Der Mann, den keiner haben will

Der Mann, den keiner will: Österreich möchte kranken Ex-KZ-Wächter loswerden

Österreich möchte alten Ex-KZ-Wächter loswerden

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Von Josef Barth und Martin Staudinger

Der Mann liegt regungslos in seinem Krankenbett und starrt an die Decke, als sei er ganz weit weg. Aber dann neigt er seinen Kopf doch dem Besucher zu und mustert ihn angestrengt: „Setz dich irgendwohin, make yourself comfortable“, sagt er.

„Ich weiß, dass man mich hier nicht will“, murmelt Josias Kumpf, meint damit aber nicht das Wiener AKH, in das er am Donnerstag vergangener Woche eingeliefert wurde: Er meint Österreich. Er könnte aber auch Amerika meinen oder sogar die ganze Welt. „Man will mich nicht, weil ich damals dabei war. Ich war dort, in Trawniki. In jener Nacht. Aber als ich hinkam, hatte man sie schon erschossen. Hunderte. Tausende. Sie lagen in den Löchern, die sie vorher selbst hatten ausheben müssen.“

Laute Nächte
In den Nächten sei es schlimm mit ihm, sagt sein Bettnachbar. Da würde der Alte immer wieder um sich schreien: „In Deutsch, Englisch und allen möglichen anderen Sprachen.“ So lange, bis sich auch seine Zimmerkollegen wünschen, er wäre nicht hier.

Josias Kumpf, 84 Jahre alt, ist einer, den keiner haben will: ein ehemaliger KZ-Wächter, in die USA ausgewandert, ausgewiesen und der Republik Österreich aufgedrängt, die ihn am liebsten loswerden möchte – und den pflegebedürftigen, staaten- und mittellosen Greis nun einfach sich selbst überlässt.

Ein mutmaßlicher Nazi-Kriegsverbrecher, der nichts Besseres verdient hat? Nicht viel ist im Fall Kumpf so einfach, wie es scheint. Wenn man es sich leicht machen will, kann man sich bei der Beschreibung von ­Josias Kumpf auf ein paar Schlagworte beschränken, die ein scheinbar eindeutiges Bild zeichnen: Mitglied der Waffen-SS, Aufseher im KZ Sachsenhausen, später bei der Bewachung des Lagers Trawniki in Polen eingesetzt – genau zu dem Zeitpunkt, als dort 1943 im Rahmen der „Aktion Erntefest“ 8000 Gefangene ermordet wurden.

Man kann aber auch Umstände anführen, die das Bild differenzieren: Mit 16 ­
Jahren als volksdeutscher Landarbeiter am Balkan von den Nazis ausgehoben, in Uniform gesteckt, nach Deutschland dienstverpflichtet – und gerade einmal 17 Jahre, als er nach Trawniki geschickt wird.
Kumpf hat vor einem US-Gericht seine Tätigkeit als KZ-Wächter zugegeben. Er beharrte aber stets darauf, persönlich in keine Morde oder Hinrichtungen verwickelt gewesen zu sein. „Ich habe persönlich niemals irgendjemanden verletzt“, gab er sowohl in Interviews als auch vor Gericht zu Protokoll. Das kann man glauben oder auch nicht. Faktum ist: Bisher hat sich die Justiz nur am Rande mit der Frage seiner Schuld auseinandergesetzt.

Seit 1956 in den USA
1956 war Kumpf in die USA ausgewandert, 1964 hatte er die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Er lebte in Wisconsin und Chicago, ein unauffälliger Arbeiter mit Frau und Kindern. Er hatte ein Haus und einen Pensionsanspruch.

Doch dann, im Jahr 2003, geriet das geordnete Nachkriegsleben von Kumpf komplett aus den Fugen. Die USA leiteten ein Verfahren gegen ihn ein, weil er seinerzeit bei der Einreise seine SS-Mitgliedschaft verschwiegen hatte.

„Persönliche Beteiligung“.
2005 kamen die Richter zur Einschätzung, dass „Kumpfs Handlungen als bewaffneter Wächter eine persönliche Beteiligung an der Verfolgung begründen“ (Zitat aus dem Richterspruch). Das führte zur Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft und damit seiner Pension.

Anklage wegen Kriegsverbrechen erhoben die Amerikaner jedoch nicht. Sie entledigten sich des lästigen Falls durch die simple Abschiebung.
Das Problem: Kumpf wurde 1925 als Staatsbürger des Königreichs Jugoslawien geboren, das längst nicht mehr existiert. Serbien, auf dessen heutigem Territorium seine Heimatgemeinde liegt, fühlt sich heute ebenso wenig für ihn verantwortlich wie Deutschland, das ihn 1956 noch eingebürgert hatte. Die dortige Staatsbürgerschaft verlor er allerdings, als er die amerikanische annahm.

Blieb aufgrund völkerrechtlicher Abkommen nur Österreich. Denn von hier aus war Kumpf in die USA eingereist. Am 19. März 2009 wurde Kumpf von amerikanischen Sicherheitskräften am Flughafen Wien-Schwechat abgeliefert.

Fall für die Republik
Damit war nicht nur er persönlich in eine prekäre Situation geraten, sondern auch die Republik Österreich. Strafrechtlich kann Kumpf hierzulande nicht verfolgt werden: Zum Zeitpunkt der möglicherweise begangenen Straftaten war er minderjährig. Sie sind inzwischen verjährt. Abschieben ist vorerst auch nicht möglich: Kein anderes Land hat sich bisher bereit erklärt, den ehemaligen KZ-Wächter aufzunehmen.
Seither reichen sich die damit befassten Ministerien und Behörden in Österreich die Causa gegenseitig weiter wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel.

Zunächst wird die Caritas damit betraut. „Unser Auftrag ist die Würde des Menschen in Notsituation, unabhängig von Schuld oder Unschuld“, sagt Stefan Wallner, Generalsekretär der Caritas Österreich. „Wir haben im Auftrag und auf Bitte der öffentlichen Hand für Kumpf professionelle Betreuung organisiert.“

Nach seiner Rückkehr im März wird der kranke Greis in einem Spital in Vorarlberg untergebracht. Anfang Juni kommt er dann nach Wien, in eine kleine Mietwohnung. Ein selbstständiger Pfleger des Vereins „Rundum Zuhause betreut“, den die Caritas vermittelt hat, kümmert sich um ihn.
Eigentlich wäre Kumpf ein Fall für die so genannte Grundversorgung, das letzte soziale Auffangnetz für „hilfs- und schutzbedürftige Fremde“. Die Verantwortlichkeit dafür liegt zunächst beim Innenminis­terium.

„Nicht zuständig“
Dort will man vom Fall Kumpf allerdings nichts wissen. „Wir betrachten uns nicht als zuständig“, sagt Rudolf Gollia, Sprecher der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit. „Das hat uns nichts anzugehen.“ Ähnlich argumentieren das Außenamt und das Justizressort.
Immerhin geht es auch um die Pflegekosten und damit um viel Geld. Das will keiner zahlen – weder die Bundesministerien noch das Land Vorarlberg und auch nicht die Stadt Wien. Kurz nachdem Kumpf die Pflegewohnung in Wien bezogen hat, erreicht die Aufregung auch seine Vermieterin. Als sie von der Vergangenheit des Staatenlosen erfährt, kündigt sie den Vertrag. Wenig später geben diverse Behörden der Caritas zu verstehen, dass niemand für Josias Kumpf zu zahlen bereit ist.

Daraufhin wird der Pflegevertrag aufgelöst. „Er war unter der Bedingung geschlossen worden, dass die öffentliche Hand die vollen Kosten übernimmt. Nachdem die Finanzierungszusage weggefallen ist, war eine private Betreuung nicht mehr möglich“, sagt Caritas-Generalsekretär Wallner.

Bleibt nur noch die Notaufnahme: Ein Arzt diagnostiziert, dass Kumpf alleine nicht überlebensfähig ist. Am Donnerstag vergangener Woche wird der Staatenlose in die Rettung gepackt und im AKH abgeladen – offensichtlich ohne den Betreiber ausreichend über die problematischen Umstände seines Falls zu informieren. Als sie bekannt werden, erstattet der Fonds Soziales Wien, der unter anderem für Pflege und Betreuung in der Bundeshauptstadt zuständig ist, Anzeige bei der Polizei: Im AKH sei ein staatenloser mutmaßlicher Kriegsverbrecher aufgetaucht, man müsse klären, ob er Personenschutz benötige. Womit wieder das Innenministerium am Zug ist.

Wenig Sympathie
„Ich habe wenig Sympathien für KZ-Wächter“, sagt einer seiner Betreuer. „Aber mit diesem Menschen geht man um, als ob er Atommüll wäre.“
Währenddessen liegt Josias Kumpf im Krankenbett und hadert mit seinem Schicksal. „Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Aber man hat mir alles weggenommen“, sagt er zu profil (siehe Interview). „Ich übernachte in Unterkünften, die gratis sind. Ich geniere mich dafür. Aber was soll man machen, wenn man nichts hat.“

Derzeit ist völlig unklar, was weiter mit ihm geschieht. Die österreichischen Behörden dürften jedoch eine vage Hoffnung haben, Kumpf loszuwerden. In Madrid wird auf Betreiben von KZ-Überlebenden derzeit ein Verfahren gegen ehemalige Wächter vorbereitet. Verdacht: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Richter Ismael Moreno vom Nationalen Gerichtshof hat Ende Mai internationale Haftbefehle gegen drei mutmaßliche Täter beantragt – darunter auch Josias Kumpf.

Wenn er nicht in Österreich auf der Straße endet, könnte seine nächste Bleibe also auch eine Zelle in einem Untersuchungsgefängnis in Spanien sein. Dann vielleicht aber auch seine letzte.