Der gute Mensch von San Francisco: Sean Penn als Schwulenaktivist Harvey Milk
Von Stefan Grissemann
Alle paar Jahre beschließt Gus Van Sant, der große Konzeptualist des amerikanischen Kinos (Last Days, Paranoid Park), seine Formexperimente zugunsten traditionellerer Erzählungen zu unterbrechen. Nach Good Will Hunting (1997) und Finding Forrester (2000) entspricht nun auch Milk (Kinostart: 20.2.) diesem Schema: Van Sants filmische Biografie des Politikers Harvey Milk (19301978), der in den letzten Jahren seines Lebens als erster offen schwuler Stadtrat Amerikas den Kampf um die rechtliche Gleichstellung Homosexueller entscheidend vorantrieb, besitzt trotz ihres Konventionalismus erstaunliche Qualitäten.
Die erste und wichtigste davon liefert der Hauptdarsteller: Sean Penn demonstriert in Milk erneut seine ungewöhnliche Fähigkeit, sich Figuren vollständig anzueignen, sie aus allen Klischees zu lösen, denen sie ausgesetzt sind. Penns Harvey Milk ist ein Verwandlungskünstler: Vom desillusionierten, unauffälligen Bürger transformiert er sich im San Francisco der siebziger Jahre zum Kämpfer für die Gegenkultur und von dort aus weiter zur Ikone der Schwulenbewegung und der politischen Vernunft. In Van Sants Inszenierung läuft glücklicherweise nicht alles nur auf die Tragödie der Ermordung Milks durch einen frustrierten Politkonkurrenten (Josh Brolin) zu; der Regisseur konzentriert sich vielmehr auf die mit der ungeahnten Erfolgsgeschichte des Harvey Milk stetig wachsende Euphorie, auf die mitreißende Wirkung seines charismatischen Helden. Nebenbei ist Milk auch ein Grundkurs in Basisdemokratie: Der Film führt vor, wie kühne Politik zu machen ist, wenn man die richtigen Mitstreiter und den Mut dazu hat. Van Sant verfährt mit seinem Stoff spielerisch, ganz unangestrengt, zugleich kontrolliert er seine Erzählung souverän, durchaus im Sinne jenes Mainstreams, den auch Harvey Milk zu erreichen versucht hat. Man muss das Kino nicht jedes Mal neu erfinden, um darin herzensbildend tätig zu werden.