Der eilige Martin

Der eilige Martin

Drucken

Schriftgröße

In Wahrheit war es ja so: Nachdem 1993 Franz Vranitzkys Versuch misslungen war, die FPÖ mit Heide Schmidts Liberalem Forum zu spalten, versuchte es sein Nachfolger Viktor Klima noch einmal. Seine Geheimwaffe hieß Hans-Peter Martin. Er machte ihn 1999 zum Spitzenkandidaten der SPÖ bei den EU-Wahlen. Er gab ihm die Gelegenheit, in Brüssel und Straßburg herumzustöbern. Nur fünf Jahre später ist das Werk gelungen: Die Freiheitlichen werden auf Kosten von Martin geviertelt. Die schwarz-blaue Koalition verliert unter dem Strich 15 Prozentpunkte, also fast ein Drittel ihrer Wähler.
Klimas Coup.
In Wahrheit ist es nicht so gewesen, und zigtausende Wähler sind am Sonntag von der FPÖ zur Liste Martin gewechselt, statt zur Sozialdemokratie zurückzukehren.

Die bemerkenswerte Wanderung der Wähler von einem Populisten zum nächsten hat Gründe. Da ist zum einen eine Spezies von Politikern, die das nicht verhindern konnte. Peter Rabl formulierte es im „Kurier“ mit Blick auf den zurückliegenden Wahlkampf so: „In diesen Wochen hat sich wieder einmal die absolute Schattenseite dieser Koalition gezeigt. (…) Österreichs Politik, die Grünen ausdrücklich ausgenommen, hat ihre weitestgehende europäische Unreife bewiesen.“
Exakt.

Während die verschlafene Politik der großen Koalitionen die Wähler noch zu Jörg Haider getrieben hatte, sind sie jetzt eben zu Martin gewechselt. (Übrigens – die Antwort auf die Frage, wie denn Haider zu stoppen gewesen wäre, wenn nicht durch eine Regierungsbeteiligung, muss immer heißen: durch bessere Politik von Rot und Schwarz.) Im richtigen Licht haben bei diesen Wahlen nämlich weder ÖVP noch SPÖ dazugewonnen: Die freiheitlichen Stimmen waren ja längst keine freiheitlichen Stimmen mehr. Sie lagen brach – etwa gemessen am Ergebnis der letzten Nationalratswahlen –, und die beiden Großparteien konnten davon denkbar wenig abräumen.

Zum anderen – neben den unglaubwürdigen und uninspirierten Politikern – gehört zu so einem Wechsel von einem Verführer zum nächsten auch eine bestimmte Disposition der Wähler. Immerhin hat ein Siebtel der Österreicher für Hans-Peter Martin gestimmt.

Bei diesem Ergebnis ist zwar etwas Vorsicht angebracht: Mit der für Nationalratswahlen üblichen Wahlbeteiligung wären es vermutlich weniger als 14 Prozent gewesen, da die Nichtwähler dieses Sonntags in geringerem Ausmaß den Populisten gewählt hätten. Beunruhigend ist die Zahl aber in jedem Fall: Herr Martin hatte in diesem Wahlkampf nur in einziges Thema: eine schlechte Spesenregelung der EU-Parlamentarier und die – juristisch nicht nachgewiesene – missbräuchliche Inanspruchnahme solchen Geldes. Das ist ein mageres Programm eines Politikers, dessen Liste nun ein Siebtel der Österreicher in Europa vertreten wird.

Hinzu kommt, dass Herr Martin den regelwidrigen Umgang mit Spesen ja allen möglichen europäischen Abgeordneten vorgeworfen hatte, nicht aber jenen österreichischen Politikern, die am Sonntag mit ihm um die Sitze im Parlament konkurrierten.

Hinzu kommt, dass ungeklärt geblieben ist, ob Herr Martin selbst sauber abgerechnet hat.

Und hinzu kommt, dass mit Karin Resetarits eine weitere politisch undefinierte Person jenes Siebtel der Österreicher in Europa vertreten wird. Sie werde sich dort um „Tiere und Kinder“ kümmern (oder so ähnlich), sagte Martin am Abend des Wahltages.

Es darf ein wenig nachdenklich stimmen, wie anfällig Österreich für Populisten ist. Denn was über die Qualität der Politiker gesagt wurde (Rabl: „weitestgehende europäische Unreife“), kann bei entsprechender Lust zur Polemik auch anderen europäischen Demokratien zugeschrieben werden. Anders steht es mit der Neigung der Österreicher, sich Abenteurern (und Schlimmeren) anzuschließen. Bis zu fast einem Drittel der Wähler sind über viele Jahre hinter dem mit radikal rechtem, rassistischem und ausländerfeindlichem Gedankengut hantierenden Jörg Haider gestanden. Dazu gibt es in der jüngeren Zeit in entwickelten europäischen Staaten – mit Ausnahme Italiens – keine Parallele.

Und nun macht Hans-Peter Martin mit dünnem Programm und ebensolchem Lebenslauf aus dem Stand 14 Prozent. Auch hier fehlt Vergleichbares: Selbst ein Paul van Buitenen in den Niederlanden gewann am Sonntag nur sieben Prozent. (Er hatte 1999 als EU-Beamter mit seinen Recherchen eine ganze Kommission zum Rücktritt gezwungen.)

Die Anfälligkeit der Österreicher für bestimmte politische Charaktere lässt sich jedenfalls nicht allein mit der jeweiligen Haltung der „Kronen Zeitung“ erklären.