niedrigen Preis in einen hochentwickelten modernen Konzern einzukaufen.“ Zugleich schränkte er aber ein, die Sberbank-Beteiligung an Opel hätte nur „vorübergehenden“ Charakter.

Überhaupt scheint das Prädikat „vor­übergehend“ über dem gesamten Deal zu stehen. In Deutschland sorgen die manifesten Begehrlichkeiten des Kremls mittlerweile für gesteigertes Unbehagen. Langsam, aber sicher scheint sich herumzusprechen, dass Magna allenfalls eine Art europäisches Feigenblatt sein dürfte, die Zukunft des Opel-Konzerns und von dessen 25.000 deutschen Mitarbeitern dagegen in Moskau entschieden wird. Deutschlands CSU-Wirtschaftsminister Klaus-Theodor zu Guttenberg war von der ersten Stunde an skeptisch und hat seine Bedenken mittlerweile öffentlich gemacht. Zur Stunde existiert denn auch nicht mehr als eine rechtlich nicht bindende Absichtserklärung, das so genannte Closing soll bis September erfolgen.

Offene Fragen. Die vielen Unwägbarkeiten des Deals lassen die vermeintlich unterlegenen Konkurrenten, allen voran Fiat und den chinesischen Hersteller BIAC, noch immer hoffen. Magna hat zwar nun durch die Absichtserklärung Einblick in die Bücher bekommen. Fraglich ist jedoch, ob ihnen gefallen wird, was sie da sehen. Allein die Lizenzgebühren für die Opel-Patente sollen bis 2018 rund sieben Milliarden Euro ausmachen. Geld, das der tief in den roten Zahlen steckende Opel-Konzern erst einmal verdienen muss. Vor allem BIAC dürfte wieder Morgenluft wittern. Wie das Ministerium in Berlin bestätigt, waren die chinesischen Vertreter vergangene Woche zu Gesprächen in Berlin. Felix Probst, Sprecher des deutschen Wirtschaftsministeriums, hält gegenüber profil ausdrücklich fest: „Noch kann niemand mit Bestimmtheit sagen, ob die Verhandlungen zwischen GM und GAZ/Magna tatsächlich zu einem Abschluss führen. Bis dahin führen wir parallel Gespräche mit anderen Interessenten weiter."