Der Krieg nach dem Sieg

Propagandakrieg im Kaukasus-Konflikt

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Patrick Worms hat einen Abschluss an der britischen Elite-Uni Cambridge, 15 Jahre Berufserfahrung als Stratege, ein Büro in der georgischen Hauptstadt Tiflis – und eine Mission. „Die Russen müssen raus“, sagt der gebürtige Deutsche, der in hochrangiger Funktion für die Regierung von Michail Saakaschwili tätig ist: raus aus Georgien, also auch raus aus den abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien.

Um die Russen zurückzuschlagen, stehen Worms zwar keine militärischen Mittel zu Gebote. Auf gewisse Methoden der psychologischen Kriegsführung kann er aber sehr wohl zurückgreifen, auch wenn er das vermutlich nur ungern zugeben würde. Patrick Worms ist einer jener PR-Strategen, die nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen im Kaukasus auf beiden Seiten weiter versuchen, den Konflikt nachträglich zu entscheiden. Am Boden mag Russland gewonnen haben. Im Duell um den moralischen Sieg hat bislang hingegen Georgien die Oberhand behalten. Nicht zuletzt dank der Arbeit von Beratern wie Worms, die zu einem Gutteil darin besteht, die Informationen der jeweils anderen Konfliktpartei als Propaganda zu entlarven.

Also: Wo hat Russland besonders dreist gelogen, Herr Worms? „Wo soll ich anfangen?“, fragt Worms. Eine gute Frage, die umgekehrt auch Russland stellen könnte. Denn die Georgier gingen mit der Realität um keinen Deut weniger zimperlich um. Auch mehr als einen Monat nach Ausbruch der Kampfhandlungen um Südossetien ist alles andere als klar, wer nun tatsächlich der Aggressor war. Die Regierung in Tiflis behauptet, Russland habe am 7. August um 23.30 Uhr Panzer über die Grenze geschickt. Deshalb habe die georgische Armee ab 23.50 Uhr mit Gegenangriffen reagiert.

Die Regierung in Moskau sagt, Georgien habe bereits um 22.35 Uhr damit begonnen, die südossetische Hauptstadt Zchinwali mit Artillerie zu beschießen, und um 22.50 Uhr Bodentruppen vorrücken lassen. Erst danach seien die russischen Panzer in Marsch gesetzt worden. Der umstrittene Ablauf dieser knapp eineinhalb Stunden ist letztlich aber nicht besonders relevant. Berücksichtigt man die Vorgeschichte, läuft alles darauf hinaus, dass beide Seiten es auf einen Krach angelegt haben, wohl wissend, dass jeder bereits Vorkehrungen dafür getroffen hatte. Anders ist es kaum zu erklären, dass sowohl Russland als auch Georgien binnen weniger Stunden zehntausende Soldaten aufeinander losmarschieren lassen konnten.

Inszenierung. Auf den gleichzeitig beginnenden Propagandafeldzug war vorerst jedoch Saakaschwili deutlich besser vorbereitet als der russische Präsident Dmitri Medwedew und dessen Regierungschef Wladimir Putin. Während sich Letztere vorwiegend auf Präsenz in russischen TV-Kanälen verließen, trat der Georgier umgehend bei CNN auf, präsentierte sein Land als unschuldiges Opfer ausländischer Aggression und tat alles, um den Konflikt zu internationalisieren: „Es geht nicht mehr nur um uns. Es geht um Amerika und seine Werte. Wir sind ein freiheitsliebendes Land, das derzeit angegriffen wird“, erklärte er in fließendem Englisch.

Wenig später reiste Saakaschwili höchstpersönlich an die Front, wo er vor laufenden Kameras in einer dramatischen Aktion vor einem angeblich drohenden russischen Luftangriff in Sicherheit gebracht werden musste. Helikopter oder Flugzeuge tauchten dann zwar doch nicht auf, die Szene war aber immerhin im Kasten und ging rund um die Welt auf Sendung. Gleichzeitig versorgte die in Brüssel angesiedelte PR-Agentur aspect communications, die seit November 2007 für die georgische Regierung tätig ist, die Medien im Minutentakt mit praktischerweise gleich auf Englisch verfassten Aussendungen – während die Herren im Kreml vier Tage brauchten, bis sie sich zu einem Interview mit CNN herabließen.
Zu spät: „Wer die mediale Auseinandersetzung in den ersten zwei bis drei Tagen verliert, verliert auch die nächsten zwei bis drei Wochen“, sagt der Wiener PR-Stratege Dietmar Ecker.

„Die russische Führung hatte in den ersten Kriegstagen eben Wichtigeres zu tun, als Interviews zu geben“, gibt Putin-Sprecher Dmitri Peskow zwar schnippisch zu Protokoll. Tatsächlich dürfte aber durchaus zutreffen, was ein Moskauer Kommunikationsberater berichtet, der lieber ungenannt bleiben will: „Am Anfang war Misha (Saakaschwili, Anm.) der Herr des Äthers. Das hat die im Kreml furchtbar geärgert.“ Russland habe „sicher Aufholbedarf“, analysiert auch Gregor Kreuzhuber: „Das ist geschichtlich und kulturell bedingt.“ Der ehemalige Sprecher des österreichischen EU-Agrarkommissars Franz Fischler ist heute Partner der Brüsseler PR-Agentur Gplus, die 2006 von der russischen Regierung als Mediencoach engagiert wurde. Inzwischen hätten die Russen aber „verstanden, dass sie durchaus ein Eigeninteresse an mehr Transparenz und aktiver Kommunikation haben“.

Propaganda. Die Erkenntnis, dass es nicht reicht, die eigene Bevölkerung vom gerechten Georgien-Krieg zu überzeugen, führt nunmehr zu einem nie dagewesenen Tauwetter in den Beziehungen der russischen Regierung zu den internationalen Medien. Staunend erleben westliche Korrespondenten in Moskau, wie die traditionell spröden Kreml-Gewaltigen zu stets für Interviews bereiten Charmeuren mutieren. „Wir können ruhig weitermachen. Ich habe es nicht eilig“, ermunterte Putin vor wenigen Tagen einen TV-Journalisten, obwohl sich dieser bereits angeschickt hatte, eine Schlussfrage zu stellen – und räsonierte anschließend über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung: „Unsere US-Kollegen sind da weitaus besser als wir. Wir haben viel zu lernen. Aber wird das immer korrekt und demokratisch gemacht?“

Die Russen hätten medial aufgeholt, sagt der Moskauer PR-Mann, der lieber anonym bleiben will: „Saakaschwili war vielleicht sogar zu oft im Fernsehen. Die Leute haben das Gefühl bekommen, da ist ein instabiler Wahnsinniger unterwegs.“ Die meisten Propaganda-Tricks des Kreml seien inzwischen aufgedeckt worden, ist hingegen Saakaschwili-Berater Worms sicher: „Die größte Lüge glaubt keiner mehr. Und die lautet, dass Russland diesen Krieg nicht gewollt hat.“ Und das ist wieder so ein Satz, den die Russen umgekehrt genauso sagen könnten.

Von Martin Staudinger und Tessa Szyszkowitz/Moskau