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Der Loyalist

Der Loyalist

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Trotz dreier misslungener Vorhersagen, die ich zur Jahreswende an dieser Stelle eingestehen musste, wage ich im neuen Jahr schon wieder eine: Heinz Fischer wird die Wahlen zum Bundespräsidenten mit klarem Abstand gewinnen. Rote und Grüne werden ihn geschlossener wählen als Schwarze und Blaue Benita Ferrero-Waldner; sein eisernes Festhalten an der Neutralität ist populärer als ihre diesbezügliche Mentalreservation; man wünscht dem schwarzen Kanzler ein rotes Gegengewicht; und dass Heinz Fischer ein Mann ist, werden gerade weibliche Wähler nach wie vor höher schätzen, als dass sie mit Ferrero-Waldner erstmals eine Frau zum Staatsoberhaupt machen könnten.
Fischer ist ein Bank-Tipp.

Auch ich werde ihn aus folgenden rationalen Motiven wählen: Er hat im Vergleich zu seiner Konkurrentin das größere intellektuelle Format; er besitzt die größere politische Erfahrung; er hat aus genauer Kenntnis gewachsenen Respekt vor der Verfassung und wird sie bescheidener als Thomas Klestil interpretieren.

Dazu kommt ein irrationales Motiv: Ich halte Heinz Fischer für einen besonders warmen, beinah möchte ich schreiben „besonders lieben“ Menschen mit einer zauberhaften Frau an seiner Seite.

Das ist nicht einfach so hingesagt. Immerhin kenne ich ihn seit über fünfzig Jahren. Wir waren gemeinsam bei den sozialistischen Mittelschülern, später den sozialistischen Studenten, wir haben uns Tischtennis-Schlachten geliefert und mit Norbert Leser, der damals ganz links stand, die klassenlose Gesellschaft diskutiert.

Gemessen an ihm, war Heinz Fischer „rechts“. Nur dass Leser sich um 180 Grad gedreht hat, während es bei Fischer höchstens 15 gewesen sind. Denn Fischers prägendste Eigenschaften sind Treue und Loyalität: Treue gegenüber den politischen Idealen seiner Jugend, auch wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind, Loyalität gegenüber seiner Partei, auch dort, wo sie versagt, Treue und Loyalität gegenüber Weggefährten, auch und gerade, wenn sie am Boden liegen.
Ein solches Übermaß an Treue und Loyalität hat sicher auch seine Probleme – aber es wärmt.

Daneben verblasst, dass wir uns politisch immer weiter voneinander entfernt haben: Ich habe schon nicht mehr an die sozialistische Utopie geglaubt, als er sie noch gepredigt hat. Dass auch er, wie Robert Menasse formuliert, den Kopf so oft von links nach rechts gedreht hat, dass nur mehr ein allseitiges Nicken übrig geblieben ist, wird ihm, trotz der Genialität dieser Formulierung, nicht ganz gerecht: Fischers Herz schlägt unvermindert links – er glaubt nur nicht mehr, dass sich auch alle andren im Takt seines Herzschlages bewegen müssen. Gott sei Dank. Denn beinahe wäre ich geneigt, ihn als naiven Linken zu bezeichnen, der viel zu viel von dem, was er diesbezüglich gesagt hat, auch wirklich glaubt. Nur weil er es, teils aus Respekt vor einer anderen Meinung, teils aus Opportunismus, immer wieder relativiert und vor allem weil er es niemandem aufdrängt, ist er zum Bundespräsidenten geeignet.

Die wichtigste seiner naiven Thesen ist die vom hohen Wert einer anachronistischen, innerhalb der EU rechtlich unhaltbaren, bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlten Neutralität. Fischer hängt ihr mit derselben Treue an, mit der er seinen linken Idealen anhängt: Es schwingt darin die leise Distanz zu den kapitalistischen USA ebenso mit wie die Sorge, dass ein allzu eindeutiges Bündnis mit dem „Westen“ Russland vergrämen könnte.

Vor der Wende habe ich diese seine Einstellung für ein Sicherheitsrisiko gehalten, während er meine entgegengesetzte Einstellung für ein Sicherheitsrisiko gehalten hat. Wir sind uns darüber in die Haare geraten, aber es hat die gegenseitige menschliche Wertschätzung nie vermindert.

Und heute ist es weit gehend irrelevant. Die EU akzeptiert uns auch neutral. Die NATO braucht uns so wenig wie wir sie. Es kommt in den nächsten zehn Jahren zu keiner Volksabstimmung über die Neutralität, und wenn es wider Erwarten doch dazu käme, ginge sie für meinesgleichen auch dann verloren, wenn Ferrero-Waldner an der Spitze des Staates stünde.

Beinahe entzweit hat uns nur die viel zitierte Affäre Peter – Wiesenthal. Dass ausgerechnet der Verfassungsexperte Fischer Wiesenthal einen verfassungswidrigen parlamentarischen Untersuchungsausschuss angedroht hat, hat mich bestürzt und empört. Dreißig Jahre später sehe ich die Milderungsgründe schärfer: Heinz Fischer hält Menschen, die er einmal akzeptiert hat, auch gegen noch so starke Evidenz bis zuletzt die Stange. So wie er lieber an ein Justizkomplott geglaubt hat, als den immer dichteren Beweisen für den sechsfachen Mord des Udo Proksch zu trauen, hat er lieber eine politische Intrige Simon Wiesenthals angenommen, als den Kriegstagebüchern der Waffen-SS zu trauen, aus denen die Verwicklung von Peters Kompanie in die Erschießung tausender Frauen und Kinder hervorging.

Fischer hatte Peter als Menschen akzeptiert und stand loyal zu Kreisky – also stieg er für beide auf die Barrikaden.

Dass seine Reaktion gegen Wiesenthal darüber hinaus politisch opportun gewesen ist, weil Kreisky sie forderte und die Bevölkerung sie begrüßte, war nur eine Zugabe, nicht das entscheidende Motiv. Eine Entschuldigung ist das nicht – nur eine Erklärung. Der Angriff auf Simon Wiesenthal bleibt Fischers wunder Punkt. Nur meine ich, dass man ihn ähnlich sehen sollte wie Bruno Kreiskys Versagen in derselben Causa: ein Anfall partieller Blindheit im Gefolge zu großer menschlicher Loyalität – der einzige dunkle Fleck auf einer in Jahrzehnten weiß gebliebenen Weste.