Der ORF als Nachtclub

Der ORF als Nachtclub

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„Nütze den Tag.“
Alt-Etruskisch
„Nütze die Nacht.“
Neu-Etruskisch

Diese Kolumne hat zum Ziel, die brache Nachtzeit als Geistesreserve Österreichs kenntlich zu machen. In den Stunden zwischen Hund und Wolf, von zirka Mitternacht bis sieben Uhr morgens, ist die Infrastruktur der riesigen Maschine ORF unausgelastet. Sie sollte für Geistes-Formate genützt werden, die während des Tages keine Chance haben.

Die wertvollen Nachmittags- und Abendstunden müssen logisch Frau Karlich & Kolleginnen und ihren Talk-Themen („Bin ich zu fett für den Bikini?“) beziehungsweise für Gerichts-Soaps à la „Herr Mundl gegen den Staat Österreich“ reserviert bleiben. Man sollte, auch wenn es schwer fällt, darüber nicht spotten. Erstens ist das Fernsehen für alle da. Zweitens hat der ORF trotz höherem Auftrag auch die Pflicht, auf Geld = Quote zu schauen. Drittens ist es ohnehin kein Beinbruch, da es keinen Kopfarbeiter gibt, der am Nachmittag Zeit zum Fernsehen hätte und nicht am Abend lieber einen Krimi sähe.

Ab Mitternacht hingegen erwacht wieder die Lust auf Geist. Das zeigen die gar nicht so schlechten Einschaltquoten diverser Kunst-Philosophie-Nachtübungen deutscher und französischer Sender. Wer derartige Sendungen als Bereicherung empfindet, aber in der Nacht unbedingt schlafen will, kauft sich schon jetzt einen der neuen Festplatten-Videorekorder und schafft sich mit selbst gebrannten DVDs eine achtbare Kultur-Kollektion. Sie wird zur sinnvollen Ergänzung jeder papierenen Bibliothek.

Der Vorschlag einer nächtlichen Aufhellung der Hirne mithilfe des ORF hat einen dicken Zopf von Gründen, der nicht so leicht aufzudröseln ist. Aus der Vogelschau schadet es dem einstigen Kreativland Nr. 1 zunächst nicht, neue Feuerwerke abzubrennen. Man könnte mit regelmäßigen, hoch angelegten ORF-Nächten eine aufregende Motivationsautomatik schaffen, die viele der stillen Denker und Künstler aus ihren Löchern holte. Im Idealfall würde man auch nachfolgende, junge Generationen in diese Kristallwelten locken. Die Chance, wahrgenommen zu werden, wäre durch die ORF-Nachtschichten verzehnfacht.

Zweitens glaube ich, dass die einst zentrale Rolle des Wiener Kaffeehauses für den Geistesglanz Österreichs heute den Medien zufällt. Keines der Medien – Tageszeitungen, Magazine, Radio, Internet – hat darin in Menge und Qualität bereits den Plafond erreicht. Am wenigsten bespielt, gemessen an den Möglichkeiten, wird die große Orgel ORF-TV.

Um dies zu erkennen, musste man als hauptberuflicher Magazin- und Zeitungsjournalist erst die Hoffärtigkeit einstiger Vorurteile ablegen. Früher hieß es, Printmedien seien für die Klugen, da die wenigstens noch lesen können, Radio sei für Landwirte im Ruhestand, Internet für virtuelle Existenzen, die in der realen Welt kein Bein auf den Boden bringen, und Fernsehen für Leute, die gern an den falschen Stellen lachen, ehe sie zufrieden schlummern. Man muss dies heute als töricht ansehen. Ein wirklich rundes Info-Bild ergibt sich nur in der Summe der Medien.
Jedes Medium kann etwas anderes gut. Die Zahnräder kämmen tadellos. Wo der eine eine Lücke hat, hat der andere einen Zahn. Dass die Funkmedien auch bei anspruchsvollen Themen Möglichkeiten haben, die über jene der Papiermedien greifen, erkannte ich erstmals durch den Kult-Kultursender Ö1, dem ich an dieser Stelle eh schon Liebeslieder sang.

Drittens teile ich nicht die Skepsis mancher Freunde, dass rauschende ORF-Geistes-Nächte mit Generalintendantin Dr. Monika Lindner nicht gingen. Ich glaube umgekehrt, dass sie sich gern im Sympathie-Ranking der Kulturfreunde zurückrunden würde. Seit der unsensiblen Verabschiedung von Peter Huemer und der „Kunststücke“ gilt sie dort als Personalunion von Kleopatra und Dschingis Khan. Ich habe sie einst in einem NÖ-Zukunfts-Think-Tank als geistreich, witzig und kunstlieb erlebt und glaube eigentlich nicht, dass sie durch die spätere Machtstellung als ORF-GI deformiert wurde.

Allerdings vermute ich, dass sich Lindner durch das Projekt von 365 strahlenden ORF-Geistes-und-Kultur-Nächten, auch wenn diese einen Weltrekord darstellten, nicht die Bilanz zerschlagen ließe.

Diesbezüglich gibt es aber „Good News“. In diesem siebentreichsten Land der Welt (BNP pro Kopf) gibt es genug Geld für Sponsoring. Eine kleine steuerliche Nachtmusik – wenigstens ausreichend für ein Alibi – würde genügen, es zu lockern. Auch handwerkliches Teamwork mit dem Kunsthandel oder Medienverlagen ist nicht undenkbar. Die wie Salz und Pfeffer verstreuten TV-Fenster von „Spiegel“, „Stern“, „Focus“, „Süddeutscher“ und „NZZ“ in den Nachbarsendern sind ja nicht das Gelbe vom Ei.

Mir fehlt zwar der Sachverstand, wie man fernsehgerecht alle Bereiche von Geist und Kunst verschneidet, von der Philosophie bis zur Lomografie, und in welchem Rhythmus man die Darstellungsformen Film, Doku, Interview, Diskussion und Kommentar mischen müsste.

Hingegen weiß ich als „trend“-Mitarbeiter und Spaziergänger im Grenzland von Wirtschaft und Kunst, dass viele unserer 200.000 erstklassigen Unternehmer neue Formen des Kultursponsorings suchen. Die meisten haben die ewigen Kalender satt.